Nachricht | Hoher Preis für Korruptionsskandal

Bei den slowakischen Parlamentswahlen wurden die regierenden Sozialdemokraten abgestraft.

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Die Wahlverlierer: Der Vorsitzende der sozialdemokratischen SMER Robert Fico (l.) und der bisherige Ministerpräsident und Spitzenkandidat Peter Pellegrini (r.) geben nach den Parlamentswahlen eine Pressekonferenz in der Parteizentrale. picture alliance/REUTERS

Am 29. Februar 2020 fanden in der Slowakei Parlamentswahlen zum Nationalrat statt. In ersten Reaktionen am Wahlabend wurde vielfach von einem politischen Umbruch gesprochen, den der Wählerwille durchgesetzt habe. Die Ereignisse schienen sich manchmal zu überschlagen, doch ist die politische Landschaft am Tag danach durchaus übersichtlich.

Dr. Joanna Gwiazdecka ist Leiterin des Regionalbüros für Tschechien, Slowakei und Ungarn in Prag.

Die großen Verlierer waren die bisherigen Regierungsparteien: Die kleineren Koalitionspartner scheiterten an der Fünfprozenthürde – so erging es den Slowakischen Nationalisten (SNS) und der moderaten Partei der ungarischen Minderheit Híd/Most (Brücke). Doch wurde vor allem auf das Abschneiden der bisherigen stärksten Regierungspartei geschaut. Die sozialdemokratisch ausgerichtete SMER (Richtung) erlitt heftige Einbußen, kam bei einer auf 65,8 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung auf nur noch auf 18,29 Prozent der abgegebenen Stimmen (2016 waren es 28,28 Prozent) und wird nun stärkste Oppositionspartei mit immerhin noch 38 von insgesamt 150 Parlamentssitzen. Die Beobachter waren sich bereits vorher einig, dass die Partei, die seit 2006 mit einer kurzen Unterbrechung die Geschicke des Landes politisch entscheidend geprägt hat, einen hohen Preis zahlen wird für die offenkundigen Verwicklungen in einen Korruptionsskandal, der mit der Ermordung des jungen Journalisten Ján Kuciak 2018 einen traurigen Höhepunkt erlebte. Ob der bisherige Ministerpräsident Peter Pellegrini und Parteivorsitzender Robert Fico auch weiterhin an einem Strang ziehen werden, muss einstweilen offenbleiben, denn beide – das zeigten die ersten Reaktionen auf das Wahlergebnis – haben durchaus unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der Sozialdemokraten in der Slowakei.

Kein Wunder also, dass das Korruptionsthema im Wahlkampf nahezu alle anderen Themen in den Schatten stellte, wobei insbesondere der Wahlsieger virtuos auf dieser Klaviatur zu spielen verstand.  Die Partei OLaNO (Partei gewöhnlicher Menschen und unabhängiger Kandidaten) erreichte 25,02 Prozent der abgegebenen Stimmen, was 53 Abgeordnetensitze bedeutet. Parteichef Igor Matovič wird nun als künftiger Ministerpräsident die Geschicke des Landes maßgeblich bestimmen. Matovič ist ein Unternehmer aus dem Medienbereich und der Immobilienbranche, der also so gesehen viele Ähnlichkeiten mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Andrzej Babiš besitzt. Die von Matovič geführte Partei ist ausschließlich eine Wahlpartei, verweist gerne darauf, nur wenige eingeschriebene Mitglieder zu haben, also für all die anderen da zu sein – für die gewöhnlichen Menschen und die unabhängigen Kandidaten.

Insofern ist das Scheitern der gemeinsamen Liste «Progressive Slowakei» interessant, denn mit dieser Gruppierung hatte die Staatspräsidentin Zuzanna Čaputová versucht, ein parlamentarisches Standbein zu gewinnen, um künftig stärkeren Einfluss auf die laufende Politik nehmen zu können. Das Vorhaben gelang nicht, denn das liberal-alternative Wahlbündnis scheiterte mit 6,96 Prozent der abgegebenen Stimmen denkbar knapp an der obligatorisch höheren Siebenprozenthürde.

