Work in Progress: An dieser Stelle begleiten wir Veronika Kracher Woche für Woche bei der Entstehung ihres Buches und präsentieren Interviews und Textauszüge.
Die Frankfurter Journalistin und Autorin Veronika Kracher arbeitet derzeit an einem Buch über Incels – unfreiwillig im Zölibat Lebende (»Involuntary Celibates«). Incels, so Kracher, sind Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. Sie treffen sich in Onlineforen und auf Imageboards und lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein natur- gegebenes männliches Grundrecht sei. Obwohl Incels schon zahlreiche Gewalt- und Terrorakte begangen haben, wurde das Phänomen gerade im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr oberflächlich analysiert. Mit ihrem Buch, das die Geschichte der Bewegung nachzeichnet, die Memes und Sprache der Incels erklärt, ihre Ideologie analysiert und eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Online-Kult anstrebt, will Veronika Kracher diese Lücke füllen.
Nachdem wir sie in der vergangenen Woche nach dem Verhältnis von Incel-Ideologie und Alt-Right befragt haben, soll es in dieser Woche um Verschwörungstheorien der Incels um Corona, Aussteiger und »Meme Wars« gehen.
Du hast davon gesprochen, es sei wichtig, dass Incels lernen, Frauen nicht als Projektionsflächen zu betrachten sondern als Subjekte, was nur möglich ist, wenn sie die Incel-Kontexte hinter sich lassen. Gibt es denn Untersuchungen darüber, aus welchen Gründen Männer die Foren verlassen haben, welche Hilfestellungen von außen geholfen haben und notwendig waren?
Es gibt an Aussteiger- und Support-Projekten den Subreddit »IncelExit« und das Projekt »Love, Not Anger«, das von Alana, der Begründerin der ursprünglich noch nicht misogynen und hasserfüllten Incel-Community. Da es noch kaum Untersuchungen über die Szene selbst gibt, sind die über den Ausstieg noch weniger. Viele ehemalige Incels schreiben davon, dass sie den Hass, sowohl gegen sich, als auch gegen andere, in der Community nicht mehr ertragen hätten. Sie müssten erst erlernen, Frauen wieder als Menschen, und nicht als Monster oder als lebende Löcher zu betrachten, als auch, wie man einen freundlichen und angstfreien Umgang mit anderen Menschen hat. Viele User schreiben davon, dass das Verlassen der Foren einem Entzug gleichen würde, da sie »süchtig« nach dem Besuch derselben gewesen wären, und die Foren ihnen das komplette Sozialleben ersetzt hatten. Auf »IncelSupport« bieten andere Reddit-User*innen ihre Unterstützung und Perspektive an; leider unter ihnen auch einige Maskulinisten oder Pick Up-Artists, die versuchen die verunsicherten jungen Männer von ihrer Ideologie zu überzeugen, aber auch feministisch orientierte Männer und Frauen. Ich selbst habe für mein Buch einen Ex-Incel interviewt, der in den Nuller Jahren in der Szene war und diese verlassen hat, als sie zu misogyn und toxisch wurde, der regelmäßig in dem Forum mit Tipps und Ratschlägen zur Seite steht. Sie alle laufen jedoch auf: »Such dir professionelle Hilfe« hinaus, denn es benötigt definitiv Therapie, um diese Ideologie wieder aus den Gehirnwindungen heraus zu bekommen. Ich denke dass sich bei einer Forschung darüber durchaus Parallelen zu den Aussteigern aus rechten Strukturen oder eher Sekten finden lassen – anders als Neonazis drohen Incels zum Glück nicht, Aussteiger umzubringen. Man verhöhnt sie lediglich.
Die britische Journalistin und Feministin Angela Nagle schreibt in ihrem Buch »Kill all Normies« (Deutscher Titel: »Die digitale Gegenrevolution«), dass sich antifeministische und maskulinistische Ansichten vor allem vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Genderpolitik erklären lassen, als eine Form von Gegenmodell. Sie spricht der Radikalisierung linker Identitätspolitik sehr direkt eine Verantwortung für die Entstehung der Incel-Ideologie und des Antifeminismus der Alt-Right zu. Wie schätzt du diese Perspektive ein?
