Nachricht | Feministische Theorie nur mit feministischer Solidarität; Neu-Ulm 2022

Begegnungen mit Gisela Notz: Auf neuen und bekannten Wegen

Information

Autorin

Anke Hoffstadt,

Im April 2022 feierte Gisela Notzihren 80. Geburtstag. Mit einer ungewöhnlichen Gratulation warten die Autor:innen und Herausgeber:innen eines Sammelbandesauf, der als Überraschungspräsent «Texte für Gisela» zusammenbringt. Inspiriert von Gisela Notz‘ Denken, Forschen und Publikationen. Inspirierend in der Neugier und Lust, ihre Texte zu lesen.

Starke Erkenntnismomente, Lese-Erlebnisse und Begegnungsorte beschreiben die vierzehn Beiträge von «Feministische Theorie nur mit feministischer Solidarität – Texte für Gisela Notz». Dabei greifen sie – leicht gewandelt auch im Titel des Bandes– auf, was Gisela Notz in einem Interviewbereits 2017 stark machte: «Feminismus», das «ist ja nicht nur Theorie, sondern auch soziale Bewegung». Wünschen würde sie sich zudem, dass feministische Solidarität «wieder ein Begriff» und dass «feministische Theorie wieder mit feministischer Praxis verbunden» werde (S. 27 ff.).

In dieser Trias begegnen die Autor:innen den Gedanken von Gisela Notz. Sie beziehen sich auf ihre Publikationen, schreiten Thesen und Schwerpunkte ab: zum Begriff und zur Praxis (feministischer) Solidarität, zum Wesen und Herrschaftsgefüge von bezahlter und unbezahlter Arbeit, zu Gemeinwirtschaft oder zur diachronen Perspektive auf Konzepte der «neuen Mütterlichkeit» in der Zeitgeschichte. Zur Kritik des Familismus. Zur Tomate, die im September 1968 in Frankfurt beim Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) ebenso quer wie akzentsetzend durch die damaligen Gegenwarten linker politischer Praxis flog. Gemeint und getroffen waren Strukturen, die sich seinerzeit nicht die Mühe machten, die Anliegen von Frauen zu hören oder gar einzubeziehen in selbstkritische Perspektiven auf Sprechpositionen und Privilegien linker Akteur:innen.

Wiederholt blitzt durch die Beiträge die klare Analyse, dass viele der feministischen Kämpfe aus ihrer Notwendigkeit in der Sache heraus bis heute weiter bestehen, dass sie zugespitzt aktualisiert scheinen in allen Bereichen einer multiplen Krise als «Krise der Solidarität» (S. 14 ff.). Sie haben eine lange Geschichte oder müssen immer wieder, mitunter neu geführt werden.

So blättern die Autor:innen Beispiele auf, deren Erforschung etwa für eine kritische Wissenschaft und eine feministisch-widerständige Praxis auch heute Relevanz haben. Besonders beeindruckend daran ist: Wie sie Gisela Notz stets als positioniert und transparent im Ort ihres Sprechens beschreiben, zeigen die Autor:innen selbst jeweils auch ihren eigenen Standpunkt auf. So wandern wir mit manchem Fremdwort im Gepäck lesend entlang akademischer Perspektiven auf Konzepte feministischer Solidaritäten. Wir befragen uns auf dem Weg einer Kritik des Familismuszu unseren eigenen «Anführungszeichen»-Begriffen, mit denen wir alternative Ideen und Alltage von Gesellschaft und Zusammenleben zu oft und ohne Not als «besonders» markieren (Bini Adamczakin «Familismus als Skandal»). Wir betrachten die Geschichte der Hexenverfolgung mit der Brille einer selten fokussierten feministischen Kritik politischer Ökonomien (Gregor Kritidis) oder fragen uns, ob wir als weibliche Wissenschaftler den Elfenbeinturm der Akademien als Sehnsuchtsort nicht lieber vom Sockel stoßen denn erobern möchten (Mareen Heying und Anna Schiffin «Luxus für Alle»). Nicht zuletzt weist uns die Geschichte von Claudia Jones(«Schwarze Kommunistin und Wegbereiterin intersektionaler Politik», so der Untertitel des Beitrages von Janette Otterstein) darauf hin, dass wir selbstkritisch aufmerksam sein müssen für den Tellerrand unserer Perspektiven. Darauf, dass so Vieles (noch) fehlt.

«Texte für Gisela» ist ein solidarisches, ein freund*innenschaftliches Buch. In seinen Beiträgen bewegen wir uns auf der Landkarte von Gisela Notz‘ themenbreiten Forschungen und Positionen und folgen ihren Blicken auf feministische Praxen. In der Lektüre der überwiegend kurzweiligen Beiträge schmunzeln und grübeln wir, notieren uns, was wir als Nächstes lesen und wo wir mehr erfahren möchten. Immer hören wir dabei Giselas unermüdliche, gedankenöffnende Rückfragen, sehen uns durch die Buchstaben hindurch im Dialog mit einer Wegbereiterin im eigentlichen Sinne.

Redaktionskollektiv aus dem Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Feministische Theorie nur mit feministischer Solidarität. Texte für Gisela Notz; Verlag AG SPAK Neu-Ulm 2022, 134 Seiten, 12 Euro