Interview | Migration / Flucht - Corona-Krise «Die sanitären Einrichtungen waren schmutzig»

Ibrahim Korkmaz* über fehlende Integrationsmaßnahmen und mangelhafte Hygiene in Unterkünften für Geflüchtete

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Nikolai Huke,

Ein Mann hält ein Plakat, um auf die beengte Wohnsituation in der Unterkunft aufmerksam zu machen. "7 Familien, eine Toilette, eine Dusche, eine Küche" steht auf sienem Schild.
Die Reaktion auf Corona war weder schnell genug noch gut. Wir wurden getestet. Ich war negativ. Wir waren aber zu dritt in einem Zimmer. Einer wurde positiv getestet und ist in ein anderes Zimmer umgezogen. Zu mir sagten sie, ich sei negativ. Zu meinem Freund, der mit mir im gleichen Zimmer war, sagten sie das Gleiche. Fünf Tage später sagten sie ihm dann: «Entschuldigung. Du hast doch Corona.» Mein Gott. Wir waren fünf Tage gemeinsam im gleichen Zimmer. Das ist nicht gut. Das ist eine sehr wichtige Sache, warum werden da Fehler gemacht? Nikola Huke

Ibrahim Korkmaz* lebte während der Corona-Pandemie in mehreren Flüchtlingsunterkünften in Hessen. Er bemängelt fehlende Integrationsmaßnahmen und mangelhafte Hygiene (Gespräch vom 07.01.2021)

Nikolai Huke: Wo haben Sie als Asylsuchender gelebt?

Ibrahim Korkmaz: Ich war 14 Monate in einer Unterkunft in Kassel. Gleich am ersten Tag meinte die Leitung der Unterkunft: «Das ist hier kein Hotel.» Ok, das weiß ich. Aber manchmal denke ich: «Leider sind wir keine Tiere.» Denn Tiere haben mehr Rechte. Das ist nicht gut.
Für Integration machen sie nichts. Während der ganzen Zeit hatte ich nur drei Monate lang einen Deutschkurs, das war vor Corona. Dabei hätte man auch in der Corona-Pandemie etwas anbieten können über das Internet, zum Beispiel über Zoom. Es findet keine Integration statt, wenn man in der Unterkunft lebt. Dabei wäre es sehr gut, wenn es Integrationskurse oder so gäbe, weil die Leute in Deutschland bleiben werden. Integrationsmaßnahmen wären sehr wichtig. Die Sozialarbeiter sind leider sehr passiv: Sie warten, dass die Leute zu ihnen kommen und sitzen auf ihrem Stuhl, statt proaktiv tätig zu werden. Das Asylverfahren ist mit viel Bürokratie verbunden. Du reichst Dokumente ein, dann musst du eine E-Mail schreiben, dann wieder Dokumente nachreichen und warten. Die Bürokratie ist sehr hart und sehr langsam. Das lange Warten im Asylverfahren macht einen traurig, wütend und ärgert mich. Am Ende habe ich keine Aufenthaltserlaubnis bekommen, obwohl ich in der Türkei als Anhänger der Gülen-Bewegung verfolgt wurde.

Dieses Interview ist Teil einer Interview-Reihe von Nikolai Huke.
Im Jahr 2020 führte er im Rahmen des Forschungsprojekts «Gefährdetes Leben. Alltag und Protest in Flüchtlingsunterkünften im Zuge der Corona-Pandemie» an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) 16 qualitative Interviews mit Geflüchteten in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften in Deutschland, um Einblick in ihre Situation während der Corona-Pandemie zu bekommen. Hier finden Sie alle Gespräche: www.rosalux.de/corona/corona-gefluechtete

Seit mein Asylantrag abgelehnt wurde, ist die Situation für mich sehr schwer: Ich möchte einen Deutschkurs besuchen und ich möchte arbeiten, aber leider habe ich keinen Zugang zu einem Deutschkurs. Ich habe dadurch viel Zeit verloren. Ich war Manager in der Türkei, CEO. Ich möchte keine Zeit verlieren. Zeit ist Geld. Ich hatte viel Geld in der Türkei. Ich habe Wohnungen besessen, aber jetzt habe ich nichts mehr. Es ist sehr schwer für mich, jetzt hier in Deutschland Leistungen vom Staat zu beziehen. Ich möchte arbeiten. Ich möchte Steuern zahlen und nicht von Steuern anderer leben. Das ist schwer für mich. Ich möchte nützlich sein. Ich möchte etwas geben, nicht nehmen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Mitarbeitenden der Unterkunft in Kassel gemacht?

Das Management und die Sozialarbeiter in Kassel waren sehr freundlich. Sie haben auf die Kinder aufgepasst und uns respektvoll behandelt. Man konnte sie immer gut erreichen. Zum Beispiel hatte man jeden Tag die Möglichkeit mit der Leitung zu sprechen.

Wie war die medizinische Versorgung?