Das ist einer meiner großen Kritikpunkte an Nagle, die ihrem Buch dem sogenannten »Tumblr-Liberalismus« ein ganzes Kapitel gewidmet hat, in dem sie sich über ein paar queere Blogger*innen im Teenager-Alter mokiert. Nagle baut eine Strohpuppe empörter Internet-Linker auf, die sie so falsch wie generalisierend als die hegemoniale Stimme in einem feministischen Diskurs inszeniert. Sie suggeriert, dass die Auseinandersetzung mit »Nebenwidersprüchen« wie die Debatte um Transgender-Rechte und Identitätspolitik einfach inzwischen zu weit gegangen sei, und Provokationen der Alt-Right durch ihre Infantilität und Weltfremdheit geradezu herausgefordert hätte. In Zeiten, in denen in mehreren republikanischen Staaten transfeindliche Gesetze erlassen werden und LGBTQ-Hassverbrechen einen dramatischen Anstieg erfahren haben, sind solche Aussagen nicht nur ignorant, sondern gefährlich. Anstatt solidarische Kritik an Identitätspolitik, die nicht nur in den USA durchaus stellenweise fragwürdige Züge trägt –mir fallen spontan die Verteidigung von weiblicher Genitalverstümmelung als »kultureller Praxis« ein, oder dass das Kapitalverhältnis als Unterdrückungsverhältnis zunehmend ignoriert wird – zu üben, verfällt sie einer Reproduktion des transfeindlichen »My gender is an attack helicopter«-Meme. Auch deklarierte sie einen Protest gegen einen Vortrag des rechten Bloggers Milo Yiannopoulos als Angriff auf die freie Meinungsäußerung, unterschlägt aber, dass der Quotenschwule der Alt-Right angekündigt hatte, auf der Veranstaltung illegalisierte Migrant*innen namentlich zu outen – dass sie vor dem Verbreiten von Halbwahrheiten nicht zurück schreckt, um ihr Feindbild »Diese verrückten neuen Linken« aufzubauen, ist bedenklich.
Klar, diese Tumblr-Linke IST stellenweise infantil. Aber größtenteils sind es Jugendliche, die sich über Sexualität und Geschlechtsidentitäten austauschen, oftmals auch, da sie keine andere Möglichkeit haben, es anderswo zu tun. Das ist normal, und damit stören sie niemanden, geschweige denn haben sie die ihnen angedichtete politische Wirkmächtigkeit. Wenn man Kritik üben sollte, dann an ihrem stellenweise recht toxischen Umgang untereinander, aber nicht auf die zynische und herablassende Art von Nagle. Das Ding ist: die radikale Rechte HASST Marginalisierte, die um Sichtbarkeit kämpfen, egal auf welche Art und Weise sie das tun. Nehmen wir Anita Sarkeesian als Beispiel: sie argumentiert sachlich und unaufgeregt, und ist trotzdem ein Feindbild. Ich würde ja sagen dass diese Behauptung der Rechten, Linke seien »Special Snowflakes, die von allem getriggert sind« Projektion ist: ich meine, diese Leute regen sich bereits darüber auf, dass man in Videospielen homosexuelle Beziehungen eingehen kann!
Indem der Strohpuppe »Tumblr-Linke« die Schuld für den Aufstieg der Rechten in die Schuhe geschoben wird, ignoriert sie die tatsächlichen Gründe: gekränkte Männlichkeit , gekränktes weißes Herrschaftsdenken, der Wunsch nach der konformistischen Revolte … Gute Kritik an Nagle haben unter anderem die Blogger*innen Evi Herzing und Josh Davies verfasst.
Womit Nagle in meinen Augen richtig liegt, ist ihre Analyse, dass die Strategien und die Ästhetik linker Gegenkulturen von der Neuen Rechten, zu denen sie die Incels in ihrem Buch subsumiert, erfolgreich gekapert worden sind, deren Meme-Kultur heute gewissermaßen die Avantgarde gegenkultureller Strategien darstellt. Ihre dann für mich wiederum nicht nachvollziehbare Konsequenz daraus ist, die Werte der Gegenkulturen zu beerdigen. Hat eine linke, feministische Gegenkultur tatsächlich ausgedient oder siehst du irgendwo durchaus erfolgreiche Strategien gegen die rechte gegenkulturelle Hegemonie?
