Das Bündnis der Dorfgemeinden zur Verteidigung von Land und Wasser aus Morelos, Puebla und Tlaxcala (FPDTA-MPT) im Interview über ihren Kampf gegen ein umfangreiches Projekt zur Industrialisierung, sowie ihre Teilnahme an der «Reise für das Leben» der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) durch Europa.
In diesen Monaten reist eine Vertretung der EZLN im Rahmen ihrer «Reise für das Leben» quer durch Europa. Es ist die Vorhut einer Delegation, an der sich verschiedenen Akteur*innen, Kollektive und Organisationen aus Mexiko beteiligen. Anlass der Reise sind 500 Jahre nach Beginn des Widerstandes. Gemeint ist der Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung, der 1521 begann, als Tenochtitlán, das heutige Mexiko-Stadt, durch die spanische Krone eingenommen wurde. Während sich die Vorhut der Delegation bereits in Europa befindet und gemeinsam mit verbündeten Gruppen am 13. August in Madrid zu einer Demonstration zum 500. Jahrestag der sogenannten Eroberung Mexikos aufrief, sitzt die eigentliche Delegation in Mexiko fest. Schutzmaßnahmen der Pandemie, aber vor allem restriktive Migrationsbehörden hindern viele an der Ausreise, indem beispielsweise Visaanträge nicht genehmigt werden oder mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind. Dabei ist klar, die Delegationsreise kann erst beginnen, wenn alle Teilnehmer*innen ausreisen können.
Auch das Bündnis der Dorfgemeinden zur Verteidigung von Land und Wasser aus den Bundesstaaten Morelos, Puebla und Tlaxcala (FPDTA-MPT, Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra y el Agua de Morelos, Puebla y Tlaxcala) ist Teil der Delegation. Die Reise bringt soziale Kämpfe in Mexiko, Organisationen und originäre Gemeinden zusammen und verläuft in umgekehrter Richtung zur vermeintlichen «Entdeckung» Amerikas. Ziel sei es, so die Initiator*innen, das rebellische Denken in die Ferne zu tragen, die europäischen widerständigen Kämpfe zu den eigenen zu machen, sich über diese zu informieren und lernen.
Carla Meyra und Javier Castillo aus dem Regionalbüro der Rosa Luxemburg Stiftung in Mexiko-Stadt sprachen mit Liliana Velázquez und Samantha César über die aktuelle Situation des Bündnisses und die Perspektive des FPDTA auf die «Reise für das Leben».
Wie begann euer Organisationsprozess?
Das Bündnis entstand 2012. Damals machten wir uns aufgrund der Vielzahl der betroffenen Territorien Sorgen angesichts der möglichen Auswirkungen von drei geplanten Großprojekten auf Umwelt und Gemeinden: Es handelte sich um eine Gas-Pipeline, ein Aquädukt und zwei Wärmekraftwerke. Zusammengefasst waren sie unter dem Namen Integraler Plan Morelos (PIM). Von den Planungen betroffen waren etwa 60 Dorfgemeinschaften, die in den drei zentralen mexikanischen Bundesstaaten Morelos, Puebla und Tlaxcala in der Nachbarschaft des aktiven Vulkans Popocatépetl liegen.
Die Vorhaben waren der Startschuss für einen neuen, den Bergbau einschließenden Industrialisierungsprozess. Gefördert wurde er von der Bundesregierung, damals mit Präsident Enrique Peña Nieto an der Spitze. Das Gesamtprojekt umfasste Konzessionen für verschiedene Unternehmen und vorgesehene Investitionen von 1,6 Milliarden US-Dollar. Auf der anderen Seite standen die Umweltrisiken, darunter die vorhersehbare Verschmutzung des Flusses Cuautla mit entsprechenden Konsequenzen für die Landwirtschaft. Dazu kam die Landnahme und die Modifizierung von Landflächen. Es war absehbar, dass diese Projekte die Arbeitsroutinen und den organisierten Lebensalltag der bäuerlich-indigenen Bevölkerungen völlig verändern würden.
Doch dies war in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Das Bündnis setzte daher darauf, mit Information gegen den Integralen Plan Morelos zu kämpfen. Zusammen mit anderen Personen brachte Samir Flores das Projekt für ein Community Radio auf den Weg. Es sollte die Menschen zur Beteiligung ermutigen, die von dem Großvorhaben betroffen sein würden. [Das Radio sendet seit Januar 2014; Anm. der Red.]
