Bernhard Schulz, Der Tagesspiegel, Berlin rezensiert für HSozKult
Tim B. Müller: Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg. Hamburg: Hamburger Edition, HIS Verlag 2010. ISBN 978-3-86854-222-6; 736 S.
Herbert Marcuse arbeitete, wie wohlbekannt ist, einige Jahre lang im amerikanischen Außenministerium. Doch gilt das Jahrzehnt zwischen
1942 und 1952, in dem er nicht mehr als eine einzige Rezension publizierte, gemeinhin als Zeit des bloßen Broterwerbs ohne tiefere
Bedeutung für die Entwicklung seines Denkens, das sich – so die Legende – erst in der Kritik an der US-Politik zu voller Höhe entwickelt habe. Tim B. Müller, seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, dreht nun diese Abfolge um. In seinem Buch „Krieger und Gelehrte“ vertritt er die These, dass die Dekade
im Staatsdienst für Marcuse eine geradezu formative Bedeutung gehabt habe. In diesem Jahrzehnt habe sich bei Marcuse jenes Denken herausgebildet, das die spätere Protesthaltung insbesondere gegenüber dem Vietnam-Krieg überhaupt erst verständlich mache.