Nachricht | Sorgende Stadt Aus Sorge kämpfen

Von Krankenhausstreiks, Sicherheit von Patient*innen und guter Geburt

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Julia Dück, Julia Garscha,

Bildrechte: picture alliance / SZ Photo | Mike Schmidt

Im Sommer und Herbst 2021 stand die Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern mal wieder in der Kritik. Auslöser dafür war nicht allein die Corona-Pandemie, die die Lücken im Bereich Gesundheit offengelegt hat, und auch nicht ein Bundestagswahlkampf, der versäumte, das Thema Krankenhäuser zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen – obwohl dies angesichts der Lage in den Kliniken durchaus angemessen gewesen wäre. Auslöser war vielmehr die von ver.di initiierte Berliner Krankenhausbewegung, die mit Streiks in den beiden größten landeseigenen Krankenhäusern für Schlagzeilen sorgte.

Wie in den vorausgegangenen Arbeitskämpfen in 17 Kliniken in ganz Deutschland war es eine Bewegung für die Verbesserung der Arbeits- und Versorgungsbedingungen. Konkret forderten die Beschäftigten des Berliner Universitätsklinikums Charité und des landeigenen Klinikums Vivantes zusammen mit den Beschäftigten der Vivantes-Tochterunternehmen Entlastung in den Krankenhäusern und die Bezahlung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Diensts (TVöD) für die ausgegliederten Bereiche. Sie kritisierten aber auch die angespannte Situation in den Kreißsälen, die besonders durch Berichte von abgewiesenen Schwangeren ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden war. Erneut prangerten sie also die Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern an, was von den Medien durch Berichte über den Personalmangel in der Pflege, Zeitdruck und Arbeitsverdichtungen sowie die damit einhergehende Gefährdung der Patient*innen aufgegriffen wurde.

Julia Dück ist Referentin für soziale Infrastrukturen, verbindende Klassenpolitik, Gesundheit und Care im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie hat an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu Kämpfen um Sorgearbeit und der Krise der sozialen Reproduktion promoviert und engagiert sich in feministischen Kämpfen und solchen um soziale Infrastrukturen.

Julia Garscha ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestagsbüro von Cornelia Möhring der Fraktion DIE LINKE und arbeitet schwerpunktmäßig zu reproduktiver Gerechtigkeit und globaler Gesundheit. Sie ist aktiv in sozialen Bewegungen und hat mit dem Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite die Berliner Krankenhausbewegung begleitet.

Inzwischen scheint auf der Ebene der Politik zumindest angekommen zu sein, dass sich die Situation in den Krankenhäusern ändern muss und dass die größten Fehlentwicklungen der Finanzierung über Fallpauschalen korrigiert werden müssen. Einige Stellschrauben, an denen in jüngster Zeit gedreht wurde, machen dies deutlich – etwa die Ausgliederung der Pflegekosten aus dem Fallpauschalensystem, das bundesweit die Refinanzierung regelt: Sie stellt eine Rückkehr zur selbstkostendeckenden Finanzierung der Pflege am Bett dar und ist als Reaktion auf den kostengetriebenen Abbau von Pflegestellen infolge der Fallpauschalenfinanzierung zu verstehen. Darüber hinaus spiegelt sich auf Bundesebene im Koalitionsvertrag der Ampel in einigen Zügen der deutlich gestiegene gesellschaftliche Druck wider, in den Krankenhäusern endlich Verbesserungen zu erreichen.[1]

