Der aktuelle Widerstand gegen strukturellen und institutionellen Rassismus hat eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung verursacht. Kristallisationspunkte der «Black Lives Matter»-Bewegung sind die öffentlichkeitswirksamen Proteste und das Stürzen von Kolonialmonumenten und -denkmälern. So stürzten Demonstrant*innen in Richmond, Virginia, ein Standbild von Christoph Kolumbus und warfen es in einen nahegelegenen See. Im englischen Bristol wurde die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston zu Fall gebracht und im Fluss Avon versenkt. Im belgischen Gent beschmierten Protestierende eine Büste des belgischen Königs und «Kongoschlächters» Leopold II. mit roter Farbe. Auch an vielen anderen Orten kommt es zu antikolonialen Angriffen und Denkmalstürzen.
Anders, aber nicht neu
Andreas Bohne ist Afrikawissenschaftler und arbeitet als Politischer Referent beim Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER e.V.). Seit vielen Jahren ist er in postkolonialen Initiativen wie «Völkermord verjährt nicht!» aktiv.
In diesem Kontext hat auch in Deutschland die Diskussion um koloniale Spuren im öffentlichen Raum wieder Fahrt aufgenommen. Waren antikoloniale Aktivitäten in den letzten Jahren vornehmlich auf kolonial-rassistische Straßennamen und deren Umbenennung bzw. Kontextualisierung ausgerichtet, werden nunmehr auch andere Symbole verstärkt in den Blick genommen. In den Debatten und den Aktionen werden drei Aspekte jedoch oftmals vernachlässigt.
Erstens ist das Stürzen von Kolonialdenkmälern kein neues Phänomen. Erinnert sei hier exemplarisch an das Wissmann-Denkmal in Hamburg 1968. Student*innen der Universität Hamburg legten damals Seile um das Monument und brachten es zu Fall. Anders als im jüngsten Fall von Bristol landete Wissmann allerdings nicht in der Elbe, sondern wurde eingemottet. Und anders als heute wurde der damalige Sturz nur von einer kleinen Gruppe von Aktivist*innen initiiert und ausgeführt. Dagegen entfalten die post- und dekolonialen Diskussionen der vergangenen Jahren derzeit ihre mobilisierende und politisierende Wirkung: Die Bewegung ist deutlich breiter geworden.
Zweitens blendet die aktuelle Fokussierung auf die Kolonialdenkmäler in Brüssel, London, Bristol und anderen europäischen Städten die Abtragungen und Umwidmungen in afrikanischen Ländern oftmals aus. Kolonialdenkmäler in Afrika stehen aufgrund der räumlichen Verortung für den europäischen Herrschaftsanspruch, für angebliche «Zivilisierungsmissionen» und kriegerische Unterwerfung. Es nimmt daher nicht wunder, dass derartige «Siegerdenkmäler» in afrikanischen Staaten oftmals abmontiert wurden. So wurde nach der Unabhängigkeit Simbabwes 1980 eine Statue von Cecil Rhodes abgebaut und durch ein neues Denkmal für die Einheit Afrikas ersetzt. Unbekannte enthaupteten 2015 eine Statue der britischen Königin Victoria im kenianischen Nairobi. Im kongolesischen Kinshasa wurde bereits vor Jahrzehnten eine Statue zu Ehren des «Kolonialherrn» König Leopold II. von Belgien – eine Kopie der Statue, die heute im Mittelpunkt der Demonstrationen in Belgien steht – abgerissen. Sie war 1928 aufgestellt worden, der damalige Diktator Mobutu Sese Seko ließ sie sieben Jahre nach der Unabhängigkeit im Jahr 1960 abreißen. Als die Statue 2005 mit einer aktualisierten Gedenktafel zurückkehrte, weil die Behörden an die Schrecken der Kolonialherrschaft erinnern wollten, war der öffentliche Aufschrei so groß, dass die Statue nur einen Tag später abgetragen und im Nationalmuseum aufgestellt wurde.
Ein prominentes jüngeres Beispiel dafür, dass das Stürzen von Denkmälern kein primär europäischer Protest ist, bietet die #RhodesMustFall-Protestbewegung in Südafrika. Dort fand die Kampagne für die Entfernung der Statue von Cecil Rhodes an der University of Cape Town vor fünf Jahren weltweite Aufmerksamkeit. Als ein Kran die Statue von ihrem Sockel hob und in einen Armeestützpunkt verfrachtete, feierten die Studierenden der Hochschule. Damit erreichten die Proteste eine neue Dimension: Sie fokussierten nicht «nur» auf die Entfernung einer Statue, sondern lösten eine breite Bewegung und Debatten zur Dekolonisierung des gesamten südafrikanischen Bildungssystems aus. (Vgl. Heike Becker: Studentische Proteste in Südafrika: Was bleibt? RLS-Standpunkte, 6/2018) Oftmals gingen Diskussionen über einen bloß kolonialkritischen Diskurs hinaus und griffen Themen wie Ungleichheit, Bildungsungerechtigkeit, Kapitalismus im systemischen Zusammenhang mit Kolonialismus und dem Apartheidregime auf.
