Nachricht | Kapitalismusanalyse - Soziale Bewegungen / Organisierung - International / Transnational - Gesellschaftliche Alternativen - Globale Solidarität Die «Modern Monetary Theory» in der Peripherie

Was hat die MMT den Entwicklungsländern zu bieten?

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Ndongo Samba Sylla, Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar
Ndongo Samba Sylla, Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar Foto: privat

Letztes Jahr haben fünf republikanische Senator*innen ein politisches Manöver vorgeführt, das in einem formaldemokratischen Staat wie den USA neuartig war: Sie stellten eine Resolution vor, die vom US-Senat verlangt, eine Wirtschaftstheorie zu verurteilen, da ihre Anwendung «eine deutliche Gefahr für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten darstellen» würde. Stein des Anstoßes war die Modern Monetary Theory (MMT). Doch was ist eigentlich so empörend an dieser verteufelten Theorie, dass sie die Ablehnung und die Wut rechter Politiker*innen auf sich zieht?

Die MMT basiert auf einer Reihe von Ideen, die ziemlich offensichtlich sind, wenn wir ernsthaft über sie nachdenken, die aber einer breiteren Öffentlichkeit oft vorenthalten werden. Sie besagt etwa, dass Geld niemals ausgehen kann; dass Staaten mit souveräner Währung in ihren Ausgaben nicht durch Steuereinnahmen begrenzt sind; dass Arbeitslosigkeit weder zwangsläufig noch notwendig ist, um Preisstabilität zu erreichen (denn monetär souveräne Staaten können eine Vollbeschäftigungspolitik praktizieren, die Preisstabilität wahrt); und dass das Ausmaß des Defizits und der Schulden eines monetär souveränen Staats wie etwa den USA weniger ins Gewicht fällt als die grundlegenden Wirtschaftsziele, die damit verfolgt werden.

Ndongo Samba Sylla arbeitet als Entwicklungsökonom für das Regionalbüro Westafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung im senegalesischen Dakar und ist Autor des in Kürze erscheinenden Buches «The Last Colonial Currency: A History of the Franc CFA» (Pluto Press, 2020).

Die MMT ist ein makroökonomischer Ansatz, der im Laufe von drei Jahrzehnten von einer Gruppe heterodoxer Ökonom*innen entwickelt wurde, und beschreibt, wie sich das Geldsystem und das fiskalische Handeln des Staats in Ländern gestalten, die über eine souveräne Währung verfügen. Die MMT findet zunehmend mediale Beachtung, nicht zuletzt deshalb, weil sie den Anhänger*innen des Green New Deal in den USA, in Europa und in anderen reichen Ländern als Inspirationsquelle dient. Ihren Hauptvertreter*innen zufolge geht es bei der MMT «letztendlich» nicht um Geld. Geld ist lediglich eine Voraussetzung, um ein wichtigeres Thema anzugehen, nämlich wie man Binnenressourcen zum Zwecke der Vollbeschäftigung der Erwerbsbevölkerung und zugunsten weiterer öffentlicher Aufgaben mobilisieren kann.

Ihr Fokus auf die Mobilisierung von Binnenressourcen ist es, was die MMT für Entwicklungsländer interessant macht, d.h. für Länder, die zwar oft über reichliche Ressourcen verfügen, denen es aber nicht gelingt, sie wirkungsvoll zu mobilisieren. Obwohl sich die Literatur zur MMT bislang auf reiche Länder konzentriert und obwohl die MMT keine Entwicklungstheorie darstellt, bietet sie dennoch eine aufschlussreiche Perspektive, um die wirtschaftlichen Probleme in Peripherieländern zu untersuchen. Bevor wir uns näher anschauen, welche Rolle die MMT dort spielen kann, müssen wir zunächst jedoch klären, was monetäre Souveränität eigentlich bedeutet und welche Einwände gegen die MMT in Entwicklungsländern vorgebracht werden.   

Was bedeutet monetäre Souveränität?

