Nachricht | Sorgende Stadt «Frauen fühlen sich wie Objekte»

Personalmangel im Kreißsaal und beschleunigte Geburten

Information

Autorin

Katharina Desery,

Hinweis: In diesem Interview geht es unter anderem um Geburten mit vielen Interventionen, unangekündigte Untersuchungen und ums Alleinsein während der Geburt.

Anlässlich der immer schlechter werdenden Bedingungen für werdende Eltern in der Geburtshilfe hat sich 2015 der Verein Mother Hood gegründet. Konkreter Auslöser der ersten Proteste war die Situation von freiberuflichen Hebammen. Die Elterninitiative arbeitet mittlerweile zu allen Bereichen der geburtshilflichen Versorgung und setzt sich für das Recht auf eine sichere Geburt unabhängig vom Geburtsort ein. Wir haben mit Vorstandsmitglied Katharina Desery darüber gesprochen, wie sich Zeitdruck und Personalmangel im Kreißsaal auf die Gebärenden auswirken und welche Veränderungen für eine gute Geburt notwendig wäre.

Du hast mit dem Verein Mother Hood unter anderem das «Hilfetelefon schwierige Geburt» gegründet. Wie kam es dazu?

Ich engagiere mich schon seit Jahren im Bereich Geburtshilfe. Oft habe ich in diesem Zusammenhang Geschichten von Frauen zu ihren Geburtserfahrungen gehört. Meistens waren das eben nicht die schönen Erfahrungen, die ja gern erzählt werden und für die es viele Zuhörer*innen gibt. Bei mir sind die Erzählungen von schwierigen Geburten gelandet: Gebärende wurden alleingelassen, sie wurden nicht so begleitet, wie sie es sich gewünscht hätten, mit Interventionen und Untersuchungen völlig überrumpelt, für Erklärungen gab es keine Zeit. Ich habe recherchiert und festgestellt, dass es dafür keinen Platz gibt. So kam es zu der Hotline.

Wie würde für dich eine gute Geburt aussehen?

Das ist eigentlich ganz einfach: Die Schwangere wird dabei unterstützt, ihr Kind auf ihre Art und Weise, in ihrer Geschwindigkeit zu bekommen. Das funktioniert aber oft nicht, weil die Standards so starr sind und weil die Abläufe in der Klinik so vielen Zwängen unterliegen.

Katharina Desery ist Gründungsmitglied bei Mother Hood e. V., einer Elterninitiative, die sich seit 2015 für sichere Geburten und eine bessere Versorgung in der Geburtshilfe einsetzt. Seit 2017 ist sie im Vorstand und als Pressesprecherin des Vereins tätig. Sie lebt mit Mann, drei Kindern und Hund in der Nähe von Köln.

Das Interview führte Julia Garscha.

Was meinst du damit?

Das erste, was gemacht wird, wenn eine Schwangere in die Klinik kommt, ist ein CTG.[1]

Für Unterstützung fehlt Zeit, die Geburt darf nicht zu lange dauern. Woher kommt der Zeitdruck?

Es fehlen Hebammen. Im Kreißsaal, aber auch schon vorher. Ältere Hebammen berichten beispielsweise davon, dass viele Frauen mittlerweile sehr früh in die Klinik kommen, weil sie keine Hebamme haben, die ihnen sagt, dass sie bei den ersten Wehen auch erstmal zu Hause ein Bad nehmen können. Frauen müssen nicht unbedingt schon mit dem Einsetzen der ersten Wehen in die Klinik. Aber bereits hier fehlt Personal in der Fläche, um solches Wissen zu vermitteln. Im Kreißsaal setzt sich das fort. Die Fallpauschalen sind hier ein zentrales Problem: Das, was eine gute Geburt ausmacht, also die Unterstützung und Begleitung, wird durch die DRGs nicht bedarfsgerecht vergütet. Eine Geburt, die sich über Tage zieht, rechnet sich für die Kliniken nicht. Auch das ist ein Grund, Geburten mit Interventionen zu beschleunigen. Hier gibt es einfach falsche Anreize.

Was macht das mit den Gebärenden, wenn sie mit ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden?