Das Bündnis besteht nun fast zehn Jahre. An welchem Punkt befindet ihr euch heute?
Wir haben es geschafft, dass einige Teile des PIM ausgesetzt oder völlig gestoppt worden sind. Dank der Arbeit der Gemeinden und der Unterstützung ziviler Organisationen konnten wir den Mord an Samir Flores auf nationaler und internationaler Ebene sichtbar machen. Wir haben den Fall vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Als jemand, der mit seiner Arbeit das Land verteidigte, erhielt er Drohungen. Samirs Ermordung steht im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten, um den Integralen Plan Morelos zu verhindern.
Liliana Velázquez ist Teil des gemeindebasierten Gesundheitsprojekts des Bündnisses. Ihr Mann war Samir Flores, 2019 ermordeter Aktivist und Umweltschützer. Die Kampagne für Gerechtigkeit im Fall von Flores hat die Gemeinde Amilcingo im Bundesstaat Morelos noch sichtbarer gemacht.
Samantha César ist Teil des Community Radios Amilzinko 100.7 FM. Die Radiostation leistet wichtige Arbeit für die Vernetzung der Kampagne. Als Vertreterinnen des Bündnisses sprachen sie mit der RLS.
Im Fall des Mordes an Samir gibt es jedoch keine Fortschritte. Die Ermittlungen verfolgen fünf mögliche Mordmotive: Samirs Arbeit als Landverteidiger, seine Arbeit im Community Radio, oder dass er dem organisierten Verbrechen im Weg stand. Außerdem wird ein Konflikt aufgrund einer arbeitsrechtlichen Klage gegen die Landkreisregierung in Betracht gezogen, sowie ein Konflikt auf Gemeindeebene wegen der in seiner Gemeinde organisierten Schule. Weder der Gouverneur des Bundesstaates Morelos noch der Staatsanwalt haben den politischen Willen, bei der Aufklärung des Verbrechens voranzukommen.
Wir wollen eine Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass er Organisierung und Bewusstsein in den Gemeinden verbreitete, uns zusammenbrachte, um uns als Menschen kennenzulernen und uns wertzuschätzen. Dies sind seine Beiträge, dazu kommen seine Würde und seine Liebe für seine Dorfgemeinde.
Wie steht es konkret um das Megaprojekt, des sogenannten integralen Plans für Morelos?
Die Umsetzung des PIM aufzuhalten, hat uns als Dorfgemeinden vorangebracht. Die kollektive Verteidigung von Land und Territorium hat uns beispielsweise in Amilcingo und Zacatepec erlaubt, über die Autonomie zu reflektieren, die wir als originäre Gemeinden brauchen. Wir haben darüber nachgedacht, erneut die Kontrolle über unser Territorium zu übernehmen, unsere alten Organisationsformen und die gemeinschaftliche Regierungspraxis wieder aufzugreifen.
Inzwischen haben wir mehrere Community Radios aufgebaut. Das war für uns wichtig. Um unser Territorium verteidigen zu können, mussten wir die Dorfgemeinden informiert halten und die Informationsblockade der offiziellen Medien durchbrechen. Heute sehen wir die Radios als Teil unseres Rechts auf Kommunikation. Wenn wir die Radiostationen verteidigen, so geschieht dies aus einer Perspektive, die in ihnen einen Dienst an der Gemeinschaft und die Stimme der Dorfbevölkerungen sieht.
Wir haben außerdem über die Nutzung von Heilpflanzen den gemeindebasierten Gesundheitsansatz gestärkt. Mit Einrichtungen wie unserer «Kleinen Samstags-Gemeindeschule» sind wir dabei, eine kritischere Bildung zu fördern. Sie stützt sich auf spielerische Methoden und die Erlebnispädagogik.
Die Regierung von Andrés Manuel López Obrador (kurz AMLO) hat bald die Hälfte ihrer Amtszeit hinter sich. Seine Partei Morena wird von vielen als links und den indigenen Gemeinden zugewandt angesehen. Hat sich die Lage in euren Dorfgemeinden verändert?
Wir befinden uns in einer Situation, die für Aktivist*innen und die Gemeinden äußerst kompliziert ist. Die Annahme, die Bedingungen hätten sich geändert, ist falsch. Diejenigen, die Land und Territorium verteidigen, werden nach wie vor beschuldigt, verhaftet und ermordet.