Mit wem Wahlsieger Matovič nun ins Koalitionsbett steigen wird, muss noch offenbleiben. Beobachter sprechen von schwierigen Verhandlungen, die bevorstehen, denn wahrscheinlich wird es auf eine Dreierkoalition hinauslaufen.

Als potentielle Regierungspartner kommen für Matovič drei Gruppierungen infrage, die mit ihren eigenen Wahlergebnissen nicht ganz zufrieden sein dürften, blieben sie doch im einstelligen Bereich. Die konservative Flanke im künftigen Parlament wird die von Boris Kollar geführte SME Rodina (Wir sind eine Familie) spielen, die 8,24 Prozent der abgegebenen Stimmen und 17 Parlamentssitze erreichte und damit gegenüber 2016 nur leicht zulegen konnte. Die Familien-Partei wird als erster Koalitionspartner gehandelt, auch deshalb, weil es viele programmatische Schnittstellen mit dem Wahlsieger gibt. Auch hier wurde alles auf einen Spitzenkanditen zugeschnitten, die Kampagne nannte sich einfach «Boris, hilf!». Kollar behauptet bis heute, eigentlich kein typischer Politiker zu sein, vielmehr mit dem Herzen zu denken.

Auch die sich liberal gebende Gruppierung SaS (Freiheit und Solidarität), die 6,22 Prozent der abgegebenen Stimmen und 13 Abgeordnetensitze erreichte, wird als Koalitionspartner gehandelt. Die von Richard Sulik geführte Partei gilt als EU-skeptisch, was allerdings unter Regierungsbedingungen aufgeweicht werden könnte. Ausgesprochen EU-freundlich ist hingegen die vom ehemaligen Staatspräsidenten Andrej Kiska geführte konservativ-liberale Partei «Für die Menschen», die auf 5,77 Prozent der abgegebenen Stimmen und 12 Abgeordnetensitze kam, allerdings im Vorfeld der Wahlen wohl mehr erwartet haben dürfte.

Schließlich zog mit der sich als Volkspartei bezeichnenden Gruppierung «Unsere Slowakei» unter Marian Kotleba eine Kraft ins Parlament ein, die sich offen zur faschistischen Vergangenheit der Slowakei von 1939 bis 1945 bekennt, EU-feindlich ist und sich für eine «wahrhaft unabhängige» Slowakei einsetzt. Die Kotleba-Partei erreichte 7,97 Prozent der abgegebenen Stimmen und 17 Abgeordnetensitze, womit sie das Ergebnis von 2016 bestätigte.

Während beim großen Wahlverlierer SMER wohl Änderungen ins Haus stehen dürften, wird nun künftig vor allem zu beobachten sein, wie Wahlgewinner Matovič seine Wahlversprechen umzusetzen gedenkt. Versprochen wurde vieles – gezeichnet wurde so ein bunter Bogen von liberalen bis hin zu christlich-konservativen Positionen. Neben entschiedener Korruptionsbekämpfung spielten vor allem Themen wie das Gesundheits- und Bildungswesen eine größere Rolle. Interessant ist, dass OLaNO auch die Situation der Roma-Minderheit thematisierte. Unter den neugewählten Abgeordneten befindet sich auch die Journalistin Jarmila Vaňová – eine bekannte Roma-Aktivistin –, die sich vornehmlich für die stärkere Emanzipation von Roma-Frauen einsetzt und zudem sehr gute Kontakte zu einer Partnerorganisation der RLS in der Slowakei unterhält. In einem Gespräch mit der Stiftung kritisierte sie im Vorfeld der Wahlen, dass die Roma-Minderheit immer erst zu den Wahlen entdeckt werde, weil auf Stimmenzuwachs gehofft werde, danach aber bleibe es oftmals bei der sprichwörtlichen kalten Schulter. 

Im neuen Parlament werden nur 30 Frauen vertreten sein, was – trotz der direkt gewählten Staatspräsidentin – ein grundlegendes Problem in der slowakischen Politik anzeigt, parteiübergreifend übrigens: 14 Parlamentarierinnen stellt OLaNO, jeweils vier von SME Rodina und «Für die Menschen», jeweils drei kommen von SMER und SaS, zwei von «Unsere Slowakei».