Nina Borst und Songül Bitiş sind Referentinnen des Studienwerks der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die beiden haben vor gut zehn Jahren das Förderprogramm «Lux Like Studium», mit dem Menschen aus nicht akademischen Haushalten in den Fokus genommen werden, auf den Weg gebracht. Daraus ist eine Erfolgsgeschichte geworden. Die Stiftung hat sich damit im Vergleich zu anderen Förderwerken ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Nun widmen sich die beiden Referentinnen als Arbeitsgebiet in der Stiftung insgesamt dem Themenfeld der Bildungspolitik zu. Hier sprechen sie über die Erfolgsgeschichte und ihre zukünftigen Ziele.
Im Jahr 2010, also vor genau zehn Jahren, habt ihr das Lux like Studium-Projekt gestartet. Könnt ihr erzählen, warum ein solches Programm längst überfällig war?
Nina und Songül: Bildungsungleichheiten haben im Bildungssystem in Deutschland eine lange Tradition. Das war schon vor 2010 so und besteht noch weiter fort. Die Ergebnisse der Pisa-Studie, die unter anderem diese systematisch (re)produzierten Ungleichheiten widerspiegeln, gehören mittlerweile zum Alltagswissen. Da sich das Bildungssystem in seiner (Weiter-) Entwicklung vor allem durch eine beharrliche Bildungsferne auszeichnet, bleiben wir leider mit dem Thema der Bildungsgerechtigkeit immer im Beat der Zeit.
Im Jahr 2010 legte das BMBF ein Förderprogramm zur Förderung unterrepräsentierter Gruppen in den Begabtenförderwerken auf. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung entschied sich für die Förderung von jungen Menschen, die studieren wollen und in einem nicht akademischen Haushalt aufgewachsen sind. Dem zugrunde liegt die (politische) Entscheidung die Arbeiter*innenklasse wieder mehr in den Fokus zu rücken.
Wir haben 2011 die ersten 15 Stipendien vergeben. Darüber hinaus hat sich Lux like Studium auch positiv auf die anderen Programme von uns ausgewirkt. Mittlerweile liegt der Anteil der Erstakademiker*innen unter den von uns Geförderten bei über 64 Prozent – Tendenz steigend. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung liegt damit klar an der Spitze der so genannten Begabtenförderwerke.
Was sind für euch Highlights im Lux like Studium-Projekt über die konkrete Förderung hinaus?
Da ist zuallererst die Veränderung in der Organisationskultur des Studienwerks und in Ansätzen auch der Stiftung zu nennen. Wir haben durch Lux like Studium bestehende, akademisch normierte Ansätze in Frage gestellt und neue Praktiken etabliert. Bereits bestehende Strukturen, Ansätze und Inhalte aus der Perspektive von sozialen Ungleichheiten zu reflektieren und zu verändern, ist weder besonders bequem noch einfach umzusetzen. Denn fast niemanden fällt es leicht, bestehende Praxen zu hinterfragen und zu verändern. Dieses gilt für das Studienwerk genauso wie für die gesamte Stiftung. So freuen wir uns umso mehr über erfolgreiche Änderungsprozesse im Studienwerk, wo z.B. ein Einführungsseminar heute ganz anders aussieht als noch vor zehn Jahren. Auch die Stipendiat*innenschaft ist eine andere als vor zehn Jahren.
Innerhalb der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das Projekt viel bewegt, wenn auch nicht immer gleich ersichtlich und vor allem bewusst. Als Beispiel genügt schon der Name - Lux like … – der von uns damals mit einem Augenzwinkern als Projektname auserkoren wurde - und einige kritische Kommentare aushalten musste. Aber noch heute wird er von Kolleg*innen immer wieder neu belebt, gerade wenn es um das Erreichen neuer Zielgruppen der Stiftung geht.
