Am 14. November 1990 werden im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain zwölf besetzte Häuser geräumt. Die sog «Mainzer Straße» ist damit Geschichte, ein Versuch alternative Lebensweisen - zumindest ein Stück weit - gegen den kapitalistischen Markt zu realisieren, zerstört.
Dass diese zusammenhängende Besetzung von zwölf, schon länger leerstehenden Häusern in einer Straße zustande kommt, hängt mit den Ereignissen und der rechtlich unklaren Lage 1989/90 zusammen. Die für den Abbruch vorgesehen Häuser werden im Mai 1990 besetzt, über den Sommer entwickelt sich ein reges Leben, das aber auch Angriffen von Neonazis ausgesetzt ist, gegen die sich die BewohnerInnen wehren. Es gibt ein weithin bekanntes «Tuntenhaus» mit der legendäre Kneipe «Forellenhof» und z.B. ein Antiquariat für DDR-Literatur.
Als am 3. Oktober 1990 die staatliche Einheit Deutschlands vollends vollzogen wird, übernimmt - letztendlich - die Westberliner Polizei das Regiment. Die Räumung fünf Wochen später gilt als einer der bis dahin größten und massiv rabiaten Polizeieinsätze in der westdeutschen Geschichte. Er hat weitreichende Folgen: Er markiert vorerst das Ende der Berliner Hausbesetzerbewegung, führt zum Bruch des rot-grünen Senats und hinterließ viele Beteiligte traumatisiert. Gerade über diese, durch den Polizeieinsatz verursachte Traumatisierung, die ja auch im Titel des Buches erwähnt wird, findet sich aber dort wenig zu lesen. In rahmenden Beiträgen oder in Interviews mit damals beteiligten, führenden Polizisten lässt sich gut nachvollziehen, wie die BesetzerInnen medial markiert wurden («Chaoten») und in «gute und friedliche Instandbesetzer Ost» und «böse, gewalttätige Autonome West» gespalten wurden. Andere zeigen die relative Ohnmacht der DDR-Bürgerbewegung oder die Beflissenheit gerade der Westberliner SPD, sich als «Partei für Law and Order» zu positionieren und den Schutz der vielzitierten «kleine Leute» zu garantieren; ganz so als ob diese von der Hausbesetzung gefährdet gewesen waren.
2015/16 haben nun Studierende, die meist in den Jahren um 1989 geboren sind, in einem Projekt im Rahmen des Masterstudienganges Public History die Ereignisse untersucht und dokumentiert, unter anderem in der Website https://mainzerstrasse.berlin/. Mit der nun nachgeschobenen, populärwissenschaftlichen Publikation liegt eine vereinzelt oberflächliche Veröffentlichung vor, die 28 kurze Artikel und Interviews enthält, trotzdem einen gewissen Einblick verschafft und in der beeindruckende Fotos unter anderem von Harald Hauswald enthalten sind.
Insgesamt ein Band, der auf den ersten Blick wie einer wirkt, der in Berlin in den Abteilungen für TouristInnen der Buchläden liegt, aber doch einige Aspekte dieses Sommers dokumentiert, die nicht vergessen werden sollten.
Christine Bartlitz u.a. (Hrsg.): Traum und Trauma. Die Besetzung und Räumung der Mainzer Straße 1990 in Ost-Berlin, Christoph Links Verlag, Berlin 2020, 144 Seiten, 20 EUR