Tareq Salem* über sein Leben als Flüchtling während der Corona-Pandemie in Italien und Hamburg (12.02.2021)
Nikolai Huke: Wo sind Sie in die Europäische Union eingereist?
Tareq Salem: Ich bin über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Das war sehr gefährlich. Wir haben 35 Stunden gebraucht. Ich war auf einem Holzboot mit 29 Personen, mit vier Familien, Kindern und Frauen, es war schwierig. Wir haben zwei Nächte auf See verbracht.
In Italien waren wir fast 40 Tage in Quarantäne. Am Anfang waren wir neun Tage lang auf Lampedusa. Dann verlegten sie uns zur Quarantäne nach Sizilien. Es war eine der elendsten Zeiten in meinem Leben, glaube ich. Zu viele Menschen an einem Ort, der nicht sauber war, das Essen war sehr schlecht. Es gab keine Zimmer, nur Säle, jeder mit etwa 30 Personen. Dabei war der Saal nicht besonders groß. Es war überfüllt und wir konnten nachts kaum schlafen wegen des Lärms. Es waren Migranten aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Kulturen, was manchmal zu verbalen oder sogar körperlichen Auseinandersetzungen führte. Manchmal war es kalt. Ich war auf mich allein gestellt. Aber ich lernte Leute kennen. Ich habe einige, sagen wir mal, Freunde gefunden, aber anfangs kannte ich niemanden.
Denen war es egal, ob wir uns mit Corona angesteckt haben oder nicht. Denn sonst hätten sie nicht so viele Menschen ohne Schutz und ohne soziale Distanzierung auf kleinen Raum gesteckt. Sie gaben uns kaum Masken und sterilisierendes Zeug. Am Anfang blieben wir 20 Tage und dann machten sie den Test, und es gab 20 Fälle unter, ich glaube, 350 oder 400 Leuten. Also mussten wir weitere 15 oder 20 Tage bleiben. Insgesamt blieben wir 36 Tage in der Quarantäne. Es war wirklich schwierig.
Das Sicherheitspersonal behandelte die Migranten nicht fair. Einige Migranten wurden verprügelt. Manchmal war es, weil Migranten miteinander kämpften, oder weil sie versuchten zu fliehen, weil die Bedingungen wirklich erbärmlich waren, aber sie gefangen wurden. Ich habe gesehen, dass Menschen vom Sicherheitspersonal und von der Polizei geschlagen wurden. Trotz der Sicherheitskräfte im Lager und allem konnten einige Leute aus dem Lager fliehen. Einer hat versucht zu fliehen und wurde von einem Auto angefahren und getötet.
Wie sind Sie in Hamburg angekommen?
Gleich nachdem sie uns aus der Quarantäne entlassen hatten, ging ich von Italien nach Deutschland. Ich bin nach Hamburg gegangen, weil ich dort schon einen Freund hatte. Ich dachte, vielleicht ist es einfacher für mich, weil ich hier in Europa niemanden kenne außer diesem Freund. Und er ist schon seit etwa zwei Jahren hier. Ich war extrem müde und krank, und ich hatte einige Verletzungen. Dadurch war die erste Zeit in Hamburg für mich körperlich und emotional sehr schwierig. Ich kämpfte noch immer mit den Erfahrungen, die ich bei der Überquerung des Mittelmeers und während meines fast zweimonatigen Aufenthalts in Italien gemacht hatte.
Am ersten Tag testeten sie mich auf Corona, der Test war negativ. Also brachten sie mich am nächsten Tag in ein Lager für eine zweiwöchige Quarantäne. Es war in Ordnung. Während der ersten Quarantäne konnte jeder für sich in einem Zimmer bleiben, in einem kleinen Zimmer. Und das ist das Wichtigste für mich. Und dann haben sie mich in ein anderes Lager im Bargkoppelstieg in Hamburg verlegt.
Wie war die Unterkunft in Hamburg?
