Am 14.2.2022 hat der Weltklimarat (International Panel on Climate Change, IPCC) die Abschlussverhandlungen zum zweiten Teil seines Sechsten Sachstandsberichtes begonnen. Am 28. Februar soll die endgültige Version des Berichtes veröffentlicht werden. In diesen Berichten fassen Tausende von Wissenschaftler*innen den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel zusammen. Während der erste Teil des Berichts sich jeweils mit den Ursachen der globalen Erwärmung befasst, geht es im zweiten Teil um die Folgen des Klimawandels, die erwartet werden müssen. Oder die bereits spürbar sind, wie Reportagen aus unseren Büros in Afrika zeigen: Im Senegal müssen Dörfer vor dem ansteigenden Meer weichen und Reisbäuer*innen verlieren ihre Ernährungsgrundlage. Und im Süden Afrikas führt die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten zu Wassermangel und Hungersnöten - Phänomene, die mit mit den steigenden Temperaturen häufiger und schwerwiegender werden.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat den zweiten Teil seines sechsten Sachstandsberichts veröffentlicht. Darin wird erneut deutlich, dass die Klimakrise kein Problem einiger weniger ist – sie wird fast die gesamte Menschheit betreffen. Zum ersten Mal bezieht sich der Bericht aber auch direkt auf Fragen der Klimagerechtigkeit – und könnte damit als Grundlage für weitergehende Forderungen nach Ausgleich und Entschädigungen der Länder des Globalen Südens in den kommenden Klimaverhandlungen dienen.
Ungefähr 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben in einem Umfeld, das durch den Klimawandel stark gefährdet ist.
– 6. IPCC-Sachstandsbericht, veröffentlicht am 28. Februar 2022
Auf der IPCC-Pressekonferenz am vergangenen Montag bezeichnete UN-Generalsekretär António Guterres den neu veröffentlichten Bericht als «einen Atlas des menschlichen Leids». Der zweite Teil des sechsten Sachstandsberichts fasst die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen der globalen Erwärmung zusammen. Er zeigt, dass fast die gesamte Weltbevölkerung von der globalen Erwärmung betroffen sein wird, und kommt zu dem Schluss, dass etwa die Hälfte der Weltbevölkerung in Gebieten lebt, die für die Auswirkungen des Klimawandels besonders anfällig sind – vor allem durch die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen.
Viele Ökosysteme, die die Lebensgrundlage von Menschen bilden, sind dem Bericht zufolge vom Aussterben bedroht, insbesondere Korallenriffe und Wälder. Küstengebiete und niedrig gelegene Inseln leiden bereits heute unter dem Anstieg des Meeresspiegels – der auch dann nicht komplett zu verhindern ist, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt wird.
Der Bericht legt im Gegensatz zu früheren Berichten einen Schwerpunkt auf die Auswirkungen des Klimawandels in Städten. Den Autor*innen zufolge wird der Klimawandel für Städte, Siedlungen und Infrastruktur in den kommenden Jahrzehnten ein zunehmendes Risiko darstellen. Es ist das erste Mal, dass dies in einem IPCC-Bericht so eindeutig festgestellt wird. Hohe Verstädterungsraten, insbesondere in niedrig gelegenen Küstengebieten mit geringer Anpassungskapazität, werden dazu führen, dass etwa 1 Milliarde Menschen von klimabedingten Extremereignissen betroffen sein werden. Vertreibung und Migration werden dadurch zunehmen, und sowohl die kurz- als auch die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels werden, so der Bericht, zu einem «erheblichen Anstieg von Krankheiten und vorzeitigen Todesfällen» führen. Der Bericht warnt auch vor sich verstärkenden Risiken, die auftreten, wenn mehrere klimatische und nicht klimatische Faktoren zusammenkommen und eine große Breite an Bereichen und Regionen betreffen.