Die Frauen fühlen sich wie Objekte. Ein Gefäß, das jetzt ein Kind bekommen soll. Sie fühlen sich ausgeliefert, in ihrer Selbstwirksamkeit gestört. Ihre eigenen Fähigkeiten werden nicht wahrgenommen oder sie werden infrage gestellt. Sie kommen mit Vertrauen ins Krankenhaus. Aber dieses Vertrauen wird dann erschüttert, weil die Geburt für viele Frauen nicht gut abläuft, sie alleingelassen werden und schlecht betreut sind. Als ich angefangen habe, mich in diesem Feld zu engagieren, habe ich mich immer gefragt: Warum sieht niemand, dass wir hier ein riesiges Problem haben? Dass es immer weniger Hebammen, immer weniger Kreißsäle gibt und dass davon unheimlich viele Frauen betroffen sind – als Beschäftigte, aber auch als Gebärende. Inzwischen glaube ich, genau hierin liegt der zentrale Grund: Weil es hier um Frauen geht, wurde das politisch lange Zeit ignoriert. In diesem Sinne verstehe ich mich auch als Frauenrechtlerin.

Den eigenen Ansprüchen gerecht werden zu wollen, es aber nicht zu können ist ein Problem, das auch Hebammen beschreiben.

Ja, absolut. Unter den aktuellen Bedingungen leiden Hebammen und Gebärende. Die Forderung nach mehr Personal und einer Eins-zu-eins-Betreuung eint uns daher. Dass die Krankenhausfinanzierung insbesondere mit Blick auf die Geburtshilfe dringend reformiert werden muss – auch darin sind wir uns einig. Es braucht aber auch einen offenen und ehrlichen Umgang mit Differenzen in unseren Sichtweisen. Im Kreißsaal gibt es ein asymmetrisches Verhältnis. Die Gebärenden sind abhängig von den Hebammen. Deshalb darf Gewalt in der Geburtshilfe als Thema nicht ausgespart werden.

Dieses Interview erscheint in der luxemburg beiträge Nr. 9 «Aus Sorge kämpfen»

Was hieße das konkret? Wie könnte Gewalt während der Geburt thematisierbar werden?

Es braucht beispielsweise ein Bewusstsein dafür, dass Zeitdruck und Personalmangel übergriffiges Verhalten nicht rechtfertigen. Eine notwendige vaginale Untersuchung zu erklären und das Einverständnis der Gebärenden abzuwarten – dafür muss immer Zeit sein. Eine Situation, die mir mal eine Frau geschildert hat, fand ich sehr berührend: Sie berichtete mir von der Geburt, die Hebamme war unheimlich gestresst. Dennoch hat sie es geschafft, die Gebärende nicht alleinzulassen, einfach indem sie sie kurz am Arm berührt hat und gesagt hat: «Sie machen das gut, ich muss jetzt kurz zu einer anderen Frau, aber ich komme gleich wieder.» Auch unter schwierigen Bedingungen ist ein achtsamer Umgang notwendig – und möglich. Patientenrechte, Menschenrechte gelten auch im Kreißsaal.

Mother Hood ist aus einer Elterninitiative zur Unterstützung von Hebammen hervorgegangen. Wo siehst du Verbindungspunkte zwischen Eltern und Hebammen?

Hebammen sind oft selbst traumatisiert von dem, was sie in ihrer Schicht erleben. Zentral sind bessere Bedingungen. Das ist auch ein Fundament gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Aber ein guter Betreuungsschlüssel ist nicht die Lösung aller Probleme. Es braucht Aus- und Weiterbildungen zum Thema Gewalt in der Geburt, zu einer die Würde achtenden Begleitung, zu sensibler Kommunikation. Es geht eben nicht nur um mehr Personal, sondern auch um den Inhalt und die Art der Arbeit, es geht um mehr und es geht um achtsames Personal. Wir sind solidarisch mit Hebammen, aber wir machen keine Berufspolitik, sondern stehen parteilich für die Interessen der Gebärenden ein. Das sind nicht immer die gleichen Interessen wie jene der Hebammen. Aber in der Frage der Krankenhausfinanzierung und der Forderung nach mehr Personal sind wir uns einig. Hier kämpfen wir für die gleiche Sache.


[1] Das CTG (Kardiotokografie) ist ein Gerät bzw. Verfahren, mit dem gleichzeitig sowohl die Herzschlagfrequenz des Fötus als auch die Wehentätigkeit der Gebärenden registriert und aufgezeichnet werden.