Am 14.2. hat der Weltklimarat (International Panel on Climate Change, IPCC) die Abschlussverhandlungen zum zweiten Teil seines Sechsten Sachstandsberichtes begonnen. Am 28. Februar soll die endgültige Version des Berichtes veröffentlicht werden. In diesen Berichten fassen Tausende von Wissenschaftler*innen den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen. Während der erste Teil des Berichts sich jeweils mit den Ursachen der globalen Erwärmung befasst, geht es im zweiten Teil um die Folgen des Klimawandels, die erwartet werden müssen. Oder die bereits spürbar sind, wie Reportagen aus unseren Büros in Afrika zeigen: Im Senegal müssen Dörfer vor dem ansteigenden Meer weichen und Reisbäuer*innen verlieren ihre Ernährungsgrundlage. Und im Süden Afrikas führt die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten zu Wassermangel und Hungersnöten - Phänomene, die mit mit den steigenden Temperaturen häufiger und schwerwiegender werden.
Wegen extremer Dürre, die die Agrarindustrie in eine bittere Notlage versetzte, rief die Regierung Namibias 2013, 2016 und 2019 den nationalen Notstand aus. Ende 2019 waren infolge der schlimmsten Dürreperiode seit 90 Jahren fast 100.000 Nutztiere gestorben, die landwirtschaftlichen Erträge waren so gering wie nie, und die hungrige Bevölkerung Namibias kämpfte ums Überleben.
Teneal Koorts ist Nachwuchsjournalistin bei Namibias einzigem Landwirtschaftsmagazin, Agriforum. Zu ihren Themen gehören Klimaschutz und Anpassungslösungen sowie Frauen in der Landwirtschaft.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Climate Justice Central, einer von der RLS geförderten Plattform, die die Stimmen junger afrikanischer Journalist*innen und Aktivist*innen zu Fragen der Klimagerechtigkeit verstärken soll.
Während der Großteil des Landes in den vergangenen zwei Jahren das willkommene Plätschern des Regens feiern durfte, spürt die Kunene-Region weitestgehend noch immer die volle Wucht einer Dürreperiode, die schon neun Jahre anhält.
Landschaft voller Kadaver: ein unablässiger Kampf gegen die Dürre
Flache, leere Ebene, brüchige Äste, verstreute Knochen und sengende Hitze. Diese Worte zeichnen ein deutliches Bild der nördlichen Kunene-Region in Namibia. Teile des Landes sind schon seit fast einem Jahrzehnt dürregeplagt. Weil sich das Ökosystem Jahr für Jahr verschlimmert, schrumpfen die Weideflächen und die Bäuer*innen verlieren jede Hoffnung. Statt neuer Kälber finden sie nun Kadaver vor.
Von den sieben Kreisen der Region sind nur zwei weniger stark betroffen. Die Situation ist katastrophal. In der Region leben indigene Völker wie die OvaHimba, Damara und Herero, deren Lebensmittel- und Einkommensquelle hauptsächlich die Landwirtschaft ist. Auch Geflüchtete aus Angola leben in der Gegend, nachdem sie ihr dürregeplagtes Land auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben – eine tragische Ironie, denn im trockenen Norden Namibias geht es ihnen vielleicht sogar noch schlechter.
Unendlich weit entfernt
Obwohl ich in der Region aufgewachsen bin, fühlt es sich an, als wäre ich unendlich weit von meinem Heimatort entfernt. Es ist erst meine zweite Reise nach Opuwo im Norden des Landes, in die Hauptstadt von Kunene. Als ich die weniger stark betroffenen Kreise Outjo und Kamanjab hinter mir lasse, trifft mich die veränderte Landschaft wie ein Schlag. Statt Buschland, veld, nur Staub und tote Bäume.
