Am 8. Mai 1945, nach über vierjähriger nationalsozialistischer Okkupation und faschistischer Herrschaft des Ustaša-Regimes unter der Führung von Ante Pavelić, marschierten in den frühen Mittagsstunden die ersten Partisaneneinheiten in Zagreb ein. Es war das Signal zur Befreiung einer Stadt, die sich wie kaum eine andere gegen das faschistische Repressionsregime gewehrt hatte, zugleich aber das administrativ-politische Zentrum des Ustaša-Regimes darstellte und ein wichtiger logistischer Knotenunkt des nationalsozialistischen Besatzungssystems in Südosteuropa war. Schätzungen zufolge engagierten sich über 50.000 Bürgerinnen und Bürger der zu Beginn der 1940er Jahre knapp 300.000 Einwohner in vielfältigen Formen im von der Kommunistischen Partei Jugoslawiens organisierten Volksbefreiungskampf (Narodnooslobodilačka borba - NOB), an die 16.000 gaben ihr Leben her – sei es im Rahmen der illegalen Arbeit in der Stadt, in den zahlreichen Konzentrationslagern des Ustaša-Staats, oder als Angehörige der Volksbefreiungsarmee (Narodnooslobodilačka vojska - NOV).
Zum Gedenken an den Widerstand und die Befreiung, aber vielmehr noch zur kritischen Wiederbetrachtung und Reflexion hat das Belgrader Büro der Rosa- Luxemburg-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Künstlerinnenkollektiv BLOK vom 7. bis zum 10. Mai mehrere Veranstaltungen organisiert und durchgeführt.
Als Prolog indes, fand am 6. Mai zur frühen Abendstunde in den Räumlichkeiten des Bundes der AntifaschistInnen Kroatiens und des Netzwerks Zagreber AntifaschistInnen – MAZ die Vorstellung des Buches „Oslobođenje. Beograd, oktobar 1944.“ von Milan Radanović statt. Die Befreiung Belgrads, so wurde auf der Veranstaltung deutlich, stieß auf reges Interesse bei den anwesenden Zagreberinnen und Zagrebern, gleichzeitig war sie aber, historisch betrachtet, auch der Funke der die Befreiung des gesamten Landes, somit auch Zagrebs, als etwas reales und durchführbares erschienen ließ.
Die Monografie von Milan Radanović kann kostenlos über das Belgrader Büro der RLS bestellt, oder aber auf der Homepage der Rosa Luxemburg Stiftung Southeast Europe als PDF abgerufen werden.
Den Beginn des Veranstaltungszyklus „Kartografie des Widerstands“ [Kartografija otpora] markierte am 7. Mai die Diskussionsveranstaltung „Die unbeugsame Stadt. Zagreb im antifaschistischen Kampf 1941-45“ [Nepokoreni grad. Zagreb u antifašističkoj borbi 1941-45.] in der Bibliothek Bogdan Ogrizović – benannt nach einem kommunistischen Aktivisten und illegalen Kämpfer, der Ende 1943, 32-jährig, vom Ustaša-Regime gehängt wurde. Neben dem Moderator Josip Jagić, der gleichzeitig auch Mitglied der Historikergruppe ist, die sich im Rahmen des Projektes um die historische Rekonstruktion der Befreiung Zagrebs kümmerte und weiterhin kümmert, vervollständigten mit Goran Hutinec von der Philosophischen Fakultät in Zagreb und Frau Branka Boban, Historikerin im Ruhestand, zwei ausgewiesene Experten das Podium. Im Zentrum des Gesprächs, dem über 50 TeilnehmerInnen beiwohnten, stand anhand des Zagreber Beispiels die Rekonstruktion derjenigen politischen Dynamiken, die zur Befreiung Jugoslawiens vom Faschimus führten. Dabei wurde deutlich, wie kompliziert und opferreich sich der antifaschistische Widerstand und die illegale politische Arbeit in einer Großstadt darstellten, weshalb die politische Führung sich alsbald dazu entschloss, das Hauptaugenmerk des Widerstands nicht mehr auf das Zentrum der Stadt, sondern auf rurale, periphere Gebiete zu legen.
Diejenigen Orte innerhalb des Stadtzentrums jedoch, die markante Punkte des innerstädtischen Widerstands repräsentierten, wurden am 9. Mai im Rahmen des öffentlichen Spaziergangs „Widerstandspunkte. Zagreb 1941-45“ [Punktovi otpora. Zagreb 1941-45.] begangen. Der knapp dreistündige Spaziergang durch das Zagreber Stadtzentrum, an dem teilweise bis zu einhundert TeilnehmerInnen anwesend waren, führte plastisch vor Augen, auf welch eingeschränktem, von faschistischen Staatsinstitutionen umzingelten Gebiet sich die illegale Arbeit der ZagreberInnen und Zagreber abspielte. Zu den vielleicht eindringlichsten Orten zählt die illegale Radiostation in der Tuškanova ulica, über die im Sommer 1941 das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Jugoslawiens zum bewaffneten Widerstand gegen die nationalsozialistische Okkupation und ihre einheimischen Regimes aufrief.