Dieser Druck ist vor allem den Beschäftigten in den Kliniken selbst zu verdanken, die schon lange beklagen, dass sich ihre Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren massiv verschlechtert haben. Kritisiert wird in erster Linie die Umstellung der Krankenhausfinanzierung von einer kostendeckenden zu einer Finanzierung nach Pauschalen, also die Einführung des sogenannten Fallpauschalen- oder DRG-Systems (Diagnosis Related Groups). Dieses Finanzierungsmodell wird für die aktuellen Probleme in den Krankenhäusern verantwortlich gemacht – etwa für den Kostendruck, den Abbau von Versorgungskapazitäten, die Konzentration auf lukrative Behandlungen sowie die Schließung von verlustträchtigen Bereichen, den Personalabbau (besonders in der Pflege) oder das Outsourcing von sogenannten patientenfernen Bereichen – mitsamt allen Konsequenzen für die Arbeit der Beschäftigten in den Kliniken (und den nun in Tochterfirmen tätigen Kolleg*innen) und für die Versorgungssituation der Patient*innen.

Kurzum: Die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung unter neoliberalen Vorzeichen steht im Fokus der Kritik, wenn die Bedingungen in den Krankenhäusern unter die Lupe genommen werden. Denn betriebswirtschaftliche Logiken prägen infolge der Pauschalfinanzierung in vielen Facetten sowohl die Versorgungslandschaft als auch das Handeln in den Kliniken.

Gleichzeitig hat mit der Einführung des DRG-Systems eine neue alte Hierarchisierung von Tätigkeiten in der Pflegearbeit und Geburtshilfe selbst stattgefunden: Medizinisch-technische, zeitlich gut erfassbare Tätigkeiten werden höher gewichtet, emotional-relationale Tätigkeiten, die zeitlich schwerer zu definieren sind, werden abgewertet. Damit ist in die DRG eine geschlechtsspezifische Bewertung von Arbeit eingeschrieben, die die Versorgung der Patient*innen und Gebärenden verändert. Während mittlerweile zunehmend auf die Auswirkungen von Zeitdruck und Arbeitsverdichtung auf die gesundheitliche Versorgung hingewiesen wird, bleiben die Auswirkungen auf die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeit dabei mitunter außen vor. Wenig beleuchtet werden letztlich Fragen nach einer «würdevollen Versorgung» – etwa danach, warum nie Zeit bleibt für ein Fußbad, das Frisieren von Haaren oder Tuschen der Wimpern oder die Betreuung für eine «gute Geburt»? Warum sind es immer zuerst menschliche Bedürfnisse nach emotionalem Beistand, nach Betreuung von der ersten bis zur letzten Wehe oder einem Händedruck in Zeiten der Not, für die die Kapazitäten nicht reichen? Ist das Schnickschnack? Zwischenmenschliche Gefühlsduselei? Ein Luxus, den wir uns nicht leisten können?

Dieses Interview erscheint in der luxemburg beiträge Nr. 9 «Aus Sorge kämpfen»

Ebendiese Fragen sind zentral, wenn es darum geht, danach zu fragen, was Krankenhausstreiks und Feminismus miteinander zu tun haben. Denn sie verweisen darauf, dass die Fallpauschalen zu einer umfassenden Ökonomisierung des Krankenhausalltags geführt haben. Das bedeutet: Betriebswirtschaftliche Sparmaßnahmen drücken sich nicht nur in Zahlen, Kosten und Erlösen aus, sondern zeigen sich auch am Wegsparen von Zeit für Gespräche, für die Beruhigung bei Ängsten, kurzum: Sie zeigen sich am Wegsparen von all dem, was mehr ist als nur die Verwaltung von physischen Körpern. In Fallpauschalen ist kein Platz für Sorge. In ihnen ist kein Platz für die Irrationalitäten des Leibes, für die zeitintensive Dynamik von Vertrauensbeziehungen oder für den Wunsch nach frisch gewaschenen Haaren. Fallpauschalen setzen Gesundheit in Wert – und zwar auf eine spezifische Weise: Sie lenken den Fokus auf Behandlungen und Arbeitsprozesse, die gut vergütet sind, weil sie sich gut planen, eintakten und rationalisieren lassen. So etwa auf Kaiserschnitte anstelle von Fünfzehn-Stunden-Geburten, auf Knie-Operationen anstelle von Notfallbehandlungen, auf Erwachsene statt auf Kinder – denn Letztere sind noch weniger bereit dazu zu verstehen, dass es im Krankenhaus nicht um ihre Bedürfnisse, sondern darum geht, Erlöse zu erzielen und Kosten zu sparen.