In den Randgebieten des überfüllten Dorfes sehe ich, wie Bäuer*innen nach saftiger, grüner Nahrung für ihr Vieh suchen. Sie reisen häufig mit ihren Tieren in die Hauptstadt, entweder wegen des Weidelandes, das die Stadt umgibt, oder um die dringend benötigte Hilfe des örtlichen Bäuer*innenverbandes und des Regionalrats in Anspruch zu nehmen.
Als ich mein Ziel erreiche, besuche ich erstmals Daniel Ganaseb, einen höheren Verwaltungsangestellten des Regionalrats von Kunene. Er bietet mir an, mich in den kommenden zwei Tagen auf meiner Reise zu begleiten und zu führen.
Daniel berichtet mir mit einem leichten Zittern in der Stimme Folgendes:
Die Region leidet ununterbrochen unter Dürre – seit neun Jahren und in manchen Gebieten sogar noch länger. In dieser Zeit haben wir circa 85.000 Menschen aus Agrargemeinschaften unterstützt, darunter auch Frauen und Kinder. Obwohl es in den zentralen Regionen in diesem Jahr geregnet hat, kämpfen die meisten Menschen immer noch gegen die Dürre und ums Überleben. Wir geben noch immer Heuballen an Bäuer*innen aus, die ihr Vieh füttern müssen, weil es kein Weideland mehr gibt. Und unsere Hilfe reicht für die meisten nicht aus. Außerdem sind die Menschen hungrig, denn ohne Regen können sie keine Nutzpflanzen anbauen.
Ich spüre deutlich, wie sehr es ihn berührt, darüber zu sprechen. Daniel hat in den letzten vier Monaten, in denen er ausschließlich mit von der Dürre Geschädigten gearbeitet hat, viel Leid miterlebt.
Schlimmer und schlimmer: die Familie Tjiroja
Wir fahren auf einer Schotterstraße einige Kilometer aus der Stadt hinaus und kommen an ein paar kleinen Farmen vorbei. Sie alle stehen leer oder es lugen nur wenige neugierige Augenpaare heraus, in Richtung Landschaft und Passant*innen. Daniel erklärt mir, dass auf vielen dieser Farmen Migrant*innen oder Geflüchtete aus Angola leben, die aus den dürregeplagten Grenzgebieten Angolas hierher geflohen sind, um dem Hunger zu entkommen. «Mindestens tausend Geflüchtete aus Angola leben hier», meint er. Darunter auch die Familie Tjiroja, die sich vor 20 Jahren hier niedergelassen hat.
Als ich über den staubigen Boden des Grundstücks laufe, fallen mir Lehmhütten, ein leerer Wassertrog und die Tjirojas ins Auge, die zusammengedrängt unter einem Baum sitzen. Daniel stellt mir Klemedina vor, eine junge Frau mit schüchternem Lächeln und traurigem Blick. Sie sagt, dass sie seit 13 Jahren hier ist. Die meiste Zeit war von Dürre gezeichnet. «Wenn Sie sehen wollen, was wir wegen der Dürre verloren haben, dann müssen Sie sich den Garten ansehen», so Klemedina, während wir über den rissigen, trockenen Boden laufen, auf dem Stücke abgebrochener Äste verstreut liegen. Dann sagt sie:
Unsere Familie hat mehr als 20 Kühe verloren, die meisten davon 2018 – das war das schlimmste Jahr von allen. Schauen Sie sich um: Hier gibt es nichts, keine Weidefläche und kein Wasser. Deshalb müssen wir jeden Tag mit den übrigen Tieren in die Berge ziehen, damit sie grasen und trinken können. Wir haben hier keine Wasserlöcher, wir, unser Vieh und unsere Ernte sind völlig vom Regen abhängig. Ich weiß nichts über den Klimawandel, aber ich weiß, dass es nichts zu essen gibt, wenn es nicht regnet.