Laut L. Randall Wray, einem der wichtigsten Vordenker der MMT, gilt ein Land dann als souveräner Währungsemittent, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • «die Staatsregierung entscheidet über eine monetäre Recheneinheit, in der die Währung definiert wird;
  • die Staatsregierung erlegt Verbindlichkeiten auf (Steuern, Gebühren, Strafzahlungen, Abgaben, Zehnten), die in der festgelegten monetären Recheneinheit bezeichnet werden;
  • die Staatsregierung gibt eine Währung in der festgelegten monetären Recheneinheit heraus und akzeptiert diese Währung als Zahlungsmittel für die auferlegten Verbindlichkeiten; und
  • wenn die Staatsregierung sich selbst gegenüber weitere Verbindlichkeiten auferlegt, dann werden auch diese in der festgelegten monetären Recheneinheit bezeichnet und sind in der eigenen Währung zu bezahlen.»

Der letztgenannte Punkt besagt, dass eine Staatsregierung sich nicht in einer Auslandswährung verschuldet. Wray zufolge ist «ein fünfter, wichtiger Aspekt», dass es einen variablen Wechselkurs gibt, der der Staatregierung größeren fiskalischen Handlungsraum eröffnet.

Für die MMT besteht ein entscheidender Unterschied zwischen den Emittenten und den Nutzern einer Währung. Haushalte etwa sind Nutzer einer Währung. Von daher ist ihr Budget beschränkt: Sie müssen eine Balance zwischen ihren Einnahmen und Ausgaben wahren. Ein souveräner Währungsemittent ist dagegen nicht wesentlich finanziell beschränkt, d.h. ihm kann das Geld niemals ausgehen – er kann in der eigenen Währung niemals insolvent werden und kann daher prinzipiell alles finanzieren, was in der eigenen Währung erworben werden kann. Überdies ist er grundsätzlich in der Lage, den Zinssatz für die vom ihm auferlegten Verbindlichkeiten festzulegen. Doch monetär souveräne Regierungen können sich auch dafür entscheiden, ihren fiskalischen Spielraum zu beschränken, etwa durch Obergrenzen für Staatsdefizit und Staatsverschuldung.

Die MMT steht im Widerspruch zum Ansatz des «soliden Finanzmanagements», der souveräne Währungsemittenten fälschlicherweise mit Haushalten gleichsetzt. Diese theoretische Schwachstelle verzerrt den Begriff des Staatsdefizits und führt oft zu einer desaströsen Wirtschaftspolitik. Im Rahmen sektoraler Salden betrachtet zeigt sich dagegen, dass das staatliche Finanzdefizit – die über die Einnahmen hinausgehenden Staatsausgaben – genau dem Überschuss im außerstaatlichen Sektor entspricht. Anders gesagt drückt das staatliche Defizit einen Überschuss im privaten Sektor aus. Wenn eine Regierung, aus welchen Gründen auch immer, dazu veranlasst wird, einen Überschuss zu erzielen – wenn die Staatsausgaben also geringer als die Einnahmen sind –, dann wird der außerstaatliche Sektor zwangsläufig ein finanzielles Defizit aufweisen. Dies äußert sich in der Regel – wenn keine große externe Nachfrage (d.h. ein Leistungsbilanzüberschuss) vorhanden ist – durch ein geringes Wachstum und wenig neue Arbeitsplätze.

Aus Perspektive der MMT hat es also wenig Sinn, wenn souveräne Währungsemittenten versuchen, das Staatsdefizit und die Staatsschulden zu begrenzen. Vielmehr gilt es, durch Defizitfinanzierung im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden realen Ressourcen die dringlichsten «Defizite» in ihren realen Erscheinungsformen anzugehen: Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, fehlender Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, Mangel an Wohnungen und Infrastruktur usw. Entgegen voreiliger Interpretationen besagt die MMT aber nicht, dass Regierungen ihr Defizit beliebig erhöhen können, sondern dass es für souveräne Währungsemittenten eine reale Beschränkung gibt, nämlich die Inflation. Ihrem Umgang mit Defiziten sind durch die ihnen zur Verfügung stehenden realen Ressourcen Grenzen gesetzt. Wenn es infolge von Rigiditäten auf der Angebotsseite nicht gelingt, die Binnenwirtschaft durch zusätzliche Nettostaatsausgaben anzukurbeln, wird das eine Inflation bewirken. Doch im Gegensatz zum neoliberalen Ansatz, bei dem die Preisstabilität (von Gütern und Dienstleistungen) durch Aufrechterhaltung einer hohen Arbeitslosenquote erreicht wird, schlägt die MMT eine «Arbeitsplatzgarantie» als Instrument vor, um sowohl Preisstabilität als auch Vollbeschäftigung zu erreichen.