Dass es die fürsorglichen, affektiven, sozialen und kommunikativen Aspekte der Arbeit im Krankenhaus sind, die aktuell abgewertet werden, ist kein Zufall. Diese Entwicklung folgt einer androzentrischen Logik, die Menschen als autonome Wesen imaginiert und dabei die Angewiesenheit auf andere gerade in verletzlichen Situationen nicht erfasst. Diese männlich-rationalistische Funktionslogik der Fallpauschalen muss also ebenfalls beleuchtet werden. Denn in ihr reartikulieren sich alte Grenzziehungen zwischen männlich und weiblich, rational und emotional, bezahlt und ins Private verdrängt. Hier finden demnach neue alte Abwertungen vermeintlich weiblicher* Tätigkeiten statt.

Diese Abwertung von Care, Sorge oder Pflege haben Feminist*innen in den letzten Jahren wieder verstärkt kritisiert und etwa die strukturelle Sorglosigkeit des Kapitalismus herausgearbeitet, die sich unter anderem daran zeigt, dass Tätigkeiten im Bereich der sozialen Reproduktion oder Sorge schlechter bezahlt werden, oft unsichtbar oder weniger anerkannt sind und häufig von Frauen* oder Migrant*innen ausgeführt werden. Zugleich stehen diese Analysen häufig unverbunden neben den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Letztere nehmen die Auswirkungen der Fallpauschalen vor allem als Folgen für die Arbeit in den Blick – nämlich als Personalmangel, Arbeitsverdichtung und Stress. Mit der Forderung nach Entlastung durch mehr Personal wurden einige beachtliche Erfolge erkämpft – zuletzt durch die Berliner Krankenhausbewegung an der Charité und bei Vivantes. Dass aber eine feministische Kritik an der Abwertung von Sorge(-arbeit) und das gewerkschaftliche Anprangern der Fallpauschalen letztlich nur unterschiedliche Momente derselben Herrschaft beschreiben, bleibt leider oft unterbelichtet. Die stattfindenden Kämpfe verstehen wir daher als gewerkschaftliche ebenso wie feministische Kämpfe – sowie als eine Aufforderung, beide Aspekte der Analyse und Kritik miteinander zu verbinden. Denn in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen um eine gute Versorgung stecken auch feministische Anliegen; feministische Errungenschaften wiederum werden auch in gewerkschaftlichen Kämpfen erstritten. Das geschieht aber nicht automatisch – es muss aktiv thematisiert und verbunden werden.

Denn nur so kann es gelingen, eine Brücke zu bauen zwischen den verschiedenen Auseinandersetzungen von gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, von in Initiativen engagierten Patient*innen und Eltern sowie von feministischen Aktivist*innen. Den Kampf gegen die Fallpauschalen nicht nur als einen gegen ein durchökonomisiertes Gesundheitssystem zu verstehen, sondern auch als einen Kampf gegen die Abwertung von vermeintlich weiblichen Tätigkeiten, eröffnet Möglichkeiten für eine verbindende Klassenpolitik. Oder anders: Lasst uns gemeinsam kämpfen für die Anerkennung von Sorge, für die Aufwertung von Fußbädern, das Haare-Waschen und Hände-Halten.


[1] Dort wird etwa die Einführung einer gesetzlichen Personalregelung in der Pflege (die sog. PPR 2.0/Pflegepersonalregelung) in Aussicht gestellt. Zudem wird für Teilbereiche im Krankenhaus – wie die Notfallversorgung, Kinderkliniken und die Geburtshilfe – angedeutet, dass hier möglicherweise eine Abkehr von einer Finanzierung nach Fallpauschalen in Erwägung gezogen wird.