Eines Tages bekam ich Probleme mit meinem Fuß. Es dauerte drei oder vier Monate, bis ich einen Termin bei einem Facharzt bekam. Als ich in der Unterkunft war, gab es immer Probleme, wenn ich ärztlich behandelt werden wollte. Ich konnte nicht laufen. Es tat weh. Ich hatte Schmerzen. Ich habe gesagt: «Wir sind Menschen, aber du behandelst uns, als wären wir wertlos. Wir sind nicht wichtig für dich. Das ist nicht gut! Ich bin ein Mensch.»

Wie hat sich Ihr Leben durch Corona verändert?

Die Reaktion auf Corona war weder schnell genug noch gut. Wir wurden getestet. Ich war negativ. Wir waren aber zu dritt in einem Zimmer. Einer wurde positiv getestet und ist in ein anderes Zimmer umgezogen. Zu mir sagten sie, ich sei negativ. Zu meinem Freund, der mit mir im gleichen Zimmer war, sagten sie das Gleiche. Fünf Tage später sagten sie ihm dann: «Entschuldigung. Du hast doch Corona.» Mein Gott. Wir waren fünf Tage gemeinsam im gleichen Zimmer. Das ist nicht gut. Das ist eine sehr wichtige Sache, warum werden da Fehler gemacht?
Ich bin dann in die Unterkunft in Wolfhagen verlegt worden, da war ich ebenfalls mit zwei anderen in einem Zimmer. Die Duschen in Wolfhagen waren ein Problem: Es gab nur einen Raum ohne Abtrennung zwischen den einzelnen Duschen. Mein Gott, so kann ich nicht duschen. Ich bin dann immer morgens sehr früh aufgestanden, um duschen zu können. Warum muss das sein? Da sollte man doch noch schlafen können. Sie haben uns wieder getestet und nach zwei oder drei Tagen sagten sie, dass wir mit Corona infiziert sind. Wir sind dann wieder nach Kassel verlegt worden. Es ist sehr anstrengend, zwischen den Unterkünften umzuziehen, weil ich viele Sachen habe und viele Taschen. Wir waren erst in Wolfhagen und dann noch einmal in Kassel in Quarantäne. Nach einer Woche oder zehn Tagen wurden wir dann nach Neustadt verlegt.

Welche Erfahrungen haben Sie in Neustadt gemacht?

Mein Gott. Es war richtig schlecht. Die Securities waren sehr schlecht und die Mitarbeiterinnen. Es gab keine Möglichkeit, mit der Leitung zu sprechen. Auch die Sozialarbeiter waren schlecht erreichbar. Sie ließen einen nicht ins Gebäude. Man musste immer draußen in einer Schlange stehen und warten, um mit ihnen sprechen zu können. Man kam dann immer erst nach eine Stunde. Draußen war es kalt und ich bin 55 Jahre alt. Wenn du in der Kälte wartest, ist das nicht gut für deine Gesundheit. Die Kommunikation war sehr schlecht. Im Zimmer gab es für jeden nur einen sehr kleinen Schrank, vielleicht zwanzig, dreißig Zentimeter breit. Ich hatte vorher schon 14 Monate in Unterkünften gelebt. Ich hatte Kleidung für Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Wie soll ich die in so einem kleinen Schrank unterbringen?

Wie waren die hygienischen Bedingungen?

In der Corona-Pandemie sind Gesundheit und Hygiene sehr wichtig. In Neustadt war aber das Essen schlecht und die Hygiene auch. Es gab keine Handseife, überall waren Aushänge mit «Hände dreißig Sekunden einseifen» , aber es gab keine Seife. Das konnte ich nicht verstehen.
Warum sorgt man nicht für gute Hygienemaßnahmen in der Unterkunft?

Die sanitären Einrichtungen waren oft sehr schmutzig. Einige Menschen haben nicht gespült, nachdem sie auf Toilette waren. Ich war oft auf Toilette und habe gesehen, dass die Toilette voller Klopapier war und dann habe ich geputzt. Deine Hände sind dann sehr schmutzig und du kannst sie nur mit Wasser ohne Seife waschen. So bekommt man bestimmt Corona. Ich habe immer geputzt und gedacht: «Gott, willst du von mir, dass ich hier putze?» Ich habe das einfach gemacht. Bis zum Abend war dann aber alles schon wieder sehr schmutzig. Wenn nicht auf Hygiene geachtet wird, können Leute in der Unterkunft für andere sehr gefährlich sein und Corona auf sie übertragen.

Möchten Sie noch etwas ergänzen?

Ich finde es wichtig, auf unsere deutschen Nachbarn zuzugehen. Wir können ihnen zum Beispiel einen Kuchen vorbeibringen an Neujahr oder Weihnachten. Sie zum Abendessen einladen. Ich sage immer: «Wenn wir davon ausgehen, es gibt eintausend Themen, dann haben wir von diesen mindestens siebenhundert gemeinsam. Bei den anderen dreihundert sind wir vielleicht anders. Lassen wir die doch einfach beiseite. Die sind nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir siebenhundert teilen. Das ist genug, um uns zu verstehen, genug, um zusammen zu leben.»