- Das wichtigste Ergebnis der Parlamentsahlen in Polen am 13. Oktober 2019 ist zweifelsohne die absolute Mehrheit der Abgeordnetensitze im Sejm für die von Jarosław Kaczyński geführten Nationalkonservativen. Von den insgesamt 460 Sitzen im polnischen Unterhaus entfallen künftig 235 auf die Regierungspartei. Damit kann Kaczyńskis Partei die Alleinregierung fortsetzen, um – wie in den zurückliegenden Wochen vor den Wahlen immer wieder erklärt wurde – den in den letzten vier Jahren begonnenen gründlichen Umbau von Staat und Gesellschaft im Interesse der polnischen Familien zu vollenden. Ganz am Schluss der Wahlkampagne sagte Kaczyński unmissverständlich, dass die Regierenden es geschafft hätten, jene Kräfte öffentlich an den Pranger zu stellen, die mit den Feinden Polens zusammenarbeiten würden, und er versprach, dass die Regierenden es auch künftig so halten würden. Gemeint sind seine politischen Gegner – was also zumindest eine besondere Denkungsart verrät. Die Wahl der Kaczyński-Partei bedeutet also, dass ein großer Teil der polnischen Gesellschaft hinter dieser vor Kraft strotzenden Rhetorik den Weg gewiesen sieht, auf dem das vollmundig versprochene Erreichen des wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus der reicheren EU-Mitgliedsländer am besten umgesetzt werden kann. Auch wenn sich die Wählerschaft der Nationalkonservativen aus unterschiedlichen Motiven und Quellen speist und zusammensetzt, erwähnt seien hier die sehr wichtigen sozialen Gründe wie ein gesetzliches Kindergeld und eine zusätzliche monatliche Rentenauszahlung, stellte Parteichef Kaczyński noch einmal klar, wofür die abgegebene Stimme letztlich gebraucht werde.
- Die Wahlbeteiligung betrug 61,74 Prozent, der mit Abstand höchste Wert seit 30 Jahren. Eine der Gründe liegt in der von Kaczyński gewollten unvorstellbaren Polarisierung der öffentliche Debatte in den zurückliegenden vier Jahren, so dass ein führendes liberales Wochenblatt ins Schwarze traf, als es titelte: Eine einfache Wahl – schwarz oder weiß. Und so darf der Sieger vom 13. Oktober 2019 stolz auf eine andere Zahl verweisen, die seit 1989/90 noch keine Gruppierung erreicht hat, denn für die Nationalkonservativen wurden bei der Sejm-Wahl 8,05 Millionen Stimmen abgegeben, was einen Anteil von 43,59 Prozent der abgegebenen Stimmen ergibt. Mit den damit erreichten Abgeordnetensitzen halten die Nationalkonservativen nun alle anderen im Schach, doch macht der Blick auf die nüchternen Zahlen hinter den erreichten Sejm-Sitzen noch eine andere Wahrheit deutlich. Anders als vor vier Jahren, als zusammengerechnet 16 Prozent der abgegebenen Stimmen wegen des jeweiligen Scheiterns an den obligatorischen Prozenthürden keinen einzigen Parlamentssitz erobern konnten, finden sich nach diesen Wahlen 99 Prozent der abgegebenen Stimmen auch im neuen Sejm repräsentiert. Landesweit waren fünf Wahllisten angetreten, alle haben den Einzug geschafft. Während die Nationalkonservativen vor vier Jahren der Nutznießer des hohen Anteils an verlorenen Stimmen waren, sind sie diesmal von einem für den Wähler nicht leicht zu durchschauenden Wahlsystem begünstigt worden. Zusammengerechnet kommen nämlich die vier anderen Wahllisten auf einen Anteil von 54,76 Prozent der abgegebenen Stimmen, die aber lediglich 224 Abgeordnetensitze einbringen. Auch die Stimmenzahl ist beeindruckend: 10,2 Millionen Stimmen wurden ausdrücklich nicht für die Nationalkonservativen abgegeben.
