Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte "Aufstieg und Wandel" 140 Jahre Völklinger Hütte

Buchvorstellung mit dem Autor Hubert Kesternich

Die Beschreibung von 140 Jahren Technik- und Sozialgeschichte des jüngsten und größten Hüttenwerks an der Saar ist für jeden Nicht-Akademiker eine Herausforderung. Keine Selbstverständlichkeit ist es daher, wenn sich Hubert Kesternich, der 43 Jahre bei der Saarstahl AG bzw. ihren Vorgängerunternehmen beschäftigt war, einer solch ambitionierten Aufgabe widmet.

Bisher wurden zwar alle saarländischen Hüttenwerke – die Völklinger Hütte zuletzt 1931 – beschrieben, doch hatten alle Veröffentlichungen relevante Mängel. Erstens waren es meist Auftragsarbeiten der jeweiligen Unternehmenseigner, in denen das Unternehmen aus Sicht der Besitzer positiv dargestellt wurde, und zweitens blieben die realen sozialen Zustände, die Probleme zwischen Beschäftigten und Unternehmensleitung unberücksichtigt.

Umso erwartungsvoll waren  die rund 80 TeilnehmerInnen der Buchvorstellung im Alten Bahnhof Völklingen, einmal die Hüttengeschichte von einem der ihren präsentiert zu bekommen.

Nach den einführenden Worten des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats der Saarstahl AG Stefan Ahr zeichnete Hubert Kesternich die facettenreiche Geschichte der Hütte nach. Dabei gelang es dem Autor die teils barbarischen Arbeitszeiten, die relativ zahlreichen Verunfallungen, autoritäre Umgangsformen gegenüber den Arbeitern und die nicht zuletzt dadurch bedingten Arbeitsplatzwechsel für den Leser verständlich zu beschreiben.

Lügen strafte der Bau eines Hüttenwerkes die anfänglichen Kritiker, die meinten die fehlende Nähe zum Meer lässt die Eisenerzeugung niemals wirtschaftlich werden können. Doch die insgesamt gute Infrastruktur, durch die Nähe der ab 1880 kanalisierten Saar, die neue Schienenanbindung, die Nähe zu den Steinkohlegruben und des Erzes von Lothringen und Luxemburg sowie das große Reservoir an Arbeitern, war damals von Vorteil für das Saarrevier und ließen das Werk schnell wachsen.

Auch die Schaffung eines Arbeitgeberkomitees zur Bekämpfung der Sozialdemokratie ist Thema dieses Buches. Betroffen von dieser Bekämpfung waren direkt und indirekt 35.000 Arbeiter. Hier wird klar, welche politischen Ziele Arbeitgeber bereits damals verfolgt haben. Kesternich war es gelungen, durch die jeweils detaillierte Schilderung von gesellschafts-, industrie- und gewerkschaftspolitischen Ereignissen die Sicht eines Arbeiters wiederzugeben und die Zuhörer zu fesseln.

Der Autor belegte auch die zwielichtige Rolle der Familie Röchling im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Rüstungsgewinnler. Damit setzt er der vorherrschenden wohlwollenden Beschreibung der herrschenden Industriellen durch die meinungsführenden Medien eine reale Darstellung Hermann Röchlings als Wegbereiter und Nutznießer des Faschismus entgegen.

Kesternich veranschaulicht überzeugend, dass sich das Handeln der Röchlings nicht am Wohlergehen der Arbeiter orientierte, sondern an der Optimierung der Gewinne und Renditen. Dabei spielte es keine Rolle, ob Jugendliche oder Frauen als Produktionsarbeiter ausgebeutet wurden oder gar mit Handgranaten gegen sich eventuell auflehnende Arbeiter vorgegangen wurde. Der Zweck heiligte für die Röchlings die Mittel. Die Angst vor der revolutionären Arbeiterbewegung muss wohl groß gewesen sein.

Dabei erstaunt, nicht zuletzt durch die umfangreiche Quellenangabe, wie sich der Autor als Autodidakt Quellen in Literatur und Archiven erschlossen hat und sie im Kontext und in verständlicher Rhetorik den Lesern nahebringt.

Die 560 Seiten starke Publikation gibt erstmals ehemaligen und aktuell Beschäftigten der „Völklinger Hütte“ Einblick in das Werksgeschehen von 1873 bis 1945 Jahre. Gleichwohl ist dieses Buch auch für in anderen Industrien des Saarlandes Beschäftigte aufschlussreich und wohl für die meisten Erkenntnisgewinn bringend.

Zumindest für den saarländischen Raum hat erstmalig einer „von unten“ sich mit seinen KollegInnen und „denen da oben“ in ausführlicher Art und Weise befasst, die aufhorchen lässt.

 

Band 2 von Aufstieg und Wandel (von 1946 bis zur Neuzeit) soll voraussichtlich im Frühjahr 2016 erscheinen.