Nachricht | Krieg / Frieden Wie links ist das Völkerrecht?

Ein Fachgespräch beleuchtete das Verhältnis zwischen Völkerrecht, Menschenrechten und Friedenspolitik.

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Marek Voigt,

Der Völkermord, der sich 1994 in Ruanda erreigenete, wirft immer wieder Fragen nach der Möglichkeit einer nicht-militärischen Prävention auf. Foto: Kigali Genocide Memorial Centre. CC BY-NC 2.0, Andy Wallace / flickr

Unter dem Titel «Linke Friedenspolitik und das Völkerrecht oder wie links ist das Völkerrecht?» fand vom 11. bis 12. November 2020 ein Fachgespräch der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt.

Ausgangspunkt der Diskussionen, zu denen die RLS Völkerrechtsexpert*innen, linke Außenpolitiker*innen und Regionalexpert*innen zusammenbrachte, war die Suche nach einer linken, friedenspolitischen Antwort auf die Widersprüche zwischen staatlicher Souveränität und Menschenrechten, zwischen der Forderung nach Völkerrechtskonformität und emanzipatorischen Politikansätzen. Inwieweit kann das Völkerrecht handlungsleitend sein für eine friedenspolitische Positionierung und linke Außenpolitik? Gibt es Situationen, in denen Militäreinsätze unvermeidlich sind, sind also Konzepte wie «humanitäre Intervention» oder «Responsibility to protect» nur missbraucht worden, im Kern aber berechtigt? Bedeutet ein Bekenntnis zum Völkerrecht auch die Zustimmung zu allen Maßnahmen, die völkerrechtskonform sind, selbst militärischen? Müssen wir uns gar entscheiden: mal für Frieden, mal für das Völkerrecht, mal für die Menschenrechte?

Die Konferenz knüpfte an die langjährige Arbeit des Beiruter Büros der RLS zum Thema Frieden an, die sich in dieser digitalen Konferenz fortsetzen konnte.

Das Thema ist wichtig für die Partei DIE LINKE und die RLS, betonte Boris Kanzleiter, Direktor des Zentrums für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit in seinem Einleitungsstatement. Das Verhältnis zwischen Völkerrecht, Menschenrechten und Friedenspolitik sorge immer wieder für Diskussionsstoff. Seiner Meinung nach sind Völkerrecht und Menschenrechte für eine linke Positionierung von großer Bedeutung, reichten aber allein nicht aus, sie seien also notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen linker Politik. Diese Einschätzung wurde in den weiteren Debatten immer wieder aufgegriffen.

Im ersten Podium unter dem Titel «Menschenrechte, Völkerrecht und linke Friedenspolitik – ein ungeklärtes Verhältnis?» stellte der Völkerrechtsexperte Andreas Schüller von der Menschenrechtsorganisation ECCHR heraus, dass es in der Entwicklung von Völkerrecht und Menschenrechten in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gab. Das Machtungleichgewicht zwischen starken und schwachen Staaten verunmöglicht es aber, dass diese wirklich genutzt werden können. Es komme darauf an, etwa die WSK-Rechte (wirtschaftliche, soziale und kollektive Rechte) zu stärken. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (DIE LINKE) knüpfte daran an, als sie betonte: «Wie links das Völkerrecht ist, ist immer auch eine Frage der Kräfteverhältnisse.» Das Völkerrecht beruhe darauf, dass Staaten sich den gemeinsam vereinbarten Regeln unterwerfen, weil deren universale Geltung auch ihnen selbst nutzt. Jeder einzelne Bruch des Völkerrechts werde daher zum Problem, in dem er den Willen zur Einhaltung bei allen anderen Staaten untergräbt. Diese Erosion des Völkerrechts sei leider schon sehr weit fortgeschritten.

Der Frage, welche Lehren aus dem Völkermord in Ruanda gezogen werden müssen, widmete sich ein Panel unter dem Titel «Völkerrecht und Völkermordprävention aus linker Perspektive. Der Fall Ruanda», auf dem Jörn-Jan Leidecker vom Büro der RLS in Johannesburg aufzeigte, wie seit dem Kolonialismus Konflikte in dem ostafrikanischen Land immer wieder verschärft wurden, die dann zu dem Völkermord führten. Für einen Völkermord gebe es im Vorfeld viele Anzeichen, die eine frühzeitige Prävention mit nicht-militärischen Mitteln ermöglichten. Anschließend wagte sich ein Podium unter dem Titel «Was folgt aus Brüchen des Völkerrechts? Die Fälle Krim und Kosovo» an den Vergleich zweier aktuell wieder heiß diskutierter Fälle. Der ehemalige außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebich, kritisierte es als «Doppelstandards», wenn einzelne mit der Sezession des Kosovo von Serbien die Annexion der Krim durch Russland legitimieren wollen. Auch wenn das gelegentlich anders dargestellt werde, sei die Position der LINKEN, dass man beides für falsch hält.