Ihre Worte hallen in meinem Kopf nach, als wir den «Garten» erreichen, oder vielmehr das, was einmal der Garten war. Auf dem durch Stöcke und Zweige vom Rest des Grundstücks abgeteilten Stückchen Land gibt es nichts als ein paar Bäume und trockene Erde. «Als ich zum ersten Mal herkam, pflanzte unsere Familie hier alles Mögliche an, und wir konnten uns selbst versorgen. Jetzt sind wir von Nahrungsmittelpaketen abhängig, die uns die Regierung nur alle paar Monate schickt.»
Später finde ich bei meiner weiteren Recherche heraus, dass das namibische Sozialsystem schon unter immensem Druck steht, weil immer mehr Geflüchtete aus Angola auf der verzweifelten Suche nach Hilfe ins Nachbarland Namibia emigrieren. Seit Beginn des Jahres 2021 sind mehr als 4000 Menschen angekommen.
Verlorene Diamanten: die Familie Suse
Ein paar Kilometer weiter kann ich in der Ferne dunkle Wolkenberge sehen, die hoffentlich Regen in die ausgedörrten Gebiete rund um Opuwo bringen. Meine Ankunft lockt Kinder und Frauen aus ihren Hütten, die alle neugierig sind auf diese Frau mit ihrer Kamera, mit Buch und Stift in der Hand. Daniel stellt mir Kangiri und Kakutetzua vor, die zwei Matriarchinnen dieser Himba-Familie. Sie leben seit 1994 auf diesem Stück Land.
«Wir hatten mehr als 200 Rinder, aber die Dürre hat sie uns alle genommen. Jetzt haben wir nur mehr ein paar Schafe und Ziegen», sagt Kangiri, während im Hintergrund der Donner grollt.
Als ich mir ihre Worte aufschreibe, fällt ein Tropfen auf meinen Notizblock und dann noch einer. Wir alle blicken ungläubig nach oben und schon fällt ein beglückendes Nass auf unsere Gesichter. Die Familie jubelt, manche Kinder strecken die Hände aus, um die Tropfen auf der Haut zu spüren, ein nackter Junge rennt lachend durch den Regen. Die kleineren Kinder sehen von der Hütte aus zu. Ich frage mich, ob sie zum ersten Mal in ihrem Leben Regen sehen.
Tropfnass finden wir alle am Boden eines halbfertigen Hauses zusammen. Wenigstens kann die Familie hier Unterschlupf finden, wenn es regnet. Kangiri starrt mit leerem Blick hinaus und meint, es sei das erste Mal, dass es in diesem Jahr regne. «Letztes Jahr war für uns eines der schlimmsten. Viele Menschen hier hatten tagelang nichts zu essen. Es gab keinen Regen, um Pflanzen anzubauen und das Vieh starb, also hatten wir wenig zu essen. Dieses Jahr war auch hart, ich hoffe, das ist nicht der letzte Regen», erklärt sie angespannt.
Zu meiner Rechten erregt eine ältere Frau, die ihr Baby füttert, meine Aufmerksamkeit. Sie sieht mich fast verzweifelt an, reibt sich den Bauch und murmelt etwas in einer Sprache, die ich nicht kenne. Ich kann mir vorstellen, was sie meint, aber blicke trotzdem zu meinem Reisebegleiter, der für mich übersetzt: «Sie sagt, sie ist hungrig, sie hat seit drei Tagen nichts mehr gegessen.»
Auf dem Rückweg erklärt mir Daniel, dass viele der Bäuer*innen in dieser Region zum Stamm der Himba gehören und dass sie die volle Wucht der Dürre besonders stark abbekommen haben. «Man muss wissen, dass die Himba ihre Rinder als Diamanten verstehen und jetzt haben sie all ihre Diamanten verloren. Die meisten Himba-Bäuer*innen haben alles verloren und mussten ihr kulturelles Erbe und ihre traditionelle Lebensweise aufgeben, um einen Job zu finden, mit dem sie ihre Familien ernähren können».
Auf der Rückfahrt nach Opuwo sitze ich still da und denke über das Leid nach, das ich heute gesehen habe.
