Dokumentation Warum der Dicke weg musste!

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Warum der Dicke weg musste:

„Die Regierung Hoffmann war keine Regierung der Antifaschisten“

Warum Kommunist*innen die Schaffung eines separaten "Saarstaats" unter Johannes Hoffmann (CVP) ablehnten, darüber debattierten am 14. Oktober 2015 die Zeitzeugen Horst Bernard, Franz Hertel und Heinz Brandstetter. Wir dokumentieren diese besondere Veranstaltung aus Anlass des Todes von Heinz Brandstetter am 20. September 2020.


„Die Regierung Hoffmann war keine Regierung der Antifaschisten“ so die Wertung eines Zeitzeugen auf dem Diskussionsabend „Warum ‚der Dicke’ weg musste“ der Peter-Imandt-Gesellschaft/Rosa-Luxemburg-Stiftung aus Anlass des 60. Jahrestags der Volksabstimmung über das Saarstatut im Oktober 1955.

Nicht erst im Zuge der Volksabstimmung zeigte sich der Polizeiapparat der Saarregierung unter dem Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann (CVP) gegen Kommunisten sehr repressiv. Um frühzeitig ins Visier der Saarregierung zu kommen, bedurfte es keines „Bekenntnisses zur deutschen Einheit“.

Da heute viele Zeitzeugen nicht mehr leben, die Zeugnis ablegen könnten, ist dafür eine Verbrämung der Hoffmann-Zeit von 1947 bis 1955 zu beobachten. Hoffmann, den Freund und Feind „Joho“ nannten, versuchte bekanntermaßen dem Saarland einen teilautonomen Status zu verleihen. Teilautonom, weil in den wichtigsten Schlüsselpositionen französische Militärs und Beamte das Sagen hatten und damit den Besatzerstatus zementierten. Ziel war es, das nach dem Zweiten Weltkrieg neu gestaltete Saarland aus dem Verbund eines künftig neu zu gründenden Deutschlands herauszulösen. Diese Politik stieß selbst bei den Alliierten auf Reserviertheit, war aber anfangs unter der Saarbevölkerung nicht unpopulär.

Doch für die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland stellte der ungeklärte Status des Saarlandes auf dem Weg in die „Westintegration“ und für die Wiederaufrüstung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) ein Hindernis dar. Deshalb vereinbarte sie im Oktober 1954 mit der französischen Regierung in den „Pariser Verträgen“ u.a. die Durchführung eines Referendums an der Saar.

Bevor die von Jürgen Albers (SR2-Kulturradio) moderierte Runde begann, wurde der 1986 vom Saarländischen Rundfunk produzierte SR-Film „Vom Zankapfel zum Bundesland“ aufgeführt. Historische Filmszenen aus den 50er Jahren führten ebenso in das Thema ein, wie die Diskussion zwischen einem Nein-Sager und einem Ja-Sager im Fernsehstudio. Bezeichnend, dass beide Diskutanten nach 30 Jahren ihre eigene Sicht auf die Ereignisse 1955 darstellten, die differenzierte Sicht der Kommunistischen Partei Saar unerwähnt ließen.

Dieses Totschweigen einer Minderheitenposition hat Methode, war aber ein guter Einstieg in die Diskussion.

HORST BERNARD (geb. 1932) ist Sohn des NS Verfolgten Leander Bernard.  Nach der Rückkehr aus dem französischen Exil 1946 schloss sich Bernard der FDJ an. (Freie Demokratische Jugend, da Freie Deutsche Jugend, das Wort „Deutsch“ enthält und im Saarland verboten war.)

Bernard sprach perfekt Französisch und war in gewisser Weise „frankophil“. Trotzdem lehnte man in seiner Familie den Saarstaat ab. Denn Saarregierung und Franzosen in den Schlüsselpositionen duldeten keinerlei Kritik an der Hoffmann-Politik, wobei es nicht alleine um Fragen der möglichen Separierung von Deutschland ging. Deshalb widerspricht Bernhard entschieden der These einer antifaschistischen Saar-Regierung. Die Regierung Hoffmann war keine Regierung der Antifaschisten, denn was soll das für eine antifaschistische Regierung sein, die Kommunisten verfolgt, also diejenigen, die den höchsten Blutzoll im Kampf gegen die Faschisten entrichtet haben? Antifaschisten wurden die Pässe abgenommen, um ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken.

