Dass auch nach dem Ende des Bauhaus100-Jahres noch nicht alles zum Thema gesagt ist, beweist ein neuer, empfehlenswerter Band zum Bauhaus im heutigen Nordrhein-Westfalen. Er enthält ausgewählte Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung, mit der bereits im September 2018 die Kampagne «bauhaus im westen» eröffnet worden war. Gut 20 Texte sind in fünf Kapitel mit jeweils einer Einleitung gegliedert.
Das bauhaus hatte im Rheinland Förderer, etwa Peter Behrens, der an einigen Orten arbeitete, oder Karl Ernst Osthaus(1874-1921) in Hagen, und es ist mit Orten wie z.B. Krefeld, an denen Johannes Itten und Georg Muchewirkten, verbunden. Nicht zuletzt ist Westfalen und das Ruhrgebiet dank seiner Industriebauten eine Region, in der noch heute sehr viele Bauwerke aus der Ära des «neuen bauens» zu sehen sind.
Der Band verfolgt nun keinen lexikalischen oder enzyklopädischen Ansatz, sondern greift pointiert einzelne Aspekte heraus und will auch die gängigen Mythen befragen. Er verfolgt einen «breiten» Begriff von Gestaltung und bindet die Perspektive von Demokratie in der Weimarer Republik immer wieder mit ein. Das bedeutet auch zu benennen, dass die konservativen und völkischen, später nazistischen Gegner des bauhaus´ auch die der Weimarer Republik waren.
Eine neue Perspektive ist z.B. die Frage, ob die in der Zeit ab 1918 vielerorts beschworene, und auch praktizierte Kreativität eine Reaktion auf posttraumatische Belastungsstörungen ist, unter der viele Kriegsteilnehmer litten. Der Technikhistoriker Karsten Uhluntersucht in seinem Beitrag, inwiefern die Reform z.B. des Industriebaus in den 1920er Jahren auch ein Mittel zur Rationalisierung von Produktion und Arbeit war. Ordnung, Planung und Funktionalität, Begriffe, die von vielen am bauhaus, und auch von anderen reformorientierten Akteur_innen benutzt werden, sind eben aus sich heraus keine emanzipatorischen Begriffe; die Übergänge zwischen Ästhetik und Produktivität fließend.
Spannend ist auch der Gedanke, dass das Selbstverständnis der Sozialdemokratie als Bildungsbewegung auch zu einem verstärkten Interesse an Kunst und Architektur in diesem politischen Spektrum führte. Architektur ist damals allgemein, nicht nur auf der Linken, sichtbarer Ausdruck von Politik. Im Band werden aber auch eher unbekannte Einzelpersonen vorgestellt, etwa Max Burchatz(1887-1961), der u.a. avantgardistischer Werbegrafiker, wie auch Lehrer an der progressiven Folkwang-Schule in Essen war.
Der preiswerte Band ist für eine mit beachtlicher «staatlicher» unterstützung entstandene Publikation erstaunlich differenziert und kritisch. Leider enthält er kein Personen- oder Ortsverzeichnis.
Joachim Henneke/Dagmar Kift/ Thomas Schleper (Hrsg.): die welt neu denken, Aschendorff Verlag, Münster, Dezember 2019, 260 Seiten, 19,90 EUR