Nachricht | Gesellschaftliche Alternativen - Gesellschaftstheorie Wissenschaftspreis Rosa Luxemburg Stiftung Sachsen 2021

Der Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2021 "Linke Perspektiven in der Gegenwart" geht in diesem Jahr an Martin Mettin für seine Dissertation "Kritische Theorie des Hörens. Untersuchungen zur Philosophie Ulrich Sonnemanns".

Der Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2021 "Linke Perspektiven in der Gegenwart" geht in diesem Jahr an Martin Mettin für seine Dissertation "Kritische Theorie des Hörens. Untersuchungen zur Philosophie Ulrich Sonnemanns".

Martin Mettins Dissertation und Publikation Kritische Theorie des Hörens stellt ein Denken ins Zentrum des Interesses, um das es in den vergangenen Jahrzehnten leise geworden ist: Ulrich Sonnemanns prominent von Theodor W. Adorno hervorgehobene Negative Anthropologie sowie Schriften zu einer Transzendentalen Akustik, die so nicht geschrieben werden konnte. Beachtung verdient die Arbeit zunächst für ihr Mit- und Weiterdenken der kritischen Theorie Sonnemanns, die deren gegenwärtige Brisanz unter anderem in Fragen der Erkenntnis- und Sprachphilosophie klar hervorzuheben weiß. Zugleich gehört das vorliegende Buch zu jenen Schriften, in denen es nicht ausreicht, Anfang und Ende zu lesen und einen kurzen Blick auf die Schlüssigkeit der Datenerhebung zu werfen. Selten noch liest man Bücher aus dem Wissenschaftskontext, in denen einerseits jede Formulierung von Bedeutung für den Gedanken- und Forschungsgang ist und andererseits auch Freude macht, ihr lesend zu folgen, sie anderen Leserinnen und Lesern nahe zu bringen. Indem sich Mettin einem Autor zuwendet, der Aktivismus-, Verfolgungs-, Emigrationserfahrungen und die psychologisch geschulte Sprachaufmerksamkeit mit vielen bekannten Namen der Frankfurter Schule teilt, begibt er sich (trotz Marginalisierung des Sonnemanschen Denkens) in ein ideen- und begriffsgeschichtlich vielbearbeitetes und umkämpftes Auseinandersetzungsfeld, das zudem sprachlich höchste Präzision einfordert. Das Herausstechende an Mettins Verfahren und seinem Ergebnis ist, dass es ihm gelingt sensibel (sinnlich sowie mit Rücksicht auf unterschiedlichste gesellschaftliche Situiertheiten) und theoretisch exakt zugleich zu sein. Dies hängt nicht zuletzt mit seinem Versuch zusammen, mit den Ohren zu denken ohne dabei andere Sinne zu entwerten.

Der Preis ist mit einer Prämie von 1500 Euro dotiert.

Aus der Vielzahl herausragender Einreichungen fanden zwei weitere Arbeiten vor der Jury besondere Beachtung: Francis Seecks Dissertation und Publikation Care trans_formieren sowie die Dissertation Ma(r)king the Difference. Multiculturalism and the Politics of Translation von Tania Verónica Mancheno Moncada.

Seecks ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit beleuchtet das vielschichtige Verhältnis von Gender und Care und zeigt auf, wie Klassenverhältnisse sich auf die Möglichkeiten, umsorgt zu werden, auswirken. Die Arbeit bietet damit wichtige Einsichten in aktuelle Fragen zu Klassismus und sozialer Ungleichheit. Die Studie besticht durch ihr methodisch anspruchsvolles Konzept der sorgenden Ethnographie, das an Grenzen akademischer Wissensproduktion greift und Brücken zwischen Aktivismus und Wissenschaft schlägt. Hier korrespondieren Inhalt und Form, was sich, so eine weitere Besonderheit der Arbeit, auch in einer absolut zugänglichen Sprache niederschlägt.

Manchenos Ansatz zu einer Begriffsgeschichte des Multikulturalismus aus einer transnationalen und transhistorischen Perspektive problematisiert die Umformulierung kolonialgeprägter historischer Denkmuster in die Gegenwart im Rahmen einer 'Politik der Übersetzung'. Dieser Ansatz ermöglicht ihr die kritische Befragung des politischen Projekts des Multikulturalismus jenseits nur eines kulturellen Paradigmas und bietet gleichermaßen eine historische Analyse dekolonialer Theoriebildung als auch eine für gegenwärtige Konstellationen relevante Kritik der diskursiven Gewalt des Rassismus im Umgang mit Differenz.

Beide Arbeiten erhalten eine lobende Erwähnung und werden mit einem Preisgeld in Höhe von 350 Euro prämiert.

Die Preisverleihung findet am 26. März 2022 im Neuen Schauspiel Leipzig (mit Livestream) statt.


Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. verleiht regelmäßig einen Wissenschaftspreis. Er gründet sich auf ein Vermächtnis des deutsch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers und Publizisten Günter Reimann (1904−2005) aus New York. Mit diesem Preis werden seit mehr als 20 Jahren vornehmlich junge Wissenschaftler_innen gefördert, die in ihrer jeweiligen Forschungsarbeit „originelle Überlegungen zu gravierenden gesellschaftlichen Problemen entwickeln“.

Infos zum Preisstifter: https://sachsen.rosalux.de/die-stiftung/wissenschaftspreis/der-preisstifter

Infos zu den Preisträger*innen der letzten Jahre: https://sachsen.rosalux.de/die-stiftung/wissenschaftspreis/die-preistraeger-innen