Bis November 1954 mussten 35.000 Saarländer ihre Heimat verlassen. Die zahlreichen Verbote der Parteizeitung „Neue Zeit“ durch die Hoffmann-Regierung, summierten sich auf ein Jahr. Rund ein Zehntel ihrer Existenz (!). Dies zeige, so Bernard weiter, wie autoritär die Regierung Hoffmann war und dass es für die Kommunisten darum gehen musste, sie zu bekämpfen.

HEINZ BRANDSTETTER (1933-2020) war damals junger Gewerkschafter. Brandstetter gab umwunden zu, als junger Bergmann von den Sozialleistungen der Franzosen profitiert zu haben. „Profitiert“ im Sinne des sich Sattessens auf der Grube. Aber es dürfe nicht übersehen werden, dass die „Sozialleistung der Franzosen“ ein Ergebnis des Wirkens von Kommunisten in der französischen Regierung waren. Denn diese hatten die Grubenleitungen veranlasst an die Arbeiter warme Mahlzeiten herauszugeben. So fand Brandstetter den Weg zu den Kommunisten. Eine Entscheidung, in der er sich bestärkt sah, als er während einer Demonstration von Polizisten verprügelt wurde. Das Blauhemd der FDJ genügte als Grund. Dennoch: „nach heutiger Sicht wäre auch ein JA bei der Saarabstimmung im Oktober 1955 kein Unglück gewesen.“

FRANZ HERTEL (1934-2017) hatte als Sekretär der KP das „Fußtritt-Plakat“, wie auch weitere Plakate der KP im Abstimmungskampf beauftragt. Er stand also der damaligen KP-Führung sehr nahe.

Hertel weist darauf hin, dass man sich vielleicht einmal klarmachen sollte, worüber man 1955 abstimmte. Die KP lehnte den seit 1947 betriebenen Hoffmann-Kurs kategorisch ab, weil sie eine „Gesamtdeutsche Lösung“ wollte, in der Deutschland vereint und - wenn schon nicht sozialistisch – wenigstens neutral bliebe. Deshalb führte die KP in Westdeutschland die damals von großen Teilen der Bevölkerung getragene Bewegung gegen die Wiederaufrüstung an. Weil sich Adenauer für die Annahme des Saarstatuts aussprach, war klar, dass die Kommunisten mit einem Nein zum Saarstatut ihre Friedenspolitik weiterführen mussten, indem sie Hoffmann und Adenauer eine Niederlage bereiten. Was nach deren Wahlniederlage folgte, war völlig unklar. Niemand sah vorher, dass sich Frankreich und Westdeutschland mit den „Luxemburger Verträgen“ so schnell einigten.

Hertel hat kein Verständnis für diejenigen, die Joho mit einem Nazi vergleichen, wie es andere Nein-Sager – vermutlich ehemalige Nazis – getan haben. Denn Joho war eindeutig ein Nazigegner, wenn auch sehr autoritär. Diese Seite zeigte sich spätestens in seinem Agieren während des „Februarstreiks“ 1955, als dessen Innenminister Edgar Hector berittene Polizei gegen etwa 3.000 Hüttenarbeiter in Saarbrücken einsetzte, die für ihre sozialen Rechte demonstrierten. Statt seinen Innenminister – ein führendes Mitglied der „Bewegung für den Anschluss der Saar an Frankreich“ (franz. MRS) – zurückzupfeifen oder sich von ihm zu distanzieren, stärkte er diesem den Rücken. Klar, dass ein solches Ereignis im kleinen Saarland nicht ohne Wirkung blieb und Hoffmanns Image sehr schadete. Die Stimmung kippte in Richtung pro-deutsch.

Auf die Frage, ob die Kommunisten eigentlich das Verbot ihrer Partei (ab 1. April 1957) nach dem Anschluss hätten voraussehen müssen, antwortet Hertel: „Wie gesagt, niemand sah voraus, wie sich die Dinge entwickeln. Ein drohendes Verbot hat im Oktober 1955 definitiv keine Rolle gespielt, denn das Verbot der KP-Westdeutschland erfolgte ja erst im August 1956 und traf die Kommunisten völlig unvorbereitet“.