Trockene Brunnen: Sesfontein
Die Sonne ist gerade aufgegangen und scheint auf die Straße vor uns, als Daniel mich 150 Kilometer weiter in den Norden nach Sesfontein bringt. Er sagt, dieser Teil der Kunene-Region ist am stärksten von der Dürre betroffen. Dann begrüßt mich Petrus Ganuseb, der Vize-Chef der traditionellen Verwaltung von NamiDaman der Damara-Volksgruppe, mit einem kräftigen Händedruck.
Als ich ihn frage, ob dieses Gebiet schon lange unter Dürre leidet, antwortet er mir mit einem leisen Lachen: «Nicht nur lang, sondern eher unerträglich und quälend. Unser Volk hat praktisch seinen gesamten Viehbestand verloren, sogar die Esel – und wenn die Esel sterben, weiß man, dass man schlimm dran ist». Was er sagt, mag seltsam klingen, ist aber wahr. Esel sind extrem anpassungsfähige Tiere, die in fast jedem Klima überleben können. Wenn selbst die Esel der Trockenheit zum Opfer fallen, wird das Ausmaß der Verwüstung, die diese Dürre angerichtet hat und noch immer anrichtet, sehr eindrücklich.
Petrus erklärt, dass manche der Bäuer*innen seines Volkes Geld gesammelt haben, um Rohre von den Brunnen zu ihren Häusern zu verlegen – die einzige Wasserquelle, die es momentan gibt.
Er meint damit die sechs Brunnen, die in der Nähe des Siedlungsgebiets liegen. Von ihnen leitet sich auch der Name Sesfontein, also «sechs Brunnen», ab.
Daniel und ich verabschieden uns von Petrus und machen uns auf die Suche nach den Brunnen. Eine der Quellen finden wir innerhalb der Siedlung. Obwohl sie umzäunt ist, hindert uns nichts am Eindringen. Ziegen laufen frei herum und im Wasser liegt Plastikmüll.
Daniel schüttelt enttäuscht den Kopf:
Diese Brunnen sind die einzige Wasserquelle, die diesen Menschen noch bleibt. Aber wie Sie sehen können, gibt es keine Regulierung. Die Menschen können so viel Wasser nutzen, wie sie wollen. Andere Quellen sind abgesperrt, aber zu voll mit Rohren, die die Menschen mit Wasser versorgen sollen. Manche sind komplett ausgetrocknet, weil es nicht regnet und sie überbeansprucht werden. Gleichzeitig ist noch nicht einmal die Hälfte der Gemeinde an die Quelle angeschlossen. Was wird mit diesen Menschen passieren, wenn die Brunnen austrocknen?
Der Friedhof
Daniel warnt mich vor dem beunruhigenden Anblick, der uns auf dem letzten Halt unserer Route, dem Anabeb-Naturschutzreservat, erwartet – oder dem «Friedhof», wie ich es nach meinem Besuch taufte.
Als wir das geschützte Areal betreten, ist die Temperatur durch die glühend heiße Sonne bis auf 42 Grad angestiegen. Der Boden ist staubig und morsche Bäume stehen wie Grabsteine neben Rinderkadavern. Es verschlägt mir die Stimme und eine tiefe Trauer überkommt mich, als ich an einem Kadaver nach dem anderen vorbeigehe. Manche liegen nur wenige Meter voneinander entfernt.
Als wir Anabeb verlassen, fasst Daniel die Situation mit zitternder Stimme so zusammen:
Wir müssen die Lage in dieser Region sehr ernst nehmen. Wir müssen die Dürre ernst nehmen. Ich weiß wirklich nicht, was mit all diesen landwirtschaftlich geprägten Gemeinden passiert, wenn es in dieser Saison nicht regnet … Wenn man diese Menschen fragt, was sie über die Regierung wissen, dann sagen sie: «Wir wissen nicht, was die Regierung ist». Vielleicht regiert hier der Regen. Wenn es regnet, gibt es Nahrung. Wenn es nicht regnet, dann leiden wir.
Übersetzung von Barbara Jilek & André Hansen