Im ersten Camp war ich in einem kleinen Einzelzimmer. Es war ganz okay, weil es sauber war. Es war nicht so groß, aber wenigstens war ich alleine. Aber dann im Bargkoppelstieg war es überfüllt. Keine Privatsphäre. Es war mehr wie ein Saal, nicht wie ein Zimmer, weil alles offen war. Wir teilten uns zwei Zimmer nebeneinander, keine Tür zwischen den beiden Zimmern, und die Wand geht nicht bis zur Decke, so dass man die Leute aus dem Nebenzimmer und dem Zimmer daneben hören kann. Die Leute kamen aus verschiedenen Ländern und die meiste Zeit sprachen wir nicht die gleiche Sprache, so dass jeder fast auf sich allein gestellt war. Die Dusche im Bad mussten wir uns alle teilen, aber wenigstens war sie sauber. Sie kommen und putzen jeden Tag, was ganz anders als in Italien war. Ich habe versucht, nicht zu zeigen, dass ich schwul bin. Weil es niemand wusste, hatte ich keine Probleme.
Wie war Ihre Erfahrung mit den Securities?
Die Securities, muss ich sagen, waren nett zu mir, aber die meisten von ihnen wissen nicht, wie sie mit der Situation in der Unterkunft umgehen sollen. Vielleicht sind sie verängstigt. Vielleicht haben sie keine Erfahrung. Ich weiß es nicht. Wenn wir sie zum Beispiel nach etwas fragen, oder wenn wir etwas brauchen, sagen sie nur: «Wissen wir nicht.» Wir bekommen fast keine Hilfe von den Securities. Sie versuchen nur, uns drinnen zu halten, und das war's. Und selbst wenn man versucht, draußen spazieren zu gehen, kontrollieren sie einen, wenn ich zum Beispiel rausgehen will, laufen sie die ganze Zeit neben mir her, bis ich wieder drinnen bin. Oder sie sagen: «Du musst in diesem Bereich bleiben, du darfst dich nicht in andere Bereiche bewegen.» Also, obwohl das Lager von außen komplett abgesperrt war.
Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Sozialmanagement?
Einmal haben die Sozialmanager Sachen für mich gelagert, ich war nicht in dem Raum, und dann haben sie uns in einen anderen Raum verlegt, und ich habe in meinen Schrank geschaut, aber meine Sachen waren nicht da. Und bis jetzt habe ich nichts zurückbekommen. Und während der Quarantäne, wenn wir sie nach etwas fragten, sagten sie nur: «Wissen wir nicht.» Als unsere Quarantäne vorbei war und alle Tests negativ waren, versuchten sie, uns länger in Quarantäne zu lassen. Aber wir machten eine Art Protest. Es war friedlich, nur um sie wissen zu lassen, dass die Quarantäne vorbei ist. Ich glaube, es hat mit vier oder fünf Personen angefangen, und dann haben wir angefangen, den Rest der Leute zu mobilisieren, aber nicht alle waren draußen. Also kamen sie und ließen uns frei.
Es war nach dem 15. Tag der Quarantäne, und zwei Tage vorher hatten sie die Tests gemacht, und alle Ergebnisse waren negativ. Normalerweise hätten wir also aus der Quarantäne entlassen werden müssen, aber das war ihnen egal. Normalerweise kommen sie von zwei Uhr bis drei Uhr, aber an diesem Tag sind sie nicht gekommen. Sie sind nicht aufgetaucht. Wir gingen raus und sprachen mit dem Sicherheitsdienst, die riefen das Sozialmanagement an, und sie kamen. Und sie sagten uns: «Es steht euch frei zu gehen, aber ihr werdet in ein anderes Lager verlegt werden. Also ist es besser, drinnen zu bleiben, oder zumindest, wenn ihr rausgeht, geht nicht für eine lange Zeit raus.» Aber ich denke, der Protest war erfolgreich, es war am Freitag, wenn wir nicht protestiert hätten, hätten sie uns mindestens bis Montag unter Quarantäne gehalten.
* Name geändert