Nachricht | Westasien Der Angriff der jemenitischen Rebell*innen auf die Ölanlagen von Saudi Aramco und seine Folgen

Saudi-Arabien erweist sich als isoliertes, instabiles Land, das die Menschenrechte missachtet

Information

Der Angriff auf Aramaco-Öl-Depots durch jemenitische Huthi-Rebellen Ende März hat erneut die politischen und ökonomischen Schwächen Saudi-Arabiens aufgezeigt. CC BY 4.0, Tasnim News Agency

Am 27. März, dem Vorabend des Formel-1-Rennens in Dschidda, ging ein Tanklager des saudi-arabischen Erdölförderkonzerns Aramco nach einem Raketenangriff, zu dem sich die jemenitischen Huthi-Rebell*innen bekannten, in Flammen auf. Das Foto des brennenden Öl-Depots in der Nähe der Formel-1-Rennstrecke wurde zu einem dramatischen Symbol für die schwierigen innen- und außenpolitischen Herausforderungen des Landes. Es ist nicht das erste Mal, dass Anlagen der saudischen Ölindustrie angegriffen werden. Im September 2019 bekannten sich die Huthi zu frühmorgendlichen Drohnen- und Marschflugkörperangriffen auf zwei große Ölanlagen in Jizan. Durch diesen Angriff fielen vorübergehend 5,7 Millionen Barrel pro Tag und damit 5 Prozent der weltweiten Rohölnachfrage aus. Vor dem Hintergrund des weltweiten Wirtschaftsabschwungs, der fünften Welle der Covid-19-Pandemie, des Krieges und der eskalierenden humanitären Krise in der Ukraine ist die aktuelle Lage für die saudische Wirtschaft und die internationale Position des Landes jedoch noch komplizierter geworden.

Der Angriff auf die Aramco-Anlagen wird die Rohölpreise voraussichtlich weiter in die Höhe treiben. Noch wichtiger ist jedoch, dass er die instabile politische, wirtschaftliche und militärische Lage des Landes offenlegt, insbesondere nach dem Entzug der US-amerikanischen Unterstützung für den saudischen Krieg gegen die vom Iran unterstützten Huthi. Einige der bedeutendsten englischsprachigen Medienhäuser des Landes bemühen sich nun, den Fokus von den Menschenrechtsverletzungen – am 12. März hat Saudi-Arabien eine Rekordzahl von 81 Menschen wegen terroristischer Straftaten hingerichtet – und den Vorwürfen des Sportswashing zu einer sich abzeichnenden Energiekrise infolge des Angriffs auf das Aramco-Tanklager zu verschieben.

Aliki Kosyfologou hat in Politikwissenschaft und Soziologie promoviert. Ihre interdisziplinären Forschungsinteressen umfassen Politikanalyse, Gesellschaftstheorie, Gendertheorie, Feminismus und Kultur. Sie hat in der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) gelebt und dort Feldstudien durchgeführt. Aktuell arbeitet sie als freie Wissenschaftlerin und sozialpolitische Beraterin.

Sie hat zahlreiche Studien zu den sozialen und genderspezifischen Auswirkungen der Austeritätspolitik in Europa und insbesondere Griechenland verfasst, unter anderem die folgenden Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung: «The gendered aspects of the austerity regime in Greece: 2010-2017» [Die geschlechtsspezifische Dimension des Austeritätsregimes in Griechenland: 2010-2017], «Women’s status in a struggling Greek economy: The terrifying fall of a society’s progress» [Der Status der Frau in der um Aufschwung kämpfenden griechischen Wirtschaft: Der erschreckende Untergang des Fortschritts einer Gesellschaft], «Über die Fragilität der Gleichheit in Zeiten der Pandemie».

In seinem Leitartikel «Der wahre Preis des Angriffs auf saudische Ölanlagen» schrieb Faisal J. Abbas, Chefredakteur von Arab News, am 26. März, dass «das Königreich nicht mit der Sicherung der globalen Energieversorgung allein gelassen werden kann, da die Preissteigerungen die gesamte Welt treffen». Er appellierte auch an die Staats- und Regierungsoberhäupter der «freien Welt», insbesondere an den langjährigen Verbündeten Saudi-Arabiens, die USA, ihre Unterstützung zu bekräftigen und plädierte dafür, die saudischen Ölanlagen als «zivile Infrastruktur» einzustufen und ihre Bedrohung als ein internationales Problem zu verstehen. Darüber hinaus forderte er die USA auf, den Angriff als einen Terroranschlag zu werten, der die globale Sicherheit bedrohe. Diese Argumente scheinen jedoch bis heute niemanden außerhalb des Königreichs zu überzeugen oder Einfluss auf den aktuellen Stand der internationalen Beziehungen Saudi-Arabiens zu haben. Für Letzteres spricht auch die Erklärung des US-Außenministers am Tag darauf. Er verurteilte die Anschläge und räumte ein, dass es sich um einen Angriff auf die zivile Infrastruktur handele; er zögerte jedoch, ihn als Terroranschlag zu bezeichnen. Dies spiegelt auch den festen Entschluss der Regierung Biden wider, ihre Unterstützung für die unpopuläre saudi-geführte Intervention im Jemen zurückzuziehen – die frühere US-Regierungen seit ihrem Beginn im Jahr 2015 eifrig befürwortet hatten – und sich zumindest teilweise langfristig davon zu distanzieren.