Aufgrund ihres unkonventionellen Ansatzes und anhaltenden Medienechos wird die MMT sowohl von etablierten als auch heterodoxen Ökonom*innen immer häufiger diskutiert und kritisiert. Erstaunlich dabei ist, dass oft Entwicklungsländer herangezogen werden, um Einspruch gegen die MMT zu erheben. Vor allem in den sozialen Medien und außerakademischen Kreisen stößt die MMT häufig auf zwei teils widersprüchliche Kritikpunkte, nämlich dass sie nicht auf Entwicklungsländer «anwendbar» sei und dass ihre «Implementierung» dort zu einer Hyperinflation führen würde.

Ist die MMT außerhalb von reichen Ländern relevant?

Der Einwand, die MMT ließe sich nicht auf Entwicklungsländer «anwenden», ist derart vage, dass er zwangsläufig unhaltbar ist. Was genau soll nicht «anwendbar» sein? Die konzeptuellen Erkenntnisse der MMT oder MMT-inspirierte politische Rezepte? Diesen Standpunkt zu übernehmen, stützt die fragwürdige Annahme, die theoretischen Eckpfeiler der MMT – Chartalismus, endogenes Geld, sektorale Salden, Functional Finance und Arbeitsplatzgarantie – wären unbrauchbar für die empirische Analyse von Kontexten außerhalb reicher Länder. Der Bezugsrahmen der sektoralen Salden ist jedoch ein deskriptives Werkzeug, das für reiche und periphere Länder gleichermaßen geeignet ist. Auch die Functional Finance ist als wirtschaftspolitische Richtschnur für Entwicklungsländer zweifellos von größerem Nutzen als die Grundsätze des soliden Finanzmanagements.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet einer der aussagekräftigsten Analyserahmen zum Verständnis der monetären und finanziellen Dimensionen des Kolonialismus für die heutzutage «Entwicklungsländer» genannten ehemaligen Kolonien irrelevant sein soll. Tatsächlich ist die MMT viel besser als konkurrierende Ansätze dafür geeignet, den Übergang von indigenen zu kolonialen Währungen nachzuvollziehen.

Die Geschichte des monetären Kolonialismus in Afrika bietet zahlreiche Belege für das chartalistische Prinzip «Steuern treiben Geld an». In den meisten Fällen setzte die ökonomische Ausbeutung der Kolonien die monetäre Vereinheitlichung und Zentralisierung in den Händen der jeweiligen Kolonialmetropole voraus.

Den Kolonialmächten dienten Steuern – insbesondere direkte Steuern – nicht dazu, ihre koloniale Expansion zu «finanzieren», sondern als Instrument, um eine Nachfrage nach der Kolonialwährung zu schaffen und damit die Produktions-, Konsum- und Tauschbedingungen an den Bedarf in der Kolonialmetropole anzupassen. Um Steuern bezahlen zu können und dadurch Zugang zur Kolonialwährung zu erhalten, mussten afrikanische Bevölkerungen freiwillig oder unfreiwillig Arbeit annehmen, und zwar in jenen Bereichen, in denen die Kolonialverwaltung zu Ausgaben bereit war. Dies war in Nigeria und auch in den meisten anderen afrikanischen Kolonien der Fall, wie Toyin Falola und Matthew M. Heaton angemerkt haben: «Durch die Einführung von direkten Steuern wurde es der nigerianischen Bevölkerung praktisch unmöglich, sich der Kolonialwirtschaft vollständig zu entziehen. Um ihre Steuern bezahlen zu können und sich selbst und ihre Familien auf die Seite der Gesetzestreuen zu stellen, waren viele Menschen in Nigeria dazu angehalten, sich zumindest zeitweise in die Klasse der Lohnarbeitenden einzufügen.»