Wir müssen uns vor Augen halten, dass auch diese linke Gegenkultur, die in den Sechzigern begründet wurde, oftmals misogyne Züge trug. In den »U-Comix« zum Beispiel war frauenfeindliche Gewalt etwas Omnipräsentes, sich linksintellektuell und kritisch gebende Magazine wie der »Playboy« und der »Hustler« haben ihr Image auf der selbstverständlich erscheinenden Ausbeutung von Frauen aufgebaut. Sowas lässt sich natürlich leichter adaptieren als eine konsequent feministische gegenkulturelle Ästhetik. Ich würde zudem auch sagen dass die Aneignung von gegenkultureller Ästhetik, schon bevor es die Alt-Right getan hatte, in der Kulturindustrie angelegt war, um Subversive Inhalte zu entwaffnen und zu kommerzialisieren – Stichwort Punk. Die Alt-Right war lediglich besonders erfolgreich darin, diese verschwörungsideologische Lüge eines linksliberalen und spießigen Mainstream, den man am besten mit dem Verwenden des N-Worts und frauenfeindlichen Memes schockieren kann, zu verbreiten – obwohl man mit Rassismus und Misogynie bei der gesellschaftlichen Mehrheit ja durchaus noch recht gut ankommt, leider. Die Stärke der Alt-Right ist es ja, ihren Anhängern zu suggerieren, sie seien Rebellen gegen das Establishment, eben ganz im Sinne dessen was Theodor Adorno als »konformistische Revolte« analysiert hat.
Aber das bedeutet nicht, dass wir eine feministische, kommunistische Gegenkultur aufgeben sollen! Gerade in Zeiten wie diesen sind Inhalte, die über die bestehenden Verhältnisse hinaus weisen, von besonderer Wichtigkeit. Zudem ist diese Ästhetik ja auch immer von ihren Schöpfer*innen abhängig und somit einem beständigen Wandel unterworfen. Es werden ja auch immer wieder neue, subversive Ästhetiken erfunden und etabliert: die junge linke Transgender-Community auf Reddit arbeitet mit Anime-Referenzen, sozialistischen Symboliken und Vaporwave-Ästhetiken, um stellenweise sehr obskure Memes anzufertigen. Memes sind ja nicht nur Instrument, um Inhalte zu vermitteln, sondern gerade in marginalisierten Online-Gruppen Möglichkeit eines Ausdrucks von Gefühlen; oder sie können als Polemik gegen die herrschenden Verhältnisse fungieren. Jedenfalls sollte man sich von den Rechten nicht eine gegenkulturelle Ästhetik madig machen lassen.
Die Incel-Ideologie trägt viele verschwörungstheoretische Züge, was ist denn die Sichtweise der Community auf die aktuelle Situation um Corona?
Ein paar User auf incels.co vertreten die von 8kun bis von Xavier Naidoo vertretenen Thesen des rechten Verschwörungsideologien Q-Anon, nach denen Corona etwas Menschengemachtes ist, und verfallen auch gerne mal in antisemitische und rassistische Behauptungen – die Juden stecken dahinter, Roma sind Schuld an der Verbreitung des Virus. Aber prinzipiell findet man Corona richtig gut. Endlich sind Incels nicht mehr die einzigen Opfer auf diesem Planeten, endlich geht es anderen auch schlecht. Incels ergießen sich gerade voller Schadenfreude darüber, dass Hochzeiten oder Sportevents ausfallen, da nun auch Chads, Stacies und Normies ein Leben in Isolation und ohne Sex fristen müssen.
Vor allem erfreut man sich daran, dass gerade häusliche Gewalt einen massiven Anstieg erfährt: Frauen hätten es verdient, von ihren Partnern erwürgt und verprügelt zu werden – weil es sind Frauen.
Große Begeisterung erfährt auch, dass mehrere Staaten gerade die Lage nutzen um reaktionäre Gesetzgebungen durchzupressen: in Polen oder einigen US-Staaten wird Abtreibung zunehmend illegalisiert, in Ungarn wurde das transfeindliche Gesetz erlassen, nur noch das bei Geburt zugeordnete Geschlecht in Dokumenten verzeichnen zu dürfen. Das findet eine Community, die auf Frauenhass aufgebaut ist, und bei der ein großer Teil der Mitglieder ausgesprochen Transfeindlich ist, natürlich richtig klasse.
Aber für Incels kann Corona auch Hoffnung bieten. Denn die Krise könne zu einem massiven »Blackpilling« der heterosexuellen männlichen Bevölkerung führen: In Zeiten der Quarantäne steigt, so die These, die Popularität von Datingapps wie Tinder, was dazu führt, dass Frauen zunehmend wählerischer werden. Daraus folgt logischerweise, dass der Prozentsatz der Chads, der die sexuelle Verfügungsgewalt über Frauen hat, zunehmend kleiner wird und die bisher noch erfolgreichen »Chadlites« leer ausgehen, da Frauen nur Gigachad genügen kann, dem sie sich dann in einem gigantischen »Fuckfest« hingeben werden. Gleichermaßen werden diese nun verschmähten Männer das Potential sehen, sich der Blackpill zu verschreiben und »dementsprechend handeln« – eventuell wohnt Corona also auch der Beginn der »Incel Rebellion« inne.