- Das weitergehende Ziel der Nationalkonservativen ist die Verfassungsänderung, überhaupt eine neue Verfassung. Die geltende Verfassung von 1997 ist ihnen viel zu liberal, sie verketzern sie als eine postkommunistische Zumutung, mit der das Land und seine Bürger nicht genügend vor den äußeren Eingriffen gegen die nationale Souveränität und Identität geschützt werden könnten. Die drei ausdrücklich die geltende Verfassung verteidigenden Listen – die bürgerlichen Demokraten, die Linkskräfte und die moderaten Agrarier – erreichten zusammengerechnet mit 8,95 Millionen Stimmen ein Ergebnis, was deutlich über dem Stimmenergebnis der Nationalkonservativen liegt, auch wenn diese Stimmenzahl nur 213 Abgeordnetensitze eingebracht hat. Allerdings können die Nationalkonservativen bei dieser Rechnung auf jene Gruppierung verweisen, die rechts von ihnen ins Parlament eingezogen ist – die sogenannte Konföderation für Freiheit und Unabhängigkeit –, die immerhin 1,25 Millionen Stimmen oder 6,81 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen an sich zog. Dass die stramm nationalistisch ausgerichtete Konföderation in der Ablehnung der Verfassung von 1997 mit den Nationalkonservativen übereinstimmt, steht außer Zweifel.
- Im Lager der die Verfassung verteidigenden Opposition hat die im Kern liberale Koalition der bürgerlichen Demokraten, ein breiterer Zusammenschluss von gemäßigten Konservativen bis hin zu linksliberalen und grünen Kräften, mit 27,4 Prozent der abgegebenen Stimmen ein Ergebnis erreicht, das zumindest unter den eigenen Erwartungen lag. Dennoch bleibt diese Kraft von zentraler Bedeutung für die Opposition gegen das nationalkonservative Regierungslager, ist außerdem in der Lage, die Bündnisoption mit den anderen beiden demokratischen Gruppierungen im Oppositionslager aufrechtzuerhalten, was für die im Mai 2020 anstehende Wahl des Staatspräsidenten eine wichtige Rolle spielen wird.
- Mit 12,56 Prozent der abgegeben Stimmen, die 49 Parlamentssitze bedeuten, ist den zusammengeschlossenen Linkskräften der erhoffte Einzug ins Parlament gelungen. Das Fehlen linksgerichteter Kräfte im Parlament in der zurückliegenden Legislaturperiode hatte spürbare Auswirkungen gehabt, so dass nun ein großer Schritt getan wurde, um bereits auf der Parlamentsbühne die Auseinandersetzung mit den nationalkonservativen Vorstellungen der Regierenden zu suchen. Damit ist bereits unterstrichen, dass ein Schwerpunkt der neuen Linkskräfte im Parlament auf weltanschauliche und Freiheitsfragen in der modernen Gesellschaft gelegt ist. Wie sich das künftig mit den anderen, für linke Kräfte wichtigen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung einrenken wird, wie sich überhaupt das Zusammenspiel mit den liberalen Kräften, die ja einen stärkeren linksliberalen Flügel haben, gestalten wird, kann nun künftig beobachtet werden. Einstweilen dürfen sich die Linkskräfte in Polen darüber freuen, dass der Zusammenschluss zum Teil völlig unterschiedlicher Kräfte im Sommer des Jahres zum Erfolg geführt hat.
- Zu einem wichtigen Erfolg kam die demokratische Opposition bei den Wahlen zum Senat. In das Oberhaus des polnischen Parlaments ziehen die in einem Wahlgang ermittelten Sieger aus 100 Wahlkreisen ein. Die drei Listen der demokratischen Opposition hatten sich frühzeitig verständigt, möglichst jeweils nur mit einem Kandidaten anzutreten, um die Stimmen nicht unnötig zu aufzuteilen. Dieses Vorhaben wurde weitgehend durchgehalten und führte schließlich zum Erfolg, denn im Senat werden die Oppositionskräfte künftig 51 Abgeordnete haben. Das hat einerseits eine symbolische Bedeutung, ist zumindest ein kleines Trostpflaster für die Niederlage bei den Sejm-Wahlen – trotz großen Stimmenvorsprungs –, außerdem erschwert es dem Regierungslager nun insofern die Arbeit, weil die aus dem Sejm kommenden Gesetzesentwürfe künftig nicht mehr innerhalb nur kurzer Zeit durchgewinkt werden, was in der zurückliegenden Legislaturperiode gängige Praxis war, sondern gründlicher geprüft und gegebenenfalls an den Sejm zurückverwiesen werden können.