Die AMLO-Regierung hat für unseren Kampf keine Veränderungen gebracht. Sie präsentiert sich als links, agiert jedoch wie eine Mitte-Rechts-Regierung: Das neoliberale und extraktivistische Wirtschaftsmodell bleibt bestehen, die Freihandelsverträge bestätigen dies. Die Regierung hat Vereinbarungen mit Unternehmen – vor allem aus Kanada, China und Spanien – geschlossen, die unser Land mit Regierungserlaubnis im wahrsten Sinne des Wortes verwüsten.
AMLOs Diskurs richtet sich gegen soziale Bewegungen, die er als oppositionell zur seiner sogenannten «Vierten Transformation» ansieht. Das bringt seine Anhänger*innen gegen die Bewegungen und Kämpfe auf und führt intern zu Reibungen. Zusätzlich übt das organisierte Verbrechen seit Jahren die Kontrolle über mehrere Gemeinden unserer Region aus und die politischen Parteien haben einige Mitglieder unseres Bündnisses kooptiert.
Des Weiteren nehmen die Regierungsprogramme keine Rücksicht auf unsere Organisationsformen und beziehen sich auch nicht auf unsere Bedürfnisse. So hat beispielsweise das Regierungsprogramm «Sembrando Vida» [Leben säen; Anm. d. Übers.] offiziell zum Ziel, die Landarmut und Umweltzerstörung zu bekämpfen, indem Personen aus den Gemeinden für Wiederaufforstungsarbeiten bezahlt werden. Das Programm führt jedoch Baumarten ein, die in der Region nicht heimisch sind, es fördert Assistenzialismus und schafft Abhängigkeiten der Teilnehmenden.
Auch bei der Nationalen Behörde für die Indigenen Völker (INPI) gibt es keine Fortschritte. Ihr Auftrag ist es, Befragungen über Projekte auf ihren Territorien durchzuführen. Dabei agiert die INPI zugunsten der Unternehmen. Die Befragungen haben vor allem das Ziel, den Unternehmen Zugang in den Gemeinden zu verschaffen. Nach der Vorstellung des INPI bestehen die Rechte der indigenen Bevölkerung darin, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Und Integration bedeutet auf ihre Territorien mit dem Argument zu verzichten, dies geschehe zum Nutzen der Region und des Landes. Doch tatsächlich bringt diese Art von Fortschritt nur Gewalt und Plünderung mit sich.
Frauen nehmen offensichtlich eine wichtige Rolle innerhalb des Bündnisses ein. Auf welche Hindernisse und Herausforderungen stoßt ihr dabei? Wo steht ihr in diesem Kampf?
Die Frauen haben eine ausgeprägte, führende Rolle bei der Verteidigung des Territoriums. Wir sind diejenigen, die das Leben auf vielen Ebenen schützen. Wir sind entschlossen, das Leben zu verteidigen. Die Natur, indigene Gemeinden und Frauen haben viel Gewalt im kapitalistischen Modell erfahren. Darum haben sowohl die indigene Bewegung als auch die Frauenbewegung eine solche Kraft entwickelt.
Das Patriarchat und der Machismo sind auch in den widerständigen Gemeinden und bei Aktivist*innen tief verwurzelt. Wir müssen intensiv dafür arbeiten, dass die Männer in unseren Dorfgemeinden verstehen: Der Kampf ist nicht gegen sie gerichtet, sondern gegen das Patriarchat. Die Beendigung des Kapitalismus führt über die Abschaffung des Patriarchats. Dies ist eine Aufgabe für Männer und Frauen.
Die Beteiligung der Frauen am Kampf ist birgt Hürden. Wir sind für alles zuständig, was mit der Sorgearbeit zu tun hat. Wir müssen zusätzlich noch arbeiten, um Einkommen zu erzielen. Uns als Aktivistinnen zu engagieren bedeutet, an Treffen teilzunehmen. Außer Haus zu sein, ohne unsere Kinder und die Familie zu vernachlässigen. Wir arbeiten das Vierfache. Manchmal können wir auf die Unterstützung der Familie oder der männlichen Genossen zählen, aber einfach ist es nicht.
Der Kampf hat uns politisch verortet. Wir als Genossinnen und Verbündete müssen uns alle in ihm engagieren. Der Kampf geht weiter. Wir Frauen müssen uns untereinander unterstützen und uns umeinander kümmern.
