Interview | Krieg / Frieden - Israel - Palästina / Jordanien - Corona-Krise Schimmer der Hoffnung?

Die Gesundheitsversorgung im Gaza-Streifen leidet unter dem doppelten Druck von Pandemie und Besatzung

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Autorin

Duha Almusaddar,

A young male doctor ist visiting patients in a hospital
Ein Arzt besucht Patient*innen am Krankenbett. Der Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung ist im Gazastreifen aufgrund der politischen Situation besonders schwer. Mohamed Reefi

Der Ausbruch der COVID-19 Pandemie hat die Fragilität der Gesundheitssysteme in aller Welt deutlich gemacht. Besonders schwerwiegend waren die Auswirkungen jedoch an Orten wie dem Gazastreifen, wo die Gesundheitseinrichtungen Teil des fragmentierten und ohnehin fragilen palästinensischen Gesundheitssystems sind. Aufgrund der politischen Realität der israelischen Besatzung und der nationalen Teilung Palästinas liegt die Verantwortung für das palästinensische Gesundheitssystem in Gaza bei mehreren Akteuren: Israel als Besatzungsmacht, die Palästinensische Behörde (PA) und die De-facto-Behörde im Gazastreifen, die Hamas. Was bedeutete das Virus für die Menschen im Gazastreifen, und wie hat dieses bereits geschwächte Gesundheitssystem die militärischen Auseinandersetzungen im vergangenen Mai und die anhaltende Pandemie überstanden?

Duha Almusaddar vom Büro Palästina und Jordanien der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach mit Dr. Ayed Yaghi, um die Situation besser zu verstehen. Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews in englischer Sprache.

Dr. Ayed Yaghi ist Leiter der Zweigstelle der Palestinian Medical Relief Society (PRMS) in Gaza

Das aktuelle palästinensische Gesundheitssystem baut auf die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) auf, insbesondere auf das Gesundheitsministerium und den Sanitätsdienst der Sicherheitskräfte. An zweiter Stelle folgt das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), dessen Auftrag die Versorgung palästinensischer Flüchtlinge umfasst. Hinzu kommen zivilgesellschaftliche Organisationen sowie eine kleine Zahl privater Anbieter*innen.

Erschwerter Zugang zu Gesundheitsversorgung

Der Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung wird vor allem durch drei Faktoren erschwert. Die israelische Besatzung und Blockade behindert und beschränkt die Einfuhr medizinischer Ausrüstung, ebenso wie die Ausreise von Patient*innen, die im Ausland oder auch nur in anderen palästinensischen Städten medizinisch behandelt werden möchten. Von diesen Einschränkungen ist auch medizinisches Personal betroffen, das den Gazastreifen für Fortbildungen oder andere Veranstaltungen zur beruflichen Weiterentwicklung verlassen möchte.

Das zweite Problem sind die seit 2007 anhaltenden Spannungen zwischen Fatah und Hamas. Diese wirken sich negativ auf die gesundheitliche Versorgung aus. Gemäß der palästinensischen Verfassung und Gesetzgebung obliegt die medizinische Versorgung der Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten dem Gesundheitsministerium. Die Existenz zweier solcher Ministerien ist im Gesetz jedoch nicht vorgesehen. Parallel zu dem rasanten Bevölkerungswachstum erhöht die verdoppelte Regierungsstruktur den Bedarf an Ressourcen. Beide Parteien schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, wenn es darum geht, Personal, Medikamente und medizinische Geräte bereitzustellen. Das Fehlen einer effektiven Zentralregierung ist auch im Krankenversicherungssystem und bei anderen Aspekten der Gesundheitsversorgung spürbar.

Drittens ist auch der Rückgang der Fördermittel für öffentliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen zu nennen, der eine Folge der globalen Wirtschaftskrise, der politischen Spaltung der Palästinenser*innen sowie der Hamas-Dominanz im Gazastreifen ist. Zuletzt spielen auch sozioökonomische Faktoren eine Rolle. 52 Prozent der Einwohner*innen des Gazastreifens leben Schätzungen zufolge in Armut, ein Umstand, der gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Mangelernährung und Anämie befördert. Auch die hohe Arbeitslosigkeit führt laut Dr. Yaghi zu einem verstärkten Patienten*innenaufkommen. Operationen und andere Behandlungen müssen regelmäßig verschoben werden. Grundbedürfnisse wie Hygiene, Nahrung und die gesundheitliche Versorgung mit Tests und Medikamenten können nur bedingt gewährleistet werden.

Verzögerte Ankunft des Virus

Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie berichtet Dr. Yaghi, dass die israelische Blockade ironischerweise die Ankunft des Coronavirus im Gazastreifen hinausgezögert habe. Auf diese Weise habe das medizinische Personal Gelegenheit gehabt, sich vorzubereiten und auf Erfahrungen anderer Länder zurückzugreifen. Im Kampf gegen COVID-19 fielen zusätzliche Ausgaben an, etwa für die Aufstockung des Personals, Schutzausrüstungen und besondere Leistungen wie PCR-Tests. Diese Belastungsprobe bestand das Gesundheitswesen im Gazastreifen trotz seines desolaten finanziellen Zustands. Dies war möglich, weil die Erfahrungen anderer Länder beherzigt wurden und alle Gesundheitsversorger zusammenarbeiteten, sich koordinierten und wechselseitig unterstützten. Dazu kamen zwischen März und August 2020 Regierungsmaßnahmen wie Lockdowns, Quarantäneregelungen und lokale Aufklärungskampagnen. All diese Vorsichtsmaßnahmen trugen zu einer erfolgreichen Eindämmung der Pandemie bei, so dass sich weitaus schlimmere Befürchtungen nicht bewahrheiteten. Bezüglich der Impfung gegen COVID-19 betont Dr. Yaghi die Verantwortung der israelischen Besatzungsmacht für die Gesundheit der palästinensischen Bevölkerung. Dies beinhalte auch die Bereitstellung von Impfstoffen. Während die israelische Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Test-Kits aushalf, spielte sie im Kontext der Impfkampagnen keine rühmliche Rolle. Eine palästinensisch-israelische Zusammenarbeit ist vorhanden, jedoch begann Israel schon Ende Dezember 2020 mit dem Impfen eines Großteils seiner Bevölkerung. Die Impfung der Palästinenser*innen wurde vernachlässigt. Ebenso wurde palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen erst nach einer intensiven Kampagnenarbeit die Möglichkeit gegeben, sich impfen zu lassen. Von der PA fordert Dr. Yaghi, die Regierung in Israel an die Verantwortung zu erinnern, Impfstoffe für die Palästinenser*innen bereitzustellen.

Ziel: Aufhebung der Blockade

Dr. Yaghi empfiehlt drei Maßnahmen, um in Palästina zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu kommen. Erstens die Beendigung der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete und eine Aufhebung der Blockade. Zweitens eine Überwindung der innerpalästinensischen politischen Spaltung, eine Überarbeitung der 2004 verabschiedeten Gesundheitsgesetzgebung, sowie eine bessere Organisation des Gesundheitswesens. Drittens eine Erhöhung des Gesundheitshaushalts im Gazastreifen. Er unterstreicht, dass eine Verbesserung der Gesundheitssituation im Gazastreifen aussichtslos bleibe, solange die Besatzung andauert. Um in Gesundheit leben zu können, brauchen die Palästinenser*innen eine politische Lösung, die sie von der Besatzung befreit.