David Williams ist Programmleiter für das Thema Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Zum ersten Mal geht der Bericht detailliert auf die derzeitigen Versuche der Anpassung an den Klimawandel ein. Es werden einige Best-Practice-Beispiele genannt, die erfolgreich verliefen, und bei denen die betroffenen Gemeinschaften an Entscheidungsprozessen beteiligt wurden. Es werden aber auch Fälle beschrieben, in denen Anpassungsbemühungen gescheitert sind oder die Projekte sogar entgegen der eigentlichen Intension negative Auswirkungen hatten (ein Prozess, der als Fehlanpassung bekannt ist). Neu am Bericht ist auch, dass bei der Diskussion von Entwicklungspfaden für mehr Klimaresilienz zum ersten Mal auch Degrowth als mögliche Strategie für Industrieländer erwähnt wird, um «ökologische Nachhaltigkeit und sozioökonomischen Fortschritt» zu erreichen.
Konsequenzen und Schlussfolgerungen
Die Berichte des IPCC werden von vielen als die Bibeln der Klimawissenschaft angesehen, an ihrer Erstellung arbeiten die angesehensten Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet der Klimawissenschaften mit. Alle sechs bis sieben Jahre veröffentlicht der IPCC einen Bericht, der die jeweils neuesten Erkenntnisse der Klimawissenschaft zusammenfasst und dadurch eine Einschätzung des aktuellen Zustands des globalen Klimasystems ermöglicht. Der Prozess der Nominierung der Autor*innen, die Auswahl der wissenschaftlichen Arbeiten, die in die Zusammenfassung aufgenommen werden, und das Verfassens des eigentlichen Textes sind konsensorientiert und so gestaltet, dass ein Höchstmaß an Transparenz und Integrität gewährleistet ist.
Darüber hinaus enthalten die Berichte Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger, in denen die wichtigsten Ergebnisse jedes Kapitels in einfacher Sprache dargestellt werden. Diese Zusammenfassungen werden Wort für Wort mit Regierungsvertreter*innen der UN-Mitgliedstaaten abgestimmt – dieses Verfahren verleiht dem Endergebnis eine Legitimität, die bei anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen kaum zu finden ist.
Der IPCC schließt derzeit seinen sechsten Berichtszyklus ab. Der Bericht, der dabei erstellt wird, ist wie die vorherigen in drei Teile gegliedert. Der erste Teil mit dem Titel «The Physical Science Basis» wurde im August 2021 veröffentlicht, auf der Grundlage der jüngsten Ergebnisse regionaler und globaler Klimasimulationen zeigt er das unaufhaltsame Fortschreiten des Klimawandels weltweit, und wie stark der Einfluss des Menschen auf die Stabilität des Klimasystems der Erde bereits ist.
Der zweite Teil des Berichts mit dem Titel «Impacts, Vulnerability and Adaptation» (Auswirkungen, Verletzlichkeit und Anpassung) wurde am letzten Montag veröffentlicht. Darin werden detailliert die Auswirkungen beschrieben, die die im ersten Teil dargestellten, vom Menschen verursachten Klimaveränderungen auf die Ökosysteme der Ozeane, der Küsten, der Erde und des Süßwassers haben. Anschließend wird gezeigt, welche Auswirkungen dies auf die Lebensmittel- und Wasserversorgungssysteme haben wird, bevor die möglichen Folgen dieser Veränderungen für Städte und Siedlungen diskutiert werden, für Gesundheit und Wohlergehen der Menschen, für die Bekämpfung von Armut, die Sicherung des Lebensunterhaltes und nachhaltige Entwicklung weltweit.
In dem Bericht wird außerdem hervorgehoben, dass die Anfälligkeit durch «sich überschneidende sozioökonomische Entwicklungsmuster, nicht nachhaltige Meeres- und Landnutzung, Marginalisierung, historische und anhaltende Muster der Ungleichheit wie Kolonialismus und Regierungsführung» bedingt ist. In der Praxis bedeutet dies, dass diejenigen, die wegen ihres Aussehens, Religion, ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Einkommens marginalisiert wurden und werden, auch am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Der Grund dafür ist einfach: Die Fähigkeit, sich vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, hängt von den Ressourcen ab, über die man verfügt, und zu denen haben marginalisierte Gruppen den geringsten Zugang.
