Vom 12. bis 15. September findet in der Zeche Zollverein in Essen, einem ehemaligen Kohleförderstandort und heutigem Kulturzentrum im Herzen des Ruhrgebiets, ein feministisches Festival statt. Es werden über tausend Teilnehmer*innen aus 40 Ländern erwartet. Das Festival wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit dem Netzwerk Care Revolution und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie organisiert. An vier Tagen gibt es Kulturveranstaltungen, Trainings, Vernetzungstreffen, Podien und eine große Zahl an Workshops.
Barbara Fried ist stellvertretende Direktorin des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie ist aktiv im Netzwerk Care Revolution und Mitorganisatorin des Festivals Feminist Futures in Essen. Mit ihr sprach Hannah Schurian, Redakteurin der Zeitschrift LuXemburg am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Hannah Schurian: «Feminist Futures» habt ihr das Festival überschrieben. Was kann man sich darunter vorstellen – was macht eine feministische Zukunft aus?
Barbara Fried: Eine feministische Zukunft ist für uns eine, in der wirklich alle Herrschaftsverhältnisse aufgehoben werden, in der das Ganze Leben – und nicht nur die Lohnarbeit – in den Blick kommt. Das betrifft zuallererst das Ende der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Also das Ende einer Gesellschaft, in der die notwendigen Arbeiten jeweils einem Geschlecht zugeordnet sind. Weltweit wird immer noch der größte Teil der Sorgearbeiten von Frauen* erledigt – zumeist unbezahlt oder unter prekären Bedingungen. Das muss sich ändern. Wenn wir Sorgearbeit aufwerten wollen, müssen wir allerdings auch Lohnarbeit umverteilen – also die Arbeitszeit substanziell verkürzen, damit alle Menschen die Chance kriegen, sich um Kinder, Alte, Kranke und das Soziale insgesamt zu kümmern. Ein zweiter Punkt wäre die Überwindung der herrschenden Geschlechterordnung. Das soll nicht heißen, dass niemand sich mehr als «Mann» oder «Frau» fühlen und so leben soll. Aber es sollen nicht die einzigen beiden Möglichkeiten sein, sondern vieles dazwischen und auch jenseits der herrschaftlichen Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität soll möglich sein. Mit dem biologischen Geschlecht würden dann auch keine gewaltvollen Rollenzuweisungen mehr einhergehen, die von Kind an unsere Wünsche, Begehren und Handlungsmöglichkeiten beschneiden. Eine feministische Zukunft wäre also vielfältiger und freier – genau darauf soll das Festival Lust machen.
Ihr sprecht von ZukünftEN – warum? Welche feministischen Perspektiven kommen auf dem Festival zusammen?
Eine Stärke der neuen feministischen Welle ist, dass sie gegen die Bedrohungen der Neofaschist*innen und angesichts der ökonomischen wie ökologischen Krise auf eine breite populare Bewegung setzt. Darin kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen, die im Bewusstsein ihrer Unterschiede nach Ansatzpunkten für gemeinsames Handeln suchen. Das war nicht immer selbstverständlich. Schwarze Feminist*innen in den USA haben beispielsweise schon im 19. Jahrhundert und dann sehr intensiv in den 1970er Jahren darauf hingewiesen, dass die spezifischen Anliegen von Schwarzen Frauen* weder im linken Feminismus noch in der Schwarzen Befreiungsbewegung sonderlich ernstgenommen wurden. Die Notwendigkeit, diese Differenzen zu sehen und zu bearbeiten, wird heute unter dem Stichwort Intersektionalität diskutiert. Dabei geht es auch um die Anliegen von Frauen* aus der Arbeiterklasse. Die Situation von prekär Beschäftigten, von Erwerbslosen oder Alleinerziehenden spielen im Gros feministischer Debatten bisher kaum eine Rolle. Für das Festival haben wir versucht, genau diese Frage einer «Einheit in Differenz» ins Zentrum zu stellen. Das ist keinesfalls leicht, es sind komplizierte und teils schmerzhafte Prozesse. Diejenigen, denen es leichter fällt, ein umfassendes «Wir» zu formulieren oder sich darin einzuschreiben, haben darin einiges zu lernen. Gleichzeitig müssen wir angesichts der dramatischen Situation, in der wir uns befinden, dringend gemeinsam handlungsfähig werden – sonst haben wir weder gegen die menschenverachtenden Politiken der Rechten noch gegen neoliberale Privatisierung und Entsicherung eine Chance.
Wie habt ihr versucht, diesen Anspruch umzusetzen? Treffen sich bei solchen Veranstaltungen nicht doch meistens die «üblichen Verdächtigen»?