In ihren eigenen Kolonien waren Kolonialmächte wie England und Frankreich daher keinen intrinsischen finanziellen Beschränkungen unterworfen. Sie konnten sich sämtliche Güter und Dienste leisten, die in ihrer eigenen Währung käuflich erwerbbar waren. In puncto Ressourcen mussten sie sich dennoch mit einer realen Beschränkung auseinandersetzen: Anfänglich wollten sich die meisten Arbeiter*innen schlichtweg nicht in die Kolonialwirtschaft einbringen.

MMT = Hyperinflation?

Ebenso unbegründet ist der Kritikpunkt, die «Implementierung» der MMT würde zu einer Hyperinflation führen. Dieser Einwand ist insofern vereinfachend, als die MMT dabei zu Unrecht als eine Position dargestellt wird, die große Staatsdefizite, die mit der «Gelddruckmaschine» finanziert werden, bedingungslos befürwortet. Vor allem basiert diese Kritik auf Unkenntnis über das Wesen der Hyperinflation, deren Ursachen fälschlicherweise mit denen der Inflation gleichstellt werden.

Hyperinflation ist in der neueren Geschichte ein äußerst seltenes Phänomen: Seit 1900 wurden auf Grundlage einer monatsbasierten Definition (monatliche Inflationsrate von über 50 Prozent an dreißig aufeinanderfolgenden Tagen) insgesamt 57 Fälle verzeichnet. Der jüngste Fall ereignete sich in Venezuela. Die ersten beiden großen «Hyperinflationswellen» folgten jeweils im Anschluss an die beiden Weltkriege. Die intensivsten Phasen ereigneten sich zwischen 1973 und 1990, nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems, und in den frühen 1990er Jahren, nach der Auflösung des Sowjetblocks und des Staatssozialismus in Osteuropa. In Afrika haben, trotz zahlreicher Episoden der Geldmisswirtschaft, nur drei von 55 Ländern eine Hyperinflation erlebt: die Demokratische Republik Kongo (das frühere Zaire), Angola und Simbabwe.

Grundsätzlich ist die Entstehung einer Hyperinflationsspirale durch drei Faktoren bedingt: politische Instabilität im Inland (z.B. zivile Konflikte), Auflösung des Wirtschaftsgeflechts (Produktionsausfälle, unterbrochene Lieferketten usw.) und eine feindliche externe Umgebung (Kriege, Reparationsforderungen, Handels- und Finanzembargos usw.). Allgemein betrachtet hat sich die feindliche externe Umgebung als ausschlaggebender Faktor erwiesen.

In den meisten Fällen war der Einsatz der «Gelddruckmaschine» nicht das auslösende Moment der Hyperinflation, sondern eine Folge des wirtschaftlichen Niedergangs und der fehlenden Unterstützung aus dem Ausland. In Wirklichkeit ist Hyperinflation nie ein primär monetäres, sondern zumeist ein geopolitisches Phänomen, das dann entsteht, wenn Länder auf große politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten stoßen und es der internationalen Gemeinschaft nicht gelingt, die geeignete Unterstützung anzubieten. Hyperinflation zeugt also eher von einer gravierenden Schwachstelle im multilateralen System und lässt sich nicht auf die einfache Erzählung von Geldmisswirtschaft und fiskalischer Verantwortungslosigkeit reduzieren.

Jedenfalls lässt sich die These, Hyperinflation sei ipso facto ein Resultat fiskalischen Regierungshandelns, nicht durch Fakten stützen, wie He Liping in seinem Buch Hyperinflation. A World History hervorhebt: «solange eine Regierung in der Lage ist, sich im In- oder Ausland zu einem vertretbaren Preis Geld zu leihen, wird ihr Etatdefizit – unabhängig von seiner Höhe – nicht unbedingt zu Hyperinflation und vielleicht nicht einmal zu erheblicher Inflation führen. Sich kein Geld leihen zu können, ist es, was zur Übernahme einer Inflationspolitik veranlasst und was schließlich im Kontext des politischen und institutionellen Versagens von Inflationsbekämpfungsprogrammen zur Hyperinflation führt.»

