Die inhaltlichen Unterschiede zwischen dem als liberal-konservativ geltenden Bronislaw Komorowski und dem häufig als national-konservativ beschriebenen Jaroslaw Kaczynski sind so groß nicht. Was sie eint, ist ein fest gefügtes, auf wenige Werte gestütztes Gesellschaftsbild. Die Unterschiede sind eher Variationen eines großen Themas. Nicht von ungefähr sprachen selbst liberale Medien davon, zur Wahl stünden zwei unterschiedliche Vorstellungswelten von Patriotismus. Unter den übrigen Kandidaten nahmen immerhin zwei für sich in Anspruch, linke Positionen zu vertreten.
Grzegorz Napieralski, der erst knapp die Altersgrenze für Präsidentschaftsbewerber (35) überschritten hat, stand anfangs vor keiner einfachen Situation. Nachdem er sich entschieden hatte, den in Smolensk ums Leben gekommenen Jerzy Szmajdzinski als Kandidaten seiner Partei zu ersetzen, erntete der SLD-Vorsitzende zunächst viel Kopfschütteln. Zu jung, zu unerfahren sei er, ohne jede Chance – so häufig der Tenor in seinem Umfeld.
Aleksander Kwasniewski hatte nach der Flugzeugkatastrophe angeregt, das SLD möge wegen der Umstände überhaupt auf einen eigenen Kandidaten verzichten. Er schlug vor, den Liberalen Andrzej Olechowski zu unterstützen, der am Wahltag 1,4 Prozent bekam. Letztlich schwenkte der Altpräsident jedoch ein und erklärte seine Unterstützung für den SLD-Mann, ohne selbst aktiv in den Wahlkampf einzugreifen. Andere »Altlinke« wie Wlodzimierz Cimoszewicz oder Marek Borowski ließen sich indes nicht vom Potenzial des Kandidaten überzeugen. Cimoszewicz erklärte gar seine Unterstützung für Komorowski und warnte vor »verlorenen Stimmen«, die letztlich Kaczynski zugute kämen.
Doch auch ohne die Unterstützung vieler alter Haudegen schlug Napieralski sich wacker und erntete mit 13,7 Prozent ein von vielen gar nicht für möglich gehaltenes Resultat. Damit ist seine Position bei den Linksdemokraten deutlich gestärkt, denn in Umfragen erhielt das SLD in der letzten Zeit oft weniger als zehn Prozent. Napieralski gelang es also ebenso wie Komorowski und Kaczynski, die Werte der eigenen Partei zu erreichen oder zu überbieten.
Den Ausschlag dürften zwei Tatsachen gegeben haben. Zuerst das Alter, das viele für einen Nachteil gehalten hatten. In der jüngsten Wählergruppe bekam Napieralski jedoch fast 20 Prozent. Man nahm ihm also ab, dass er in erster Linie für Künftiges steht, seinen Anspruch auf das hohe Amt nicht aus Verdiensten in der Vergangenheit und in den Schützengräben der jüngeren Geschichte ableitet. Und andererseits scheute er sich nicht, die Vision einer säkularen Gesellschaft auszusprechen. Er sprach davon, dass der Geist der Verfassung gesellschaftliche Wirklichkeit werden müsse. Die Trennung von Staat und Kirche hält er für ein wichtiges Gebot, wenn es um Polens Zukunft gehe. Niemand sonst traute sich, das Konkordat so in Zweifel zu ziehen.
Doch es stünden zwei linke Kandidaten zur Wahl, sagte zu Beginn seiner Kampagne Boguslaw Zietek – – Napieralski und er selbst. Als einziger Kandidat suchte der Vorsitzende einer kleinen Gewerkschaft nebst dazugehörender Partei Unterstützung aus dem Ausland. Der wurde ihm in Form eines durch seinen Wahlstab geschriebenen Briefes zuteil, der auch im deutschen Bundestag zur Unterschrift vorgelegt wurde. In dem Brief hieß es, Zietek stehe für die wirkliche »Solidarnosc«-Tradition und vertrete als einziger Bewerber die arbeitenden Menschen. Bei einem Auftritt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen forderte Zietek entschieden, es sei höchste Zeit, in Polen die eigenen Arbeitsplätze zu schützen, so wie es in Italien Berlusconi erfolgreich tue. Zietek, das andere sich links meinende Gegengewicht, bekam am Wahltag ganze 0,18 Prozent der Stimmen.
Erschienen in: Neues Deutschland, 24.06.2010