Jana Groth untersucht minoritäre und an den Rand gedrängte Positionen und Kritiken in der deutschen feministischen Bewegung im Zeitraum vor der Jahrhundertwende. Sie debattiert damit Themen und Perspektiven, die in der Rück- und Zusammenschau als «intersektionale» angesehen werden können, und damit sozusagen «Intersektionalität vor der Intersektionalität». Intersektionalität meint die gegenseitige Verschränkung und Verstärkung verschiedener Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse (Sexismus, Rassismus, Klassismus, Antisemitismus etc. pp) und wurde als aus den USA importierter Begriff im deutschsprachigen Raum erst in den 2000er Jahren bekannt.
Groth hat Berichte und Veröffentlichungen über die Erfahrungen und daraus resultierenden Kritiken von «schwarzen» Frauen, Migrantinnen, Arbeitertöchtern (Klassismus), jüdischen Frauen, Sinti und Roma, Frauen mit«Behinderungen» und Lesben zusammengetragen. Kritiken, die in der damals verwendeten Sprache verfasst sind, und auf Mehrfachdiskriminierungen verweisen. Diese Stimmen forderten also, mehr als nur den Widerspruch zwischen Männern und Frauen zu thematisieren und damit «Geschlecht» nicht als einzige oder wichtigste Ungleichheitskategorie anzusehen. Sondern andere, für sie sehr relevante und prägende Diskriminierungsverhältnisse ebenfalls einzubeziehen. Sie sorgten für scharfe Kontroversen, da sie neben Kapitalismus und Patriarchat auch die Frauenbewegungen jener Jahre selbst zum Adressaten ihrer - teilweise radikalen - Kritik machten und diese u.a. als weiß, wohlhabend und christlich kritisierten.
Grundlage der Publikation ist die Auswertung und Interpretation von 213 Quellen, darunter 132 Sammelbandaufsätze, 33 Monografien (von Romanen bis Dissertationen) und 40 Zeitschriftenartikel. Graue Literatur wird erstaunlich wenig benutzt, wie auch insgesamt nicht wirklich klar wird, wie Groth diese Quellen ausgewählt hat; außer dass diese damals im Handgemenge der politischen, aktivistischen und akademischen Debatte ausschließlich oder maßgeblich von Betroffenen erstellt worden waren. Alle diese Quellen stellt die Autorin ausführlich, teilweise mit sehr langen Zitaten, vor.
In der zweiten Hälfte fasst sie die sieben Kritikdiskurse zusammen und vergleicht sie im Hinblick auf Formen, Orte und Folgen von, wie sie es hier nennt: «Diskriminierungen», und analysiert, wie diese bewältigt werden können. So entsteht auch ein Überblick über die Geschichte und Entwicklung dieser (damals neuen) Perspektiven. Zusammengefasst Geschichtsbuch, das einige wichtige, teilweise bis heute umstrittene Themen anhand von Literatur aufbereitet, und dadurch marginalisierten Perspektiven Raum gibt. So wird die Arbeit und das Engagement von Pionierinnen in den jeweiligen Feldern dokumentiert und gewürdigt.
Jana Groth: Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in Deutschland. Marginalisierte Stimmen im feministischen Diskurs der 70er, 80er und 90er Jahre, Weinheim 2021, 462 Seiten, 58 EUR
Hinweis: Die Website zum Thema Intersektionalität ist http://portal-intersektionalitaet.de.