Drittens führt der Angriff auf die Denkmäler auch zu Gegenreaktionen. So ging vor kurzem die Meldung viral, dass Rechtsradikale in London Denkmäler imperialer und kolonialer Persönlichkeiten schützten. Derartige Abwehrreflexe rechter Gegendemonstrant*innen sind keineswegs neu. Allerdings ist es bis heute eine Schwäche in dieser Auseinandersetzung, dass die kolonialrevanchistische und -apologetische Sichtweise politisch rechter Kräfte – wie der AfD – kaum wahrgenommen wird (Vgl. Andreas Bohne: AfD entdeckt Kolonialismus: War doch nicht alles schlecht damals, in: „iz3w“, 369). Auch hier lohnt der Blick zurück auf den Sturz des Wissmann-Denkmals. Denn bereits damals waren es nationale Studentenvereinigungen und obskure Gruppen wie die «Vereinigung der Ostafrikaner», die gegen die Abtragung demonstrierten.
Abtragen und kontextualisieren
Auf den ersten Blick erscheint ein progressiver Umgang mit den Kolonialdenkmälern denkbar einfach: Sie sollten abmontiert werden, da einer glorifizierenden Erinnerung im öffentlichen Raum kein Platz zusteht. Aber ist es tatsächlich so einfach?
Auf der einen Seite ja: Kolonialdenkmäler von Heinrich von Wissmann in Bad Lauterbach, das Askari-Relief in Hamburg oder das «Karl-Peters-Denkmal» in Hannover müssen abmontiert werden. Sie erlauben keine Auseinandersetzung, dienen weder als Mahnmal noch als Mittel postkolonialer Erinnerungspolitik, sondern sie stehen stattdessen explizit für Militarisierung und Rassismus. Es reicht ebenfalls nicht aus, wenn Denkmäler wie der imposante «Kolonialelefant» in Bremen – der als «nationales Kolonialdenkmal» in einer nachkolonialen, revanchistischen und prä-faschistischen Zeit im Juli 1932 eingeweiht wurde – flugs zum «Anti-Kolonial-Denkmal» deklariert, aber nicht wirklich umgewidmet werden. Gleichzeitig sind die Bilder aus Bristol und Richmond eindrucksvoll und als Zeichen von Empörung und Widerstand notwendig.
Auf der anderen Seite nein: Alle Denkmäler zu versenken oder einzumotten, dürfte kaum die Lösung sein. Im Mittelpunkt sollte vielmehr die kritische Auseinandersetzung mit ihnen stehen. Auch hierfür sind die Kontroversen um das Wissmann-Denkmal in Hamburg beispielhaft: So stellte die Hamburger Künstlerin HMJokinen von Oktober 2004 bis November 2005 die beschädigte Statue als «Nachdenkmal-Raum» an der Hamburger Überseebrücke auf, um die Stadt und ihre Bewohner*innen mit der kolonialen Vergangenheit zu konfrontieren. Zuletzt wurde die Statue, in seitlicher Lage, während der Ausstellung «Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart» im Deutschen Historischen Museum gezeigt.
Ähnlich der zeitweise Umgang mit dem «Windhoeker Reiter». Fast 100 Jahre präsent im öffentlichen Stadtbild der namibischen Hauptstadt Windhoek, wurde das Reiterdenkmal 2009 am Eingang zur Alten Feste umgesetzt. Damit wurde das Denkmal aus seiner «beherrschenden» Position entfernt. Zurzeit im Innenhof der Alten Feste lagernd, kann der «Reiter» zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus dienen.
Interessant an der gegenwärtigen Diskussion ist, dass sie sich nunmehr auch der Ahnherren der deutschen Kolonialherrschaft, namentlich Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm II., annimmt. Damit setzt man sich nicht mehr nur mit kolonialen Persönlichkeiten wie Karl Peters und mit ihrem Herrenmenschenduktus auseinander, sondern thematisiert zugleich den Kontext der kapitalistischen Weltwirtschaft und kolonialexpansiven Außenpolitik. Hier bieten sich vielfältige Möglichkeiten, die kolonialen Kontinuitäten bis heute zu kontextualisieren. Ergreifen wir sie!