Das Spektrum der monetären Souveränität

Dass die MMT für Entwicklungsländer politisch relevant sein könnte, heißt jedoch nicht, dass die für entwickelte Länder formulierten Politikempfehlungen dort direkt und ohne weiteres anwendbar wären. In Anbetracht der spezifischen Beschränkungen, denen Entwicklungsländer unterliegen, ist in dieser Hinsicht Bescheidenheit geboten. Wie Randall Wray dazu angemerkt: «Die MMT kann ein nützlicher Ratgeber sein, auch wenn sie keine Zauberformel bietet, mit der sich sämtliche Probleme in Entwicklungsländern wegwünschen lassen.»

Mit Ausnahme jener Länder, die Teil einer Währungsunion sind (zum Beispiel der CFA-Franc-Zone) oder deren Währung an den Dollar gebunden ist, verfügen Entwicklungsländer in monetärer Hinsicht über formale Souveränität – in dem Sinne, dass sie eine Zentralbank haben, die die Währung herausgibt, in der die Binnensteuern erhoben werden. Allerdings sind diese Länder fast nie vollständig monetär souverän im Sinne der MMT. Das hat aber weniger mit der Beschaffenheit ihres Wechselkurssystems zu tun, sondern damit, dass sie häufig dazu gezwungen sind, sich in einer Fremdwährung zu verschulden. Afrika ist ein Paradebeispiel für dieses Dilemma. Laut Weltbank waren Algerien und Nigeria, beides kohlenwasserstoffreiche Länder, im Jahr 2018 die zwei afrikanischen Länder, die das Kriterium der Staatsschuldenfreiheit im Ausland am ehesten erfüllen, wobei das Verhältnis zwischen Auslandsverschuldung und BIP dort jeweils bei 0,7 und 6,6 Prozent lag.

In Entwicklungsländern ist die strukturelle Verschuldung in einer Fremdwährung ein Symptom ihrer vielfältigen Abhängigkeiten. Während entwickelte Länder ihre externen Defizite über die eigene Währung finanzieren können (entweder direkt oder indem sie auf Devisenmärkten in geeignete Währungen tauschen), bietet sich diese Option den Entwicklungsländern, deren Währungen auf Devisenmärkten nicht gefragt sind, grundsätzlich nicht. Zu diesem monetären Ungleichgewicht kommt hinzu, dass viele Entwicklungsländer auf andere Entwicklungsländer angewiesen sind, und zwar als Export-Absatzmärkte und für den Import von Zwischengütern und Investitionsgütern. Unter diesen Bedingungen scheint die Fremdwährungsverschuldung – sowie die Förderung von Auslandsdirektinvestitionen – für Entwicklungsländer unvermeidbar, denn so können sie Devisenreserven anlegen, um notwendige Importe und frühere Schulden zu bezahlen. Selbst eine «Erfolgsgeschichte» wie die von Südkorea wäre ohne Auslandsschulden unvorstellbar.

Aufgrund ihrer monetären, finanziellen, technologischen, wirtschaftlichen und militärischen Abhängigkeit verfügen Entwicklungsländer nicht über denselben fiskalischen Spielraum wie entwickelte Länder. Dieser Punkt wurde auch von einigen MMT-Vertreter*innen bestätigt, die daher von einem «Spektrum der monetären Souveränität» sprechen, von einem Kontinuum also, auf dem sich Staaten entsprechend ihrer finanziellen Abhängigkeit einordnen lassen. Tatsächlich wirken sich die «externen Beschränkungen», denen die Entwicklungsländer unterworfen sind, auch als klare «Inflationsbegrenzung» aus, aber dennoch ist dieser Punkt kein hinreichendes Gegenargument gegen die MMT. Schließlich lautet die zentrale Frage aus MMT-Perspektive, wie sich gerade angesichts dieser externen Beschränkungen der fiskalische Spielraum von Regierungen in Entwicklungsländern weitmöglichst ausbauen lässt. Es bleibt fraglich, inwieweit die Kritiker*innen der MMT bezüglich dieses Aspekts ein überzeugendes theoretisches Alternativmodell anbieten können.

