Die Folgen der Ereignisse rund um «1968» für Erziehung und Bildung waren wohl mit die gravierendsten, trotzdem gibt es überraschender- und vergleichsweise wenig Forschung dazu. Ein neuer Sammelband bietet sowohl bekanntes, als auch neues zum vielbeschriebenen Thema «1968».
Der Band ist aus einer Ringvorlesung an der Universität Hildesheim entstanden - gemäß den Forschungsinteressen der Veranstalterinnen rund um Professorin Meike Sophia Baaderstehen Fragen von Erziehung und Bildung, von Generationen- und Geschlechterverhältnissen sowie von Sexualität im Mittelpunkt der insgesamt 12 Beiträge.
Silja Behre und Alex Demirovic stecken in ihren Beiträgen den größeren Rahmen des Themas ab, indem sie die Deutungen und Deutungskämpfe um «1968» nochmals Revue passieren lassen. Demirovic ruft den gravierenden theoretischen und praktisch-politischen Bruch in Erinnerung, der «1968» eben auch war. Ein Umstand der bei all der Schreiberei über «1968» oft verloren geht. Behre analysiert die Deutungskämpfe bis hin zur «neuen Rechten» des Historikerstreites der 1980er und des aktuellen der AfD und des Instituts für Staatspolitik. Detlef Siegfried schreibt zu einem seiner Hauptthemen: Pop, Protest und 1968, während Kristina Schulz die Neue Frauenbewegung in Deutschland in einen westeuropäischen Zusammenhang stellt. Patrick Eitler nimmt sich wieder einmal der vieldiskutierten «sexuellen Revolution» an.
Detaillierter wird es dann in den vier Beiträgen des letzten Kapitels. Diese widmen sich nach einer guten und längeren Einleitung von Baader (Antiautoritäre Kinderläden, Lebensformen und Geschlechterverhältnisse — Zur Neudimensionierung von Kindheit, Erziehung, Geschlecht und Öffentlichkeit) ganz konkreten Versuchen in den 1970er Jahren, Erziehung zu demokratisieren und zu verändern. Sie enthalten auch neue Erkenntnisse. Vorgestellt wird die «Freie Schule» in Frankfurt/Main und das ebenfalls in Frankfurt situierte und bereits 1970 begonnene Projekt «Kita 3000». Dieses sollte Elemente antiautoritärer Erziehung in städtischen Kindergärten und Kindertagesstätten erproben. Anne Rohstock schildert schließlich in ihrem sehr lesenswerten Aufsatz, wie die technokratische Planungseuphorie der staatlichen Verwaltungen zusammen mit den linken Protestbewegungen zu einer teilweisen Modernisierung und Demokratisierung der Universitäten führte, ein Prozess, der gegen die Ordinarien durchgefochten werden musste.
Zusammengefasst ein (weiterer) Band zu den Nachwirkungen von "1968" - mit Beiträgen von Autor*innen, die zu ihrem jeweiligen Thema ausgewiesen sind.
Meike Sophia Baader, Tatjana Freytag, Christin Sager (Hrsg.): 1968. Kontinuitäten und Diskontinuitäten einer kulturellen Revolte; Campus Verlag, Frankfurt/New York 2021, 292 Seiten, 36 EUR