Inwieweit kann die «Reise für das Leben» das Bündnis stärken?
Diese Reise durch Europa wird das FPDTA-MPT und die EZLN genauso stärken wie alle, die das von der extraktivistischen Politik geschädigte Leben verteidigen wollen. Es handelt sich um eine Politik des Todes, die darauf zielt, die Lungen der Welt zu zerstören. Wie wir wissen, befinden sich die bedeutendsten Wälder auf indigenen Territorien. Darum die Offensive gegen Indigene.
Aber heute erleben wir ebenso eine Attacke gegen die nicht-indigenen Territorien. Darum ist unser Kampf umfassender: Er richtet sich gegen den Raub von sozialen und politischen Rechten gegen Rassismus, das Schüren von Hass zwischen den Menschen, gegen alles, was ein würdiges Leben angreift. Diese Reise lädt uns ein, darüber nachzudenken, wie wir uns stärken können. Wir wollen eine menschenwürdige Zukunft in einer Welt, in der aktuell 99 Prozent der Bevölkerung um das Überleben kämpfen, während ein Prozent immer reicher wird.
Bei der Reise nach Europa haben sich die indigene Bewegung und die Frauenbewegung gemeinsam an der Spitze gestellt. Dies ermöglicht uns Berührungspunkte, um als Frauen unter uns zu sprechen und voneinander zu lernen. Wir möchten unseren Genossinnen sagen, dass wir auf das Leben setzen. Das Territorium zu verteidigen bedeutet, das Leben, unsere Würde als Frauen, und unser allererstes Territorium, unseren Körper, zu schützen. Wir möchten ihnen sagen, dass es auch in den indigenen Gemeinden Compañeras gibt, die wir nur mit Mühe zum Mitmachen bewegen können. Aber von verschiedenen Territorien aus erheben die Frauen ihre Fäuste.
Was würdet ihr als Bündnis während der «Reise für das Leben» gerne auf die internationale Agenda setzen?
Zu den Forderungen, die unerfüllt sind und die wir sichtbar machen wollen, zählen wir unter anderem Gerechtigkeit im Fall des Mordes an Samir Flores. Das schließt die Aufklärung des Mordes und die Verhaftung der Täter*innen ein, die als Hintermänner oder Durchführende daran beteiligt waren. Ebenso muss die Kriminalisierung von Aktivist*innen, die sich gegen das Megaprojekt stellen, aufhören. Sie dürfen nicht weiter vor Gericht gezerrt werden.
Wir fordern zudem den vollständigen Stopp des Integralen Projektes Morelos. Dieses Megaprojekt schädigt 60 Gemeinden auf direkte Weise. Das Vorhaben missachtete die normativen Systeme der originären Gemeinden. Die Schäden, die durch die Baufortschritte des PIM entstanden sind, müssen wiedergutgemacht werden.
Schließlich fordern wir, die Rechte von Indigenen zu respektieren. Wenn die Regierung die Lebensbedingungen der Dörfer und Gemeinden durch Entwicklungsmaßnahmen verbessern will, dann muss sie die landwirtschaftlichen Politiken und das kleinbäuerliche Leben stärken. Es muss wirkliche Unterstützung geben, die keine Abhängigkeit schafft.
Über die das Bündnis betreffenden Forderungen hinaus wollen wir die europäische Solidarität einfordern. Sie muss sich dafür einsetzen, dass die Feindseligkeiten gegen die zapatistischen Gemeinden aufhören.
Unsere Botschaft zielt darauf ab, dass wir uns organisieren, vernetzen und stärken. Wir müssen den Widerstand, die Würde und die Formen, voneinander zu lernen, globalisieren. Überall ist viel Wissen dazu vorhanden. Die widerständigen Kämpfe hinterlassen stets wichtige Lernerfahrungen. Die «Reise für das Leben» ist eine Gelegenheit zum Austausch, damit wir alle voneinander lernen.
Übersetzung: Gerold Schmidt
Weiterführende Beiträge auf Spanisch
- La resistencia de un pequeño pueblo al Proyecto Integral Morelos, Samantha César, Desinformémonos.
- Hablan los pueblos, multimediales Projekt, Gloria Muñoz, Desinformémonos.
- Samir sin reversa, Gloria Muñoz, Desinformémonos.