Wir haben in der Vorbereitung des Festivals sogenannte Brückenbauer*innen eingeladen und auch für ihre Arbeit bezahlt. Ihre Aufgabe war es, im Prozess und in der Programmgestaltung die Anliegen und Themen derjenigen stark zu machen, die in der Mehrheits-Linken in Deutschland und somit auch in unserem Vorbereitungskreis tendenziell unterrepräsentiert sind und die immer wieder in den Hintergrund treten – selbst dann, wenn genau das vermieden werden soll. Natürlich ist das allein nicht ausreichend, um jahrhundertealte Ausschlüsse zu überwinden. Aber ohne, dass alle für sich selbst sprechen, geht es halt auf keinen Fall. Insofern sind wir hier ein paar kleine Schritte vorangekommen. Das Programm ist von einer Vielstimmigkeit geprägt und sicher inklusiver als bei den meisten linken und feministischen Konferenzen, mit viel Raum für klassenpolitische, antirassistische und trans*/queerfeministische Themen. Es werden außerdem viele Feminist*innen aus dem globalen Süden kommen, die eine postkoloniale Perspektive stärken und aus deren Erfahrungen wir – nicht nur für feministische Fragen, sondern für die Linke insgesamt – gegenwärtig sehr viel lernen können!
Das Festival will explizit Leute ansprechen, die noch nicht links-politisch aktiv sind.
Das Festival will explizit Leute ansprechen, die noch nicht links-politisch aktiv sind, es aber vielleicht werden wollen. Und genauso all jene, die irgendwie mit dem Begriff des Feminismus fremdeln, die mit den Themen zu tun haben, sich aber nicht als Feminist*in bezeichnen würden. Es soll ein Ort sein, an dem sich Personen begegnen, die sich im Alltag nicht unbedingt treffen – sei es wegen räumlicher Distanz, aber auch wegen der nach wie vor großen Trennung zwischen verschiedenen Communities – beispielsweise den Frauen*Streik-Gruppen auf der einen und den Pflegekräften, die in den letzten Jahren einen der erfolgreichsten Streiks von (überwiegend) Frauen geführt haben, auf der anderen Seite.
Auf der Konferenz wird unter anderem das Manifest eines «Feminismus für die 99 Prozent» von Nancy Fraser, Cinzia Arruzza und Tithi Bhattacharya vorgestellt. Ihr sprecht von einem explizit linken, klassenpolitischen und antikapitalistischen Feminismus. Davon fühlen sich sicher nicht alle angesprochen. Warum nicht in der jetzigen Situation lieber möglichst breite Bündnisse gegen Antifeminismus bilden?
Die drei Autor*innen betonen, dass es um einen Feminismus FÜR die 99 Prozent geht und nicht um einen Feminismus DER 99 Prozent. Für sie ist der Bündnisprozess auch ein Kampf, in dem der Gegner klar zu benennen ist. Klar brauchen wir möglichst breite Allianzen, wir müssen aber auch benennen, wer mit-Schuld ist am Aufstieg der Rechten. Die neoliberalen Politiken der letzten Jahrzehnte, die längst nicht nur von der Rechten getragen wurden, haben das Terrain für den Aufstieg autoritärer Regime und Bewegungen bereitet. Feministische Politiken, die allein auf Karrierechancen privilegierter Frauen zielen, haben zu sozialer Spaltung mit beigetragen. Hier braucht es eine scharfe Kritik von links und klare Alternativen.
Eine fundamentale Umwälzung der Geschlechterverhältnisse würde den Kapitalismus im Mark treffen.
Im Moment scheint es wenig Hoffnung auf eine schöne Zukunft für alle zu geben. Rechte und Autoritäre sind weltweit im Aufwind, während die ökologische Krise unsere Lebensgrundlagen zerstört. Was hilft uns in dieser Situation der Feminismus?
Linke feministische Bewegungen führen derzeit entscheidende Auseinandersetzungen. Sie verkörpern sowohl den Gegenpol zum rechten Angriff auf die Rechte von Frauen*, Migrant*innen und LGBTIQs, als auch eine ökonomische Kritik, die auf «das Ganze der Arbeit» und damit das ganze Leben zielt. Eine fundamentale Umwälzung der Geschlechterverhältnisse würde den Kapitalismus im Mark treffen. Die Frage, ob die Kräfte der Zerstörung, ob Neo-Faschist*innen oder Turbo-Kapitalist*innen, mit ihren Anliegen durchkommen, oder ob es uns gelingt, das Steuer herumzureißen, hängt davon ab, ob wir es schaffen, «mehr» zu werden. Wie erreichen wir auch diejenigen, die in diese Projekte teils materiell, teils ideell eingebunden sind, die – wie auch immer beschränkte – Gewinne für sich darin sehen? Wir müssen raus aus der linken Komfortzone, rein in die Kieze und die widersprüchlichen Alltagspraxen der Menschen. Viele sind noch nicht verfestigt rechts – aber was hat die Linke, was haben Feminist*innen ihnen anzubieten? Wir müssen sowohl die großen Themen, als auch die konkreten Kämpfe identifizieren, in denen wir gemeinsame Interessen herstellen können. Nur auf der Basis von geteilten Praxen kann ein linkes, antifaschistisches Projekt entstehen. In dieser Hinsicht können wir viel von feministischen Bewegungen, insbesondere denen aus Lateinamerika lernen. Sie gehen von sehr konkreten und existenziellen Dingen aus, wie dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. Von dort stellen sie die herrschende Geschlechterordnung und ein ökonomisches System in Frage, das diese Gewalt produziert – wie etwa die #NiUnaMenos-Bewegung, die in Argentinien den ersten feministischen Streik angestoßen hat.
