Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Krieg / Frieden - Westasien - Westasien im Fokus Kein neuer Krieg in der MENA-Region

Ein Kommentar von Ingar Solty

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Ingar Solty,

Beerdigung von Qassim Soleimani am 4. Januar 2020 in Teheran. Bild: picture alliance / abaca.

Qassim Soleimani ist kein Held, titelte gestern die ZEIT. Damit hat sie Recht. Der iranische Staat ist ein unterdrückerisches Regime und die sozialen Proteste des letzten Jahres waren und sind legitim. Die in der Friedensbewegung teilweise existierende Logik von «der Feind meines Feindes ist mein Freund» ist falsch. Sie beruht manchmal auf der Erkenntnis, dass die USA und der Westen – von Chile 1973 bis Nicaragua in den 1980er Jahren über Venezuela und Bolivien heute – konterrevolutionäre und rechte Umsturzbewegungen überall auf der Welt unterstützt haben. Trotzdem sollte die Friedensbewegung sich eines klar machen: Man kann für die Proteste im Iran sein und gleichzeitig gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA. Man kann für das Prinzip der Nichtintervention sein und gleichzeitig solidarisch mit den Genossinnen und Genossen vor Ort, die unter den unterdrückerischen Verhältnissen im Iran oder sonst wo leiden.

Wer die Regime-Change-Politik des Westens kritisch sieht, kann sauber gegen sie argumentieren, ohne die attackierten Regimes zu beschönigen: Der «wertorientierte» Regime-Change-Interventionismus ist nicht nur grundsätzlich doppelmoralisch, wenn er den IS und den Iran militärisch konfrontiert, aber das enge Bündnis mit Saudi-Arabien pflegt, das nach außen mit deutschen Waffen einen fürchterlichen Krieg im Jemen führt und wo nach innen die gleichen islamfundamentalistischen Gesetze gelten wie im selbsternannten IS-Kalifat, oder wenn der Westen mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger auf Chinas Politik in Hongkong zeigt, aber gleichzeitig über die Menschenrechtsverbrechen des westlich unterstützten Putsches in Bolivien oder die Menschenrechtsverbrechen der verbündeten Regierungen Chiles und Frankreichs gegen die inneren Sozialproteste schweigt, oder wenn der Westen Russland für die Annexion der Krim angreift (die im Übrigen als Vorgeschichte die westliche Konfrontation hatte), aber zugleich dem NATO-Partner Türkei in ihrem fürchterlichen Angriffskrieg gegen die kurdischen Autonomiegebiete in Nordsyrien und ihre faktische Annexion freie Hand lässt. Die «moralische» Außenpolitik kaschiert letztlich nur knallharte realistische Interessenpolitik.

Entscheidend ist aber, dass die westliche Regime-Change-Politik immer auch an ihren eigenen, nur vorgeschobenen ideellen Ansprüchen scheitert. Wie der britische Historiker Eric Hobsbawm in «On Empire» schrieb: «Es gibt in der Geschichte keine Abkürzungen.» Im Irak, in Afghanistan und vor allem in Libyen sind erstens die Verhältnisse nach den Kriegen des Westens heute eher schlimmer – gewaltvoller und ärmer – als vorher, zweitens ist der Hass auf den Westen in der MENA-Region («Middle East and North Africa») und die damit verbundene Gefahr von terroristischen Anschlägen durch Islamisten infolge dieser Kriege nur größer geworden, drittens ist die Zahl der Menschen auf der Flucht durch diese Kriege auf den höchsten Stand seit 1945 angeschwollen (und mobilisiert so im Westen die extreme Rechte), und viertens muss man sich nur einmal vorstellen, was an Entwicklungspolitik möglich gewesen wäre, was für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung hätte getan werden können, wenn schon die USA alleine für den "war on terror" 6,4 Billionen (!) US-Dollar ausgegeben haben – von den wenigstens 800.000 unmittelbaren Kriegstoten ganz zu schweigen. Hinzu kommt fünftens: Die Kriegspolitik des Westens stabilisiert die Regimes, die er von seinem hohen Ross herab kritisiert: Putin säße ohne die westliche Konfrontation nicht so fest im Sattel, weil seine innenpolitische Popularität durch die Rentenkürzungen von 2018 arg gelitten hat und nur die Bedrohung von außen ihn politisch stabilisiert, und weil auch das iranische Regime sich durch die US-Bedrohung von außen zu festigen versteht.

