Der schwere Schlag gegen die Frauenrechte wurde mitten im Winter und im Schatten der anhaltenden Corona-Pandemie vollführt. Jarosław Kaczyńki, der das Land seit dem Herbst 2015 mit Unterstützung einflussreicher Kreise der katholischen Kirche faktisch führt, hat nun doch seinen Willen durchgesetzt, so als hätte er in den letzten Oktobertagen des vergangenen Jahres nicht einer möglichen Niederlage in die Augen geblickt. Noch einmal will er allen, aber insbesondere seinem eigenen Lager beweisen, wer der Herr im Hause ist. Sein Wanken im Herbst, als er sich nicht mehr zu schade war, in unbeherrschter Weise als der letzte Retter für Polens Kirche und damit für Polen auf die Bühne zu treten, soll vergessen werden.
Holger Politt leitet das Regionalbüro Ostmitteleuropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.
Am 22. Oktober 2020 hatte das vom nationalkonservativen Regierungslager kontrollierte Verfassungstribunal einen Kompromiss aus dem Jahr 1993 für verfassungswidrig erklärt, mit dem immerhin Schwangerschaftsabbrüche in Polen unter bestimmten Bedingungen erlaubt waren. Die in der Folge ausbrechenden heftigen Massenproteste vor allem junger Frauen verhinderten aber, dass das Urteil im Amtsblatt der Regierung veröffentlicht und damit rechtskräftig wurde. Die gesetzlich vorgeschriebene Frist verstrich, ohne dass im Regierungslager noch Anstalten gemacht wurden, in der Öffentlichkeit etwas zu erklären. Gleich dem Damoklesschwert hing das ergangene Urteil allerdings über den Köpfen der Frauen.
Jetzt in den dunklen Wintertagen und in einer Pandemie-Situation, in der große Teile des öffentlichen Lebens noch immer stark eingeschränkt und heruntergefahren sind, rechnete kaum noch jemand mit dem perfiden Anschlag, alles wartete bereits auf das bevorstehende Frühjahr. Diese Chance nutzte Kaczyński, um die Öffentlichkeit ein weiteres Mal zu überrumpeln. Ein zynischer Schritt, darin sind sich die meisten kritischen Beobachter einig, weil jede Öffnung des gesellschaftlichen Lebens, die mit dem zurückkehrenden Licht und kommender Wärme nicht aufzuhalten sein wird, eher den Kaczyński-Gegnern in die Hände spielen und das Regierungslager unter größeren öffentlichen Druck bringen wird. Die aus Regierungssicht beste aller schlechten Möglichkeiten galt es zu nutzen, so fiel der Vorhang noch im Januar, das Urteil wurde von Amts wegen veröffentlicht.
In den Novembertagen hatte die Regierungsseite die Proteste überraschend schnell ersticken können, denn massiver Polizeieinsatz und strenge Pandemieauflagen spielten geschickt zusammen. Auch jetzt hofft das Kaczyński-Lager, dass diese repressiven Mittel reichen werden, um den Protest gleich von Anfang an im Keim zu ersticken, bevor – Pandemie hin oder her – ein größerer öffentlicher Raum von den protestierenden Menschen gewonnen werden kann. Im Grunde wird Polens Gesellschaft künftig aber nicht umhinkommen, den irischen Weg einzuschlagen, also über solch grundsätzliche Fragen wie die der gleichgeschlechtlichen Ehe und vor allem die des legalen Schwangerschaftsabbruchs in einem Referendum abzustimmen, so wie 2015 und 2019 in Irland. Doch werfen kenntnisreiche Beobachter bei diesem Vergleich gerne ein, dass die Situation in beiden Ländern nicht zu vergleichen sei, weil die moralische Verwurzelung der katholischen Kirche im heutigen Polen doch noch tiefer greife als in Irland. Anders gesagt, würde erst ein anderer Wahlausgang bei künftigen Parlamentswahlen auch in der Frage solcher Referenden eine tiefere Bresche schlagen.
Insofern überrascht es nicht, dass Polens katholische Kirche seit geraumer Zeit scharfe Kampagnen gegen die sogenannte LGBT-Ideologie und die sogenannte Gender-Ideologie führt, die als gefährliche Spielarten des Marxismus bzw. Neomarxismus herausgestellt werden, die das Fundament des polnischen Volks angriffen. Jüngst wurde zum Beispiel von hoher Kirchenkanzel Friedrich Engels an den Pranger gestellt, dessen Philosophie schlimmste Menschheitsbedrohung sei, sehr viel gefährlicher als das grassierende Corona-Virus. Gemeint ist insbesondere die Schrift «Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats» von 1884, in der die ganze Menschheit auf das Niveau degenerierter Einzelwesen heruntergebrochen werde, die das gottgegebene Geschenk des Lebens nicht mehr weitergeben könnten oder es aus egoistischem Interesse vernichteten.
Hier sei am Schluss auf Kamila Ferenc verwiesen, eine Rechtsanwältin der renommierten Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung, die auf die in der jetzt veröffentlichten Begründung des Urteils vom 22. Oktober 2020 erfolgte Personifizierung der befruchteten Eizelle hinweist, was auf die Gleichsetzung mit dem geborenen Menschen hinauslaufe und zu weitreichenden Konsequenzen im Leben der modernen Gesellschaft führen müsse. Eine leise Ahnung davon treibt wohl auch einige Nationalkonservative um, die nun eiligst versuchen, wenigstens ein kleines gesetzliches Schlupfloch für Schwangerschaftsabbruch offenzulassen, um dem fundamentalistischen Treiben wenigstens die tollsten Blüten zu brechen.