Das Festival findet in der Zeche Zollverein statt – ein Ort, an dem früher Kohle gefördert wurde. Warum habt ihr diesen symbolisch aufgeladenen Ort ausgewählt?
2018 wurde im Ruhrgebiet die letzte Zeche geschlossen. Aktuell tobt der Kampf um die Braunkohleförderung in der Lausitz und im Rheinland. Es ist völlig klar, dass eine Zukunft auf diesem Planeten nur ohne Kohle möglich ist. Mit der Wahl des Ortes geht es nicht darum, den Untergang dieser (Arbeits-)Welt, die ja sehr männlich geprägt war, abzufeiern. Der Charme liegt eher darin, die Richtung der Veränderungen, die im Gange und unverzichtbar sind, aufzuzeigen. Das bedeutet zwar auch einen Verlust an alten Gewohnheiten und in gewisser Weise auch von Privilegien. Eine feministische Zukunft, wie wir sie uns vorstellen, hat aber auch den ehemaligen Kohlekumpeln etwas anzubieten: Mehr Lebensqualität in einer ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Welt. Und eine Befreiung von starren Rollenzuschreibungen. Ganz in diesem Sinne ist unser Festival auch explizit offen für alle Geschlechter – feministische Anliegen sind eben nicht mehr nur eine Sache von Frauen*.
Was macht das Feminist Futures Festival zu einem Festival? Was ist der Unterschied zu einer «klassischen» politischen Konferenz und warum habt ihr euch so entschieden?
Wir haben ganz am Anfang entschieden «Festival» in den Titel zu nehmen, um klar zu machen, dass wir keine «klassische» linke Konferenz planen, sondern auch nach neuen Formaten suchen. Im Kern geht es um einen Ort der Begegnung und des Kennenlernen. Gleichzeitig ist es ein breites transnationales Vernetzungstreffen von Menschen, die in ganz unterschiedliche Kämpfe involviert sind, mit dem Ziel, voneinander zu lernen und über gemeinsame Strategien sprechen. Das Festival soll auch ein bisschen was von dem feministischen Anspruch greifbar machen, die Trennung von Kopf und Körper, Arbeit und Leben, Kultur und Politik aufzulösen: Jenseits von klassischen Podiumsdiskussionen und Workshops gibt es ein Kulturprogramm, das von Forumtheater und Pub-Quiz über Poetry Slam und einen feministischen Mitsing-Chor bis hin zu einem Tanz-Kurs im Vogueing reicht. Es gibt Zukunftswerkstätten, einen Hackerspace, ein Festival Podcast und Vernetzungsformate, in denen über konkrete Strategien gesprochen wird. Es gibt Skill-sharing-Workshops, in denen Queeres und klassenpolitisches Organizing in ländlichen Räumen oder die Planung von Agit-Prop-Aktionen im Care-Bereich gelernt werden können. Vieles dreht sich um Empowerment und Selbstvergewisserung als Voraussetzung für politisches Handeln und für Bündnispolitiken oder um die Frage, wie linke Strukturen offener werden für Geflüchtete und People of Colour. Außerdem feiert das Netzwerk Care Revolution, das wir 2014 hier in der Stiftung mitgegründet haben, seinen fünften Geburtstag. Last but not least gibt es einen Festival-Zeltplatz, eine politische Kinderbetreuung und eine grandiose Party mit Live-Auftritten – unter anderem von der feministischen Rapperin Ebow. Insgesamt geht es um ein Mit-Mach-Format und um Selbstorganisation. Als Veranstalter*innen stellen wir den Ort und den Rahmen. An dem Programm haben aber viele Personen, Gruppen und Communities mitgestrickt. Nur dadurch ist diese Menge und Vielfalt möglich geworden. Auch vor Ort wird es nur funktionieren, wenn sich alle irgendwie beteiligen, vom Schnippeln bei der Küche bis zur spontanen Flüsterübersetzung.
Inwiefern ist das Festival als ein einmaliges Großevent gedacht – oder eingebettet in längerfristige Bündnis- oder Organisierungsprozesse, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und darüber hinaus?
Wir werden so etwas natürlich nicht regelmäßig auf die Beine stellen können, insofern ist es zunächst ein einmaliges Großevent. Gleichzeitig muss es Orte wie diesen regelmäßig geben. Die feministische Bewegung in Argentinien, zu der wir derzeit alle neidvoll blicken, veranstaltet seit 30 Jahren jährliche Treffen. Anfangs waren es ein paar Hundert, dann ein paar Tausend, letztes Jahr 100 000 und für Oktober werden dort 1 Million Leute erwartet. Davon sind wir natürlich meilenweit entfernt. Wir machen einen Anfang und sehen, wie es weitergeht. Ein zentrales Panel am Samstagabend behandelt die Frage nach einer neuen feministischen Internationale – das ist das Ziel. Die Probleme sind transnational, wir können sie nur internationalistisch lösen!