Abgerundet wurde der 9. Mai mit der Veranstaltung „Volksbefreiungskampf und Geschichtspolitik“ [NOB i politika povijesti], die ebenfalls in der Bibliothek Bogdan Ogrizović stattfand. Moderiert durch Stipe Ćurković, ehemaliger Chefredakteur der kroatischen Le Monde Diplomatique und Mitglied der RLS-Partnerorganisation Zentrum für Arbeiterstudien [Centar za radničke studije], diskutierten Boris Buden aus Berlin und Dean Duda von der Philosophischen Fakultät Zagreb über die politisch-ideologischen Implikationen, die dem Gedenken an den jugoslawischen Volksbefreiungskampf sowohl im sozialistischen Jugoslawien, als auch in seinen Nachfolgestaaten zu eigen waren und sind. Der Volksbefreiungskampf war, so die Ausgangsthese, eine allanwesende und nicht zu umgehende Referenz im politischen und öffentlichen Diskurs, im Bildungswesen als auch im jugoslawischen Alltag. Doch die Art und Weise der Beschäftigung mit ihm änderte sich kontextabhängig. Auch nach der Zerstörung Jugoslawiens blieb der Volksbefreiungskampf ein wichtiger Erinnerungsort, der jedoch ins Narrativ einer neuen, antikommunistisch-revisionistischen und nach nationalgeschichtlicher Legitimation trachtenden Geschichtswissenschaft eingespannt wurde und weiterhin wird. Wie sehr dieses Thema den Nerv der Zeit und der Zagreberinnen und Zagreber traf, zeigte sich am enormen Publikumsinteresse: an die 150 TeilnehmerInnen waren in einem Saal anwesend, der Platz für knapp achtzig Personen bereithielt.
Am 10. Mai, zum Abschluss der Veranstaltungsreihe, stellten in den Räumen des Bundes der AntifaschistInnen Kroatiens und des Netzwerks Zagreber AntifaschistInnen vier junge Historiker – Josip Jagić, Lovro Krnić, Goran Korov und Stefan Treskanica die Ergebnisse ihrer sechsmonatigen Forschungsarbeit zum Zagreber Widerstand dar. Unter dem Titel „Terror, Widerstand, Befreiung“ [Teror, otpor, oslobođenje] wurden vier Aspekte in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses gerückt, die ausschlaggebend für den Erfolg des Volksbefreiungskampfes waren. Während Josip Jagić sein Augenmerk auf den politisch-ideologischen Kontext der Kriegszeit legte und das dauerhafte Legitimationsdefizit des Ustaša-Staats gegenüber der Bevölkerung herausarbeitete, konnte Lovro Krnić mit seinem Fokus auf die Ustaša-Presse zeigen, wie sehr dieses Kollaborationsregime von Hitlers Gnaden abhing und wie sehr es im Grunde darauf ausgerichtet war, mit dem Untergang des Nationalsozialismus auch selbst unterzugehen. Im Vortrag von Goran Korov lag das Schwergewicht auf den militärstrategischen Ereignissen, die zur Befreiung von Zagreb geführt haben. Darin wurde gleichzeitig deutlich, wie sehr die politische Führung der jugoslawischen KP richtig damit lag, den Partisanenkampf aus den Städten auf das rurale Umland zu verlagern. Ein bisher nahezu unerforschtes Feld stellte Stefan Treskanica dar. Das System der „Volkshilfe“ [Narodna pomoć], so wurde deutlich, war die conditio sine qua non des Befreiungskampfes und spielte sich hauptsächlich auf dem Territorium der Stadt Zagreb ab. Ihre Rolle als Zulieferer von Nahrungsmitteln, Kleidung, Medikamenten, Waffen, Informationen und logiostischer Unterstützung kann kaum überschätzt werden. Darüberhinaus wurde sie hauptsächlich von Frauen getragen da die Männer entweder in den Reihen der Partisanen kämpften, sich innerhalb der Stadt kaum frei bewegen konnten oder den zahlreichen Razzien zum Opfer gefallen sind.
Das Belgrader Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung dankt: BLOK (Ivana Hanaček, Ana Kutleša, Vesna Vuković), Milena Ostojić (MAZ), Stipe Ćurković (CRS), Josip Jagić, Goran Korov, Lovro Krnić, Stefan Treskanica, Branka Boban, Goran Hutinec, Boris Buden, Dean Duda, Katerina Duda, Srđan Kovačević.
Krunoslav Stojaković ist Projektkoordinator im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad.
Alle Fotos: Srđan Kovačević