Nicht erst seit Kurzem betonen saudische Pressesprecher*innen und Medien in ihrer Kommunikationsstrategie die globale Energiesicherheit und die entscheidende Rolle Saudi-Arabiens für die Energieversorgung, um insbesondere den brisanten Themen entgegenzuwirken, die einer Imageverbesserung zuwiderlaufen. Als die Formel 1 Saudi-Arabien als Austragungsort bestätigte,[1] erklärten Regierungsvertreter*innen stolz, dass dieses Ereignis die «Transformationsreise des Landes» symbolisiere. Das Rennen wurde jedoch von der schockierenden Nachricht über die Massenhinrichtung von 81 Männern (73 saudische Staatsbürger, sieben Jemeniten und ein syrischer Staatsbürger) wegen terroristischer Straftaten und dem bestätigten Angriff der Huthi-Rebell*innen auf die Pipelines in Dschidda am 12. März überschattet. Nach den wirtschaftlichen Einbußen durch die Pandemie, die zu einem Rückgang der Rohölproduktion und einer beispiellosen Ölpreisschwankung führte, und angesichts der Tatsache, dass die Umsetzung des Modernisierungsprojektes Vision 2030 durch die Pandemiebeschränkungen unterbrochen wurde, liefern Saudi-Arabiens Versuche, die Wirtschaft neu auszurichten und zu diversifizieren, kein zufriedenstellendes Ergebnis. Unterdessen ist das Land auf internationaler Ebene zunehmend isoliert und muss den schweren Bruch mit einem seiner wichtigsten Verbündeten, den USA, überstehen.

Die einzige Karte, die sich noch spielen lässt, scheint die der Erdölversorgung zu sein. Saudi-Arabien präsentiert sich nach wie vor als der bedeutendste Öllieferant der Welt. Gleichzeitig bezeichnen saudische Beamt*innen und Energiepolitiker*innen das Land aufgrund seiner immensen Reserven und vergleichsweise kostengünstigen Anlagen als «eiserne Reserve für Öllieferungen».[2] Die derzeitige Energiekrise unterscheidet sich jedoch von der Ölversorgungskrise von 1973, da es nicht nur um Erdöl, sondern auch um Erdgas geht und Saudi-Arabien trotz der Gasreserven, die es nach eigenen Angaben zurückhält,[3] am internationalen Gasmarkt nicht beteiligt ist und das Gas ausschließlich für den Binnenkonsum bereitstellt.

Andererseits steht die «Rückkehr» zur Rolle eines internationalen Öllieferanten im Widerspruch zu den erklärten Zielen des Kronprinzen und Staatsoberhaupts Mohamed Bin Salman, die saudische Wirtschaft durch die Entwicklung einer anspruchsvollen touristischen Infrastruktur im Land und die Anwerbung von Unternehmen und ausländischen Investitionen zu diversifizieren, deren Unterstützung für die meisten Megaprojekte wie etwa NEOM maßgeblich ist. Zudem kann Saudi-Arabien nicht als attraktives Ziel für Kapitalzuflüsse und den Ausbau der Tourismusbranche angesehen werden, wenn die Sicherheit im Land derart bedroht ist. Darüber hinaus kann das Königreich trotz seiner Modernisierungsbemühungen und der eingeleiteten Gesetzesreformen (einschließlich der Abschaffung der Religionspolizei und der Verbesserung der rechtlichen Stellung der Frau) nicht verhindern, als ein Regime angesehen zu werden, das die Menschenrechtslage gefährdet und einen verheerenden Angriff auf ein Nachbarland mit immensen humanitären Kosten fortsetzt. Im Inland wächst derweil die Enttäuschung über die schrumpfende saudische Wirtschaft, über die umgesetzten Covid-19-Maßnahmen und die Preissteigerungen für Versorgungsleistungen und Öl. In diesem Zusammenhang kommt Saudi-Arabien nicht umhin, sich als typisches Beispiel für einen «Petro-Staat» zu inszenieren und auf seiner Schlüsselrolle bei der Sicherung der weltweiten Ölversorgung und der Ölstabilität zu bestehen. Schließlich ist dies die einzige Möglichkeit, «ernst genommen zu werden» und sich den Zugang zu den Versammlungen der internationalen Gemeinschaft und zur Politik zu sichern.[4]

Übersetzung von Camilla Elle & André Hansen für Gegensatz Translation Collective.


[1] Der Formel 1 wurde vorgeworfen, sich am Sportswashing des saudischen Regimes zu beteiligen. Formel-1-Chef Stefano Domenicali verteidigte jedoch die Entscheidung, Rennen in Saudi-Arabien auszutragen, trotz massiver Kritik von Menschenrechtsorganisationen und prominenten Fahrern wie Lewis Hamilton, der bekräftigte, dass er sich bei «Rennen in Saudi-Arabien unwohl fühle».

[2] Jim Krane (2019): «Energy Governance in Saudi Arabia: An assessment of the Kingdom’s resources, policies and climate approach», Institut für Public Policy, Rice University, S. 5.

[3] «Saudi-Arabiens nachgewiesene Gasreserven wurden 2017 auf 8 Billionen Kubikmeter (tcm) geschätzt, womit das Land weltweit an sechster Stelle nach dem Iran, Russland, Katar, Turkmenistan und den Vereinigten Staaten rangiert (BP 2018)», ebd., S.7.

[4] Der britische Premierminister Boris Johnson traf am 16. März 2022 mit dem saudischen Kronprinzen zusammen, um über die Stabilität der weltweiten Ölmärkte zu sprechen.