Bernd Polster hat eine lesenswerte und vor allem: ausdrücklich kritische Darstellung geschrieben. Sie behandelt nicht «das» bauhaus insgesamt (zumal auch nach Polsters Meinung unklar ist, ob es «das» bauhaus überhaupt gegeben hat), sondern dekonstruiert gängige Mythen und untersucht einige «blinde Flecken» des bauhauses und seiner Rezeption. Dieses Buch ist nicht so verbissen wie seine im Frühjahr erschienene Biografie zu Walter Gropius, deren Erkenntnisse er aber freilich in der hier vorliegenden Publikation auszugsweise wiedergibt.
Polster hat wei Grundthesen: Um das bauhaus ranken sich «geschickt gestreute Mythen» und es gebe, bei näherer Betrachtung, gezielt produzierte Leerstellen. Schon zur Zeit seiner Existenz, als auch in der Rezeption zumindest bis zur Jahrtausendwende. Damit zusammen hängt die zweite These: «Das» bauhaus war sehr gut in der eigenen Außendarstellung und Vermarktung. Das bauhaus war nach Polster die erste Hochschule, die ein eigenes Logo, ja eine eigene Corporate Identity hatte.
In seiner Nachgeschichte wurde es dann von verschiedenen Interessensgruppen funktionalisiert. Im Grunde genauso wie in diesem Jahr in der (offiziellen) bauhaus100-Jubiläumskampagne, die ebenfalls primär vermarktet und dafür «das» bauhaus notwendigerweise entpolitisiert, den Gegenstand vereinfacht und Dinge schlicht auslässt.
Einige Mythen, die Polsteraufführt seien exemplarisch genannt: So war das bauhaus eben keine Geburt aus dem Nichts, keine vom genialen Schöpfer Gropius auf den Weg gebrachte Einrichtung. Es war eingebettet in die und Produkt der zeitgenössischen reformerischen Debatten. Gropius baute auf den Ideen anderer auf, in der Regel ohne sie zu nennen. Andere, ähnliche durchaus von Prominenten geleitete Einrichtungen, wie etwa in Düsseldorf (unter Peter Behrens) oder in Breslau (unter Hans Poelzig) seien mindestens ebenso wichtig wie «das» bauhaus (gewesen).
Das bauhaus sei in seiner ganzen Zeit anfällig für Dogmatismus und Esoterik gewesen, habe eigentlich auch bereits 1930 geendet, da es durch die autoritäre Leitung durch Mies van der Rohe in eine normale Architekturschule verwandelt worden sei; und viele « bauhäusler» hätten nach 1933 (erfolgreich) versucht, sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren.
Das bauhaus sei weiter eine von Gropius autokratisch geführte Einrichtung gewesen, die auch lange nicht so erfolgreich war, wie gemeinhin angenommen wird. So habe die durchschnittliche (!) Verweildauer der geschätzt 1400 Studierenden nur drei Semester betragen, und nur 15 Prozent aller jemals Eingeschriebenen hätten einen Abschluss erlangt, also um die 1200 Personen diesen «erfolgreichste(n) kulturelle Exportartikel Deutschlands» (Beschluss des Deutschen Bundestages von Februar 2015) ohne Abschluss wieder verlassen.
Schon im historischen bauhaus und erst recht danach sei es zu einer immensen Ausweitung und zielgerichteten Erhöhung des Begriffes «bauhaus« selbst gekommen: War jemand z.B. bevor und nachdem er/sie ans bauhaus kam bzw. war, auch (schon) ein/e Bauhäusler_in? Sind die von ihnen geschaffenen Bauten allesamt «bauhaus-Bauten«?
Eine, wenn nicht die zentrale Figur der Bauhausgeschichtsschreibung bis weit in die 1980er Jahre ist selbstredend Gropius. Ihm widmet sich Polster im Buch auch. In der Biografie kritisiert er Gropius vehement: Dieser sei vor allem gut im Verkaufen gewesen, er habe keinen akademischen Abschluss gemacht, von Architektur und erst recht Kunst wenig verstanden, und er habe Frauen und seine zahlreichen Geliebten erbarmungslos ausgenutzt.
Gropius steuerte auch die Rezeption des bauhauses. Einige Personen, die nach Polsters Dafürhalten für das bauhaus wichtig waren, verschweige Gropius oder reduziere ihre Bedeutung. Polster stellt z.B. Adolf Meyer (nicht zu verwechseln mit dem zweiten Direktor Hannes Meyer) näher vor. Meyer war als Meister in Weimar ein wichtiger Mitarbeiter von Gropius. Oder Carl Fieger, der ein Mitarbeiter von Gropius und Adolf Meyer war. Ganz neu entdeckt hat Polster den holländischen Architekten J. M. L. Lauweriks, der z.B. in Düsseldorf der Lehrer von Meyer war. Auch Förderer oder Ideengeber wie Theo van Doesburg, Adolf Hölzel oder Karl Ernst Osthaus und selbst Herwarth Walden würden bislang, so Polster in ihrer Bedeutung für «das» bauhaus unterschätzt und nicht genügend gewürdigt.
Eine wichtige Rolle bei der Produktion des bis zur Jahrtausendwende gängigen Bildes des bauhaus´ spielten drei Personen: Hans Maria Wingler, erster Chef des Bauhaus-Archivs und Verfasser des bis in die 1990er hinein gültigen und mehrfach aufgelegten Standardwerkes zum bauhaus. Dann Reginald Isaacs als Verfasser einer voluminösen Gropius-Biografie und Sigfried Giedion als Autor eines wichtigen, wie das von Isaacs zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch erschienen Buches. Alle drei wurden von Gropius gezielt angeworben und gefördert. Diese drei revanchierten sich und schrieben in den 1950er und 1960ern für die bauhaus-Rezeption wichtige Werke.
Polster hat ein spannendes und interessantes Buch vorgelegt, das auch viele neue und bedenkenswerte Aspekte zum bauhaus, seiner Geschichte und Geschichtsschreibung bietet. Es ist eine sehr gute und wichtige Ergänzung zu etlichen anderen Titeln, die aus einer kritischen Perspektive durchaus brauchbar sind. Ja, manche seiner Punkte wirken nicht ganz ausreichend begründet, aber dieses Buch ist eine gelungene Einladung, gängige Vorstellungen über «das» bauhaus zu überprüfen.
Bernd Polster: das wahre bauhaus. Wie eine kleine deutsche Hochschule, die es nur wenige Jahre gab, weltweit zur Legende wurde; teNeues Verlag, Kempen 2019, 304 Seiten, 25 EUR
Bernd Polster: Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms; Hanser Verlag, München 2019, 656 Seiten, 32 EUR