Bericht | Parteien / Wahlanalysen - Osteuropa Die Parlamentswahlen in Litauen

Künftig wird eine konservativ-liberale Koalition die Geschicke des Landes bestimmen

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Blick auf Vilnius
Blick auf Vilnius Foto: Piotr Janiszewski

Das wichtigste Ergebnis der im Oktober 2020 durchgeführten Parlamentswahlen in Litauen vorweg: Es kam zum doch etwas überraschenden Regierungswechsel, denn die Umfragen hatten eigentlich vorausgesagt, dass der regierende Litauische Bund aus Bauern und Grünen (LVLS) wieder die Nase vorne haben werde und die Regierungsgeschäfte mit einem kleineren Koalitionspartner seiner Wahl fortsetzen könne. Aber es kam anders, der strikt konservativ ausgerichtete Vaterlandsbund-Litauische Christdemokraten (TS-LKD) setzte sich durch und wird die Regierung künftig anführen. In dem 141-köpfigen Parlament, das sich aus 71 Wahlkreissiegern und 70 Listenplätzen zusammensetzt, kommen die vaterländischen Christdemokraten auf 50 Abgeordnetensitze.

Dr. Piotr Janiszewski ist Mitarbeiter im Büro Warschau der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Schnell einigte sich Ingrida Šimonytė, die Spitzenkandidatin des Wahlsiegers, mit zwei kleineren liberalen Parteien, die zusammen auf 24 Abgeordnetenmandate kommen, auf die Regierungsbildung. Das Regierungsprogramm wird, so übereinstimmend die meisten Beobachter, wirtschaftsfreundlicher und damit weniger sozialpolitisch ausgerichtet sein als bei der Vorgängerregierung. Zu erwarten werden also weitere Privatisierungsversuche insbesondere auf den Gebieten öffentlicher Daseinsversorge wie Bildung und Gesundheit sein. Ob die neue Regierung, die ja erkennbar konservativ geführt wird, ernsthafter auf Vorstellungen bei den Liberalen eingehen wird, die sich ausdrücklich auf die Stärkung von Frauenrechten, Rechten von LGBT+ und zum Beispiel auch Lockerungen bei leichten Drogen beziehen, muss abgewartet werden. Der Zuspruch bei jungen Wählerschichten, den liberale Positionen bei diesen Wahlen erreichen konnten, ging auch auf solche Themenstellungen zurück.

Der bisher regierende Bund aus Bauern und Grünen, dem viele Beobachter einen populistischen Einschlag nachsagen, kam 2016 an die Regierungsmacht, nachdem ein in seiner Höhe für viele überraschenden Sieg eingefahren wurde. Vielfach wurde das damalige Ergebnis mit der Situation in Polen oder Ungarn verglichen, aber das erwies sich in vielen grundlegenden Fragen als übertrieben, allerdings war der überdurchschnittlich hohe Wählerzuspruch in den ländlichen Regionen und Kleinstädten durchaus zu vergleichen mit Entwicklungen im nationalkonservativ regierten Polen. Auffällig waren neue sozialpolitische Regelungen, die insbesondere auf Familien, ältere Menschen und die in der Entwicklung zurückhängende Provinz gerichtet waren. Die Kehrseite der Medaille war allerdings die eher konservative Ausrichtung in Fragen, die wiederum für die großstädtischen und jüngeren Wählerschichten von größerem Interesse sind. Bei den diesjährigen Parlamentswahlen erreichte der Bund 32 Abgeordnetensitze, wird nun die mit Abstand wichtigste Oppositionskraft sein.

Lediglich noch 13 Parlamentssitze wird künftig die stärkste Linkskraft haben, die Sozialdemokraten (LSDP). In früheren Jahren die mit Abstand stärkste Kraft im litauischen Parteiensystem, durchlebt die Partei seit 2016 eine tiefere strukturelle Krise. Insbesondere der Wählerzuspruch in der Provinz ist weitgehend zusammengebrochen, eine Tendenz, die auch in diesem Jahr nicht aufgehalten werden konnte. Zudem gibt es Abspaltungen, überhaupt Versuche, Kursänderung vorzunehmen, was nun wieder zusätzlich Unsicherheit schafft. Über Direktmandate in den Wahlkreisen kommt der bisherige kleine Regierungspartner, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (LSDDP), wenigstens noch auf drei Abgeordnetensitze, wiewohl die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt wurde. Auf drei solcher direktgewählten Abgeordnetensitze kommt auch die Wahlaktion der polnischen Minderheit in Litauen, die sich in strikt konservativer Ausrichtung als christliche Familienallianz versteht, die aber unter der obligatorischen Prozenthürde blieb. Als ausgesprochene Protestpartei ging die Arbeiterpartei (DP) von Viktor Uspaskich, dem ehemaligen Wirtschaftsminister und erfolgreichen Geschäftsmann, ins Rennen, die 10 Parlamentssitze erreichte und die sich trotz nicht zu übersehender wirtschaftsliberaler Ausrichtung als «labouristisch» auszugeben sucht.    

Die Wahlbeteiligung lag enttäuschend bei unter 50 Prozent, was einerseits auf die anhaltende Corona-Pandemie zurückzuführen ist, aber insgesamt auch ein Ausdruck sein dürfte für das nicht immer einfache Verhältnis zwischen breiter Bevölkerung und ihrer politischen Repräsentanz.