Nachricht | GK Geschichte Kulturrevolution als Vorbild. Maoismen im deutschsprachigen Raum, Frankfurt/Main 2008

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Muss man sich heute noch mit dem Maoismus beschäftigen? Wenn man ihn als handlungsanleitende Ideologie betrachtet oder die Relevanz der sich auf den Maoismus berufenden marxistisch-leninistischen Gruppen im Westdeutschland der 1970er und 1980er Jahre untersucht, kann die Antwort nur „nein“ lauten. Wenn Maoismus und die damit verbundene chinesische Kulturrevolution aber als bedeutender Bezugspunkt für die fortschrittlichen Bewegungen der 1960er Jahre weltweit verstanden wird, dann muss die Frage bejaht werden. Nicht zuletzt lässt sich anhand der Geschichte der maoistischen Gruppen im deutschsprachigen Raum zeigen, wie Linke sich Ideologien und Images aneignen, in welcher historischen Situation und mit welcher Begründung.

Der Band Kulturrevolution als Vorbild untersucht, warum sich Ende der 1960er Jahre so viele Menschen für die chinesische Kulturrevolution begeistern und wie sie sich ihr Bild von Mao und China konstruieren, was für sie daran attraktiv ist. Die sich entmischende Studentenbewegung befindet sich 1969 in einer Krise. Da bietet sich China und der Maoismus mit seiner Stellung gegen die Supermächte und mit seiner vorgeblichen Bürokratiekritik und seinem Engagement für die „Dritte Welt“ als positiver Bezugsrahmen an. In der Krise der antiautoritären Bewegung entwickelt der Maoismus die größte Anziehungskraft. Warum dies so war, kann das Buch auch nicht schlussendlich klären, es bleibt das große „schwarze Loch“, das im Buch mehrmals erwähnt wird. Die Texte geben aber viele Hinweise: Integraler Bestandteil des Maoismus war zum Beispiel die positive Bezugnahme auf die Jugend und eine Verklärung des Bauern als „einfachem Menschen“, der der vorgeblichen Kälte des westlichen Kapitalismus entgegengestellt wurde, alles Ideen, an die die Neue Linke anknüpfen konnte. Die Disziplin und Geschlossenheit der maoistischen Gruppen erscheint damals als Ausweg aus der Niederlage der außerparlamentarischen Opposition und als Mittel, endlich den ersehnten Kontakt mit der Arbeiterklasse zu erreichen.

Der chinesische Bezugsrahmen gerät dann ab 1976 ins Wanken. Einerseits durch die aufkommenden neuen sozialen Bewegungen und ihre weit attraktiveren Politikformen, andererseits durch die Veränderungen in China selbst. Es sollte aber noch bis Anfang der 1980er Jahre dauern, bis sich die ersten maoistischen Gruppen auflösten.

Das Buch enthält zwei autobiografische Beiträge sowie teilweise arg detailverliebte Artikel zur Mao-Rezeption in der ersten Generation der Roten Armee Fraktion, in kommunistischen Gruppen in der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich und zu Mao als Ikone der linken Popkultur. Es ist ein Beitrag zur Ideen- und Organisationsgeschichte der radikalen Linken im deutschsprachigen Raum. Schlussfolgerungen für heute lassen sich nur sehr vermittelt ziehen, gehört doch der Maoismus einer vergangenen Epoche an. Die derzeit überall anzutreffende unkritische Bezugnahme auf die „Wiederkehr des Sozialismus“ in Südamerika zeigt aber erstaunliche Parallelen zu den damaligen Verhältnissen.

Sebastian Gehrig, Barbara Mittler, Felix Wemheuer (Hrsg.): Kulturrevolution als Vorbild. Maoismen im deutschsprachigen Raum, Peter Lang Verlag Frankfurt/Main 2008, 221 S., 39 EUR