Bestehende Ressourcen für den Wandel mobilisieren

Trotz ihrer begrenzten monetären Souveränität mangelt es Entwicklungsländern nicht an realen Ressourcen wie etwa Land, Arbeitskräfte, Rohstoffe usw. Das Problem liegt eher darin, dass diese Ressourcen nicht zum Einsatz kommen (vor allem nicht die Arbeitskräfte) und dass ihre Einsatzweise nicht der breiten Bevölkerung dient. In diesem Zusammenhang lautet die Hauptempfehlung der MMT, dass Entwicklungsländer alles in ihrer Macht Stehende tun sollten, um lokale Ressourcen zu mobilisieren, und zwar, indem sie der Finanzierung durch die eigene Währung gegenüber der externen Finanzierung so weit wie möglich Vorrang geben (siehe dazu hier, hier und hier).

Der bekannte Ökonom und MMT-Anhänger Jan Kregel empfiehlt Entwicklungsländern eine auf der Mobilisierung ihrer Arbeitskräfte basierende Entwicklungsstrategie. Ziel dabei ist das Erreichen der Vollbeschäftigung durch Arbeitsplatzgarantie oder durch staatliches Handeln als «Arbeitgeber der letzten Instanz», was mit lokalen Ressourcen finanziert werden würde, um externe Schulden zu vermeiden. Dies könnte derart gestaltet werden, dass importierte Güter (wie etwa Nahrungsmittel) verstärkt lokal weiterverarbeitet werden, damit die Importausgaben nicht in die Höhe schießen und somit auch kein indirekter Bedarf an externer Finanzierung entsteht. Laut Kregel kann diese Strategie aber nur dann aufgehen, wenn Regierungen in Entwicklungsländern Etatdefizite zulassen.

Eine Schwierigkeit besteht darin, dass internationale Finanzinstitutionen den Grundsätzen des soliden Finanzmanagements anhängen und sich daher eigentlich nicht für Wirtschaftsentwicklung interessieren. Sie achten eher darauf, dass Entwicklungsländer ihre externen Schulden bezahlen können und ihre Märkte weiter für das internationale Handels- und Finanzwesen öffnen. Das erklärt auch, warum es öfter die Entwicklungsländer sind, die mit ihren Nettoressourcentranfers die reichen Länder finanzieren, als umgekehrt.

MMT-Anhänger wie William Mitchell räumen ein, dass Entwicklungsländer mit «spezifischen Problemen zu tun haben, die nicht einfach überwunden werden können, indem man nur das fiskalische Defizit erhöht». Doch zugleich betonen sie, diese Länder müssten selbst darüber «entscheiden» können, in welchem Sektor sie ein Defizit machen wollen. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass nicht alle drei Sektoren (also der staatliche, private und externe Sektor) gleichzeitig einen Überschuss aufweisen können. Ein anhaltendes Defizit im Privatsektor ist deshalb nicht erstrebenswert, weil es zur Verarmung der Haushalte und Unternehmen im Inland führt. Doch ein Überschuss im externen Sektor ist ebenso wenig erstrebenswert, denn das würde zu mehr Nettoressourcentransfers an reiche Länder führen. Ein Staatsdefizit ist aber deshalb oft erstrebenswert und auch notwendig, weil nicht alle Entwicklungsländer gleichzeitig einen Überschuss (oder ein Defizit) im externen Sektor erwirtschaften können.

Diese Überlegungen zu sektoralen Gleichgewichten spielen vor allem hinsichtlich der Debatten um den globalen Green New Deal eine Rolle. Denn falls die Nettoressourcentransfers – insbesondere im Bereich Technologietransfer – aus reichen Ländern ausbleiben sollten, dann könnte sich der Green New Deal des Globalen Nordens im Globalen Süden als Grey New Deal herausstellen: nämlich als weiteres Outsourcing der Umweltschäden und Wirtschaftskosten des Globalen Nordens an den Globalen Süden.  

Kurzum ist die Perspektive der MMT hilfreich, um die Mängel des makroökonomischen Steuerungsrahmens in Entwicklungsländern herauszuarbeiten. Die MMT verdeutlicht, wie das Ziel der Wahrung fiskalischer Ausgeglichenheit die Mobilisierung von Binnenressourcen blockiert, und zeigt zudem auf, wie das globale Wirtschaftssystem eine Tendenz zur Polarisierung stärkt. Das sind keine völligen Neuerkenntnisse, doch sie aus frischer Perspektive noch einmal zu betrachten, ist mehr als lohnenswert.
 

[Übersetzung von Utku Mogultay und Katharina Martl für Gegensatz Translation Collective]