Die Bewertung des Kriegs in Syrien aus linker Sicht fällt auch im zehnten Jahr nach seinem Beginn kontrovers aus. Das zeigte sich auch im Panel «Völkerrecht versus Friedenspolitik? Der Fall Syrien», in dem die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld und Ivesa Lübben, ehemalige Leiterin des Regionalbüros der RLS in Tunis, diskutierten. Leukefeld riet der Linken, sich am Völkerrecht als einem Rahmen zu orientieren, in dem Lösungen erreicht werden können, sich aber mit Vorschlägen für Friedenslösungen zurückzuhalten. Stattdessen solle sie Bundesregierung und EU adressieren, um Bedingungen zu schaffen, in denen die syrische Gesellschaft ihre Zukunft selber entwickeln kann. Lübben schlug vor, an dem anzusetzen, was linke Aktivist*innen aus Syrien selbst finden. Die Linke in Deutschland habe sich in diesem Konflikt viel zu wenig, zu selektiv und vor allem viel zu spät mit der Sichtweise der syrischen Linken beschäftigt.

Die positive Bedeutung des Völkerrechts zeigt sich am Israel-Palästina-Konflikt, unterstrich Norman Paech, emeritierter Völkerrechtsprofessor aus Hamburg: «Die palästinensischen Interessen werden faktisch von keinem Staat unterstützt, die einzige Unterstützung kommt vom Völkerrecht», sagte er im Panel zur «Rolle des Völkerrechts bei Besatzung und Annexion». Seine Co-Panelistin Valentina Azarova von der University of Manchester beklagte, dass die klaren Völkerrechtsverstöße Israels systematisch abgestritten würden. Stattdessen müsse jeder einzelne Fall der Kooperation mit Israel von der Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten abhängig gemacht werden.

Am zweiten Tag wurde die Konferenz fortgesetzt mit einem Panel zu «Sanktionspolitik, Völkerrecht und Menschenrechte. Die Fälle Irak und Iran», auf dem Sabah Alnasseri, Professor an der York University Toronto, und Julia Eder, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jahoda-Bauer-Institut Linz, diskutierten. Eder stellte die negativen Effekte von Sanktionen in den Vordergrund, etwa Armut, Behinderung der wirtschaftlichen Entwicklung und Verschlechterung bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern, z.B. Gesundheit. Sanktionen dürften deshalb keine Instrumente einer linken Friedenspolitik sein. Alnasseri sah ausgehend von den Erfahrungen im Iran und im Irak ebenfalls keinen Nutzen von Sanktionen im Kampf gegen autoritäre Regime: «Jede Intervention von außen, und seien es auch nur Sanktionen, stärkt die Regierungen.» Der gemeinsame äußere Gegner stärke die Eliten politisch, von den Umstrukturierungen der Wirtschaft infolge der Sanktionen profitierten die Eliten ökonomisch.

Um «Dekoloniale Perspektiven auf das Völkerrecht» ging es in einem Vortrag von Karina Theurer, Leiterin des Instituts für juristische Interventionen beim ECCHR. Sie betonte, dass sich die Grundsätze des Internationalen Rechts in der Phase des europäischen Kolonialismus herausgebildet hätten. Die damals herausgebildeten Mechanismen des Ausschlusses und der Dehumanisierung wirkten heute noch fort. Deshalb müsse das Internationale Recht dekolonisiert werden, damit es Frieden sichern kann. Es komme darauf an, sich der «Janusköpfigkeit» des Rechts bewusst zu werden, als Instrument zur Bekämpfung von Herrschaft wie auch als Instrument der Herrschaftssicherung.

In der Abschlussdiskussion «Wie links ist das Völkerrecht? Wie beziehen wir uns im Rahmen einer emanzipatorischen friedenspolitischen Positionsbildung auf das Völkerrecht?» diskutierten die Bundestagsabgeordneten der LINKEN Tobias Pflüger und Christine Buchholz. Buchholz beschrieb das Völkerrecht als «ein Recht zwischen kapitalistischen Nationalstaaten». Zwar müsse das internationale Recht verteidigt werden, wenn es von rechts angegriffen werde, aber der Ort der Veränderung sei nicht die juristische Debatte, Veränderungen geschähen in sozialen Kämpfen. Pflüger ergänzte, für eine linke Positionierung genüge nicht allein das Völkerrecht, entscheidendes Bewertungskriterium sei die Frage nach den Herrschaftsverhältnissen. Die inhaltliche Bewertung der Konflikte sei «das Argument am Ende der Treppe». Das Völkerrecht regele letztlich Beziehungen zwischen Staaten, Linke müssten aber auch auf soziale Bewegungen schauen.

Die Veranstaltung brachte die relevanten kritischen Positionen zum Verhältnis von Völkerrecht, Menschenrechten und Frieden zusammen. Die Debatte, wie die Beziehungen dazwischen austariert werden müssen, um sich einer emanzipatorischen Politik anzunähern, wird fortgesetzt.