Die kriegsgegnerische Linke muss also sagen können, dass diese Kriege immensen Schaden anrichten, ohne sich mit den angegriffenen Regimes gemein zu machen und ohne den Genossinnen und Genossen vor Ort in den Rücken zu fallen, indem man sie als Regime-Change-Marionetten diffamiert.

Kurzum, Soleimani ist also kein Held. Und dennoch ist es eine bemerkenswerte Tatsache, dass, wie jetzt auch die Süddeutsche Zeitung berichtete, «[d]er Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, der in vielen Ländern des Nahen Osten irantreue Milizen aufgebaut und so zur Destabilisierung der Region beigetragen hat, [in den Irak] gekommen» war, «um Wege auszuloten, die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien abzubauen. Soleimani habe Teherans Antwort auf eine Initiative des Hofs in Riad übermitteln wollen, der Bagdad um Vermittlung gebeten habe. Ähnliche Vorstöße Saudi-Arabiens gab es zuletzt tatsächlich.» Sollte das tatsächlich stimmen, dann, so die SZ weiter, «würde sich der Kontext des Drohnenschlags deutlich anders darstellen, als ihn US-Präsident Donald Trump schildert: Der Militärstratege Soleimani wäre nicht gereist, um Aktionen gegen US-Bürger zu planen. Sondern in einer diplomatischen Mission, die die in der Region seit Monaten schwelende Kriegsgefahr hätte lindern und Konflikte eindämmen können, wie etwa den im Jemen.»

Tatsächlich entsprechen diese Berichte wohl den Tatsachen. Für Freitagfrüh war ein entsprechendes Treffen avisiert. Dies hilft auch erklären, wie es dazu kam, dass infolge der völkerrechtswidrigen Drohnentötung durch die USA das von ihnen selbst installierte irakische Parlament mit 170:0 Stimmen dafür gestimmt hat, die US-Besatzungstruppen aus dem Land zu werfen. Die US-Aggression scheint darauf hinzudeuten, dass Bolton, Petraeus, Pence und die anderen Hardliner hinter Trump weiterhin davon ausgehen, dass die USA ihre Vormachtstellung in der Welt nur durch die Forcierung von Konflikten aufrechterhalten können und diese Konflikte entsprechend schüren: vom Südchinesischen Meer über Osteuropa bis in den MENA-Raum.

Diese Politik ist jedoch nicht im Interesse der Volksmassen auf der Welt, auch nicht der US-amerikanischen. Auf diese Botschaft sollte die Friedensbewegung setzen. Dass diese Botschaft mittlerweile auch von der Mehrheit der Veteranen der US-Kriege so gesehen wird, ist ein gutes Zeichen: 64 Prozent der US-Veteranen finden laut einer jüngeren Umfrage des renommierten Pew-Meinungsforschungsinstituts, dass der Irakkrieg es nicht wert gewesen sei und 58 Prozent sagen dasselbe über den US-Krieg in Afghanistan.

Dem Krieg gegen den Irak, der am 20. März 2003 begann und ohne den die Geschichte der letzten gut anderthalb Jahrzehnte – weder der IS und islamistische Anschläge noch die Fluchtbewegungen und der Terror von rechts – zu denken ist, waren riesige Proteste der Friedensbewegung vorausgegangen. Am Wochenende vom 15./16. Februar 2003 gingen bis zu 10 Millionen Menschen in mehr als 60 Ländern der Welt gegen diesen bevorstehenden Krieg auf die Straße. Allein in Rom waren es fast drei Millionen, 1,5 Millionen in Madrid und eine Millionen in London, über eine halbe Million allein in New York City und auch in Berlin. Die Demonstrationen konnten den Krieg der USA nicht verhindern, aber die Demonstrant*innen standen auf der richtigen Seite der Geschichte.

Ein neuer Krieg der USA gegen den Iran muss verhindert werden. Die Bundesregierung muss sich klar und deutlich gegen die Eskalation seitens der USA positionieren. Am 25. Januar 2020 findet wieder ein globaler Tag des Protests und Widerstands gegen den Krieg statt. Die Proteste vom 25. Januar 2020 verdienen es, die Proteste vom 15./16. Februar 2003 noch in den Schatten zu stellen. Nach den Erfahrungen der letzten 17 Jahre sollten auch diejenigen mitdemonstrieren, die es damals nicht taten, weil sie sich der Konsequenzen des Krieges nicht bewusst waren.