Ein persönliches Highlight für uns war die Erstellung der Comic-Ausstellung und der dazugehörigen Publikation. Wir haben viel gelernt in der Zusammenarbeit mit Künstler*innen wie die Verschränkung von Kunst und Inhalt und auch über Aushandlungsprozesse in diesem Feld. Da wir den Ansatz verfolgen und den Anspruch haben, Theorie und Praxis zusammen zu bringen, haben wir in beiden Projekten biografisch gearbeitet. Und auch in diesem Bereich haben wir viel gelernt, auch über Fehler und Verletzungen, die passieren können.
Nicht zu Letzt ist es uns wichtig, die Teamzusammensetzung und –Arbeit zu benennen. Denn wir hatten das Glück, gemeinsam mit Diane Benkert neu – allerdings auf befristeten Stellen – in der Rosa-Luxemburg-Stiftung anzufangen. Insgesamt freuen wir uns sehr, über das Lux like Studium-Projekt viele Änderungsprozesse im Bildungsbereich angestoßen und gemeinsam unglaublich viel gelernt zu haben. Unsere Arbeit in diesem Zusammenhang hat uns nämlich auch das eine oder andere Fettnäpfchen nicht erspart, aber auch eine Unvoreingenommenheit geschenkt, die unserem Vorhaben durchaus sehr hilfreich war.
Woran wollt ihr anknüpfen, wenn ihr euch nun der bildungspolitischen Arbeit der Stiftung widmet? Welche eurer Erfahrungen aus dem Lux like Studium-Projekt sind hilfreich bei den kommenden Aufgaben?
Wir freuen uns, dass die «Bildungsreise», unser Lux like Bildungsroadtrip II weitergeht. Wo soll es hingehen? Zur Inklusiven Bildung!
Was wir für unsere Reise mitnehmen, ist, dass Ungleichheitsverhältnisse intersektional wirken – zum Beispiel ist zu nennen, dass durch das Lux like Studium-Projekt nicht nur der Anteil von Erstakademiker*innen erhöht wurde, sondern auch der von Studierenden mit Rassismuserfahrungen. Eine Ungleichheit kommt selten allein. Wir wollen keine koloniale Bildungsreise mit interessanten Entdeckungen!
Auf unserer kritischen Bildungsreise wollen wir weiterhin Unsichtbares sichtbar machen! Ungehörte hören und hörbar machen. Dafür müssen wir uns selber auch manchmal unsichtbar machen und nicht immer alles sofort verstehen. Wir wollen miteinander reden, statt übereinander, auch ohne unsere Sprachen jeweils zu verstehen. Wir wollen Unsicherheiten und Irritationen zulassen, damit über neues Lernen und überhaupt eine andere Bildung möglich ist. Nicht zuletzt bedarf es einer transparenten, solidarischen und wertschätzenden Kommunikation – um miteinander wachsen zu können.
Für unsere inklusive Bildungspolitikreise bewegen wir uns auf unterschiedlichen Laufbahnen, die es zusammenzubringen gilt: individuell, kulturell, strukturell.
In unserer Reisetasche haben wir den nötigen Mut, den wir brauchen, um neue Wege zu gehen und gewohnte Bahnen zu verlassen. Wir sind zuversichtlich und sehr erfreut, dass wir auch nach zehn Jahren RLS weiterhin widerständig und aus den gewohnten Bahnen mal wieder aussteigen und uns den gewohnten Gegenwind um die Ohren blasen lassen zu dürfen.
Des Weiteren tragen wir eine riesen Portion Humor mit uns, um gut mit den Anforderungen umzugehen. Um die eigene Fehlbarkeit und die daraus resultierende unbedingte Lernbarkeit zu wissen, auch wenn dieses in den bestehenden Herrschaftsverhältnissen, gerade als Frauen oder fraulich sozialisierte Personen, durchaus weitere gesellschaftliche Reproduktionen mit sich bringt.
Wir brauchen auf unserer Reise viele Reisebegleitungen von euch, um einen gemeinsamen inklusiven Ort zu gestalten und um an der Zuversicht für gesellschaftliche Änderungsprozesse festzuhalten.