Die letzte Chance, eine ökologische und soziale Katastrophe abzuwenden
Der jüngste Bericht hebt daher mehr als alle anderen Berichte zuvor die Gefahr hervor, dass der Klimawandel Ungleichheit und Marginalisierung verstärkt, nicht nur länderübergreifend, sondern auch innerhalb eines Landes. Der intersektionale Aspekt der Vulnerabilität für den Klimawandel wird dadurch erklärt, dass «Ungleichheit und Armut erhebliche Anpassungsgrenzen darstellen, was zu einem Restrisiko für gefährdete Gruppen wie Frauen, Jugendliche, ältere Menschen, ethnische und religiöse Minderheiten, indigene Völker und Flüchtlinge führt». Indem er beschreibt, wie «koloniale Machtdynamiken die Reaktionen auf den Klimawandel beeinflussen können», hebt er auch die Bedeutung des Schutzes der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften hervor, die ihrerseits Kohlenstoffsenken bewahren und die biologische Vielfalt erhalten, was wiederum globale Erwärmung verlangsamt und das Klimasystem der Erde stabilisiert.
Diese Erkenntnisse sind untrennbar mit Fragen der Gerechtigkeit verbunden. Der Bericht zeigt erneut, dass diejenigen, die am wenigsten zur zerstörerischen Dynamik des Klimawandels beigetragen haben, die größte Last zu tragen haben, während diejenigen, die am meisten dazu beitragen, nicht zur Verantwortung gezogen werden. Er ist ein weiteres Beispiel dafür, warum viele inzwischen die Gerichte als das wichtigste Forum für die Betroffenen ansehen, um eine Entschädigung für die Verletzung ihrer Menschenrechte zu erreichen.
In Anbetracht dieser Erkenntnisse wird noch einmal die Dringlichkeit einer angemessenen Klimafinanzierung unterstrichen, sowohl für gefährdete Gemeinschaften bei der Anpassung an die prognostizierten Auswirkungen als auch für die Entschädigung in Fällen, in denen klimabedingte Extremereignisse die Grenzen der Anpassung überschreiten (bekannt als «Loss and Damage»). Beispiele hierfür sind Waldbrände, Hitzewellen, der Anstieg des Meeresspiegels oder Sturzfluten, an deren Auswirkungen man sich nicht anpassen kann und die die Menschen und ihre Lebensgrundlagen direkt betreffen.
Diese Erkenntnisse lassen auch die Unfähigkeit der Delegierten auf der COP26 in Glasgow, eine Einigung zu erreichen, um angemessene finanzielle Unterstützung für gefährdete Bevölkerungsgruppen bereitstellen zu können, als noch dramatischer erscheinen. Alle Augen werden nun auf die COP27 in Sharm-el-Sheikh gerichtet sein, um zu sehen, ob diese Ungerechtigkeit dort behoben wird.
Mit Blick auf die Zukunft stellt der Bericht fest, dass diese Risiken weitaus größer sein werden, wenn die durchschnittliche globale Erwärmung 1,5°C übersteigt: «Jede weitere Verzögerung bei konzertierten, vorausschauenden globalen Maßnahmen zur Anpassung und Abschwächung wird ein kurzes und sich schnell schließendes Zeitfenster verpassen, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern.»
Der dritte und letzte Teil des Berichts mit dem Titel «Abschwächung des Klimawandels» skizziert die notwendigen Maßnahmen zur «Mitigation und Adaptation» und soll Anfang April veröffentlicht werden. Ob dies die Regierungen der reichen Nationen dazu veranlassen wird, die so dringend notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, bleibt abzuwarten. Eines ist sicher: Ohne verstärkten Druck der Zivilgesellschaft auf die nationale und internationale Klimapolitik wird dies nicht gelingen.