Nachricht | Geschichte Wer einem Stern folgt, kehrt nicht um

Vor 80 Jahren ist Heinrich Vogeler verstorben

Information

Heinrich Vogeler wird am 12. Dezember 1872 in Bremen geboren. Er studiert an der Kunstakademie in Düsseldorf und findet dort Kontakt zu den Malern, die später die Künstlerkolonieim nahe Bremen gelegenen Dorf Worpswede bilden. Er ist das jüngste und zugleich das letzte Mitglied der Worpsweder Malervereinigung, der er 1894 nach Abschluss seines Studiums beitritt.

Bis zur Jahrhundertwende entwickelt sich Vogeler zu einem der bedeutendsten Repräsentanten des deutschen Jugendstils und findet, vor allem als Grafiker und Gestalter, nationale und internationale Anerkennung. Aber Vogeler ist nicht nur Maler, Grafiker, Architekt, Designer, sondern auch Pädagoge und Schriftsteller und schließlich ab 1918 auch Sozialist.

Als die Wirkung des Jugendstils beim Publikum spürbar nachlässt, sucht er neue künstlerische Orientierungen. Er plant nun z.B. auch Häuser für die Arbeiter der 1908 gegründeten Möbelfabrik seines Bruders. 1905 entsteht das Bild «Sommerabend», das später als Zeichen für das Scheitern des Barkenhoff als Ort künstlerischer Kooperation gedeutet wird. Die Ehe mit Martha Vogeler (1879-1961) geht ebenfalls in die Brüche. Der Erste Weltkrieg, an welchem er - wie viele seiner Zeitgenossen - naiv freiwillig und lange teilnimmt, gibt seinem Leben und Wirken eine neue, politische Richtung. Zurückgekehrt als überzeugter Pazifist und Kommunist versucht er, seiner veränderten Weltanschauung auch als Künstler weiter gerecht zu werden. Sein Werk gewinnt nun expressionistische Züge, in denen sich seine politische Haltung äußert.

Sein Wohnsitz, der Barkenhoff in Worpswede, wird bis 1923 zu einer Kommune umgewandelt. Vogeler, der 1918 bereits 46 Jahre alt ist, arbeitet unermüdlich auf und für seinen Wohnort. Er hält Vorträge, publiziert viel. Seine Texte atmen aber in dieser Phase mehr den Geist der (christlichen) Nächstenliebe, der anarchistischen «gegenseitigen Hilfe» und oder der Ideen der Lebensreform, als den des Marxismus und des Klassenkampfes.

1920 zieht Martha Vogeler mit den drei Kindern aus. Dass so viele seiner Werke erhalten sind, liegt daran, dass Martha viele Gegenstände und auch Werke mitnimmt. Die «rot-schwarze» Kommune scheitert - und Vogeler verschenkt das Anwesen an die «Rote Hilfe», die es dann bis 1932 als Kinderheim führt. Ab 1923 reist Vogeler regelmäßig nach Moskau. Vogelers zweite Ehefrau wird Sonja Marchlewska (1898-1983). Die beiden heiraten 1926. 1924 lässt Vogeler sich in Berlin nieder, bevor er 1931 endgültig in die Sowjetunion übersiedelt. Dort stellt sich Vogeler ganz in den Dienst des Kommunismus, die stalinistischen Säuberungen übersteht er, im Unterschied zu vielen anderen AntifaschistInnen und EmigrantInnen unbeschadet. Er bekämpft aktiv den Nationalsozialismus, wird aber trotzdem nach dem Überfall NS-Deutschlands auf die Sowjetunion deportiert. Er stirbt verarmt und unterernährt am 14. Juni 1942 bei Kornejewka, (Karaganda/Kasachstan).

Leben als Gesamtkunstwerk

Die Bedeutung von Vogeler liegt in der Vielfalt der mit ihm verbundenen Themen, wie auch in der zeitweiligen Radikaliät seines Handelns. Sein kreatives Schaffen war stets Ausdruck seiner persönlichen Überzeugungen und Auseinandersetzung mit wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen. Seine Werke spiegeln in allen Abschnitten seines sehr wechselvollen Lebens die Suche nach «dem Schönen», wenn nicht sogar dem «irdischen Paradies». Dies zeigen die Kunstwerke der Jahrhundertwende, wie auch der schwärmerische Duktus seiner vielen Schriften in den 1920er Jahren. Seine Kunst machte ihn in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zum Liebling großer Teile des aufgeklärten Bürgertums, seine Kriegserfahrung zum Kritiker und Dissidenten, seine politische Haltung schließlich zum Exil-Künstler, der der Sowjetunion unkritisch gegenübersteht. Vogeler ist stets auf der Suche nach dem vielzitierten «Gesamtkunstwerk», vor 1918 und auch danach. Seine Lebensgeschichte wird oft als eine radikale Sinnsuche in Zeiten großer Umbrüche interpretiert, was aber zu kurz greift. Die vor allem auf die Ästhetik fokussierte, «bürgerliche» Rezeption blendet das organisierte politische Engagement Vogelers aus, den Kommunisten wiederum war er zu «versponnen».

Vogelers Leben birgt auch einen Aspekt von Tragik und umfasst in den letzten 30 Jahren privates und politisches Scheitern und auch Niederlagen: Schon früh scheitert der Barkenhoff als Knoten eines kulturellen Netzwerkes, dann die erste Ehe, der Barkenhoff als Arbeitskommune, schließlich die zweite Ehe.

Vogeler arbeitet aber immer weiter, er erfindet sich wiederholt neu. Sein Leben und seine Ideen stellen - auch heute noch - Fragen zu den Möglichkeiten einer alternativen, solidarischen Ökonomie, nach einer alternativen Pädagogik, nach unserem Verständnis von Kunst, zur Verantwortung und zum Selbstverständnis von Kunstschaffenden. Sie verweisen auf die schmerzliche Abwesenheit von Kunst und Ästhetik in der heutigen emanzipatorischen Politik.


Der Museumsverbund Worpswede zeigt noch bis 6. November die Jubiläumsausstellung «Heinrich Vogeler. Der Neue Mensch» an seinen vier Standorten. Im Kino angelaufen ist die Doku-Fiktion «Aus dem Leben eines Träumers». Website: vogeler22.de.

Sehr umfangreich und nützlich ist die Website der 1975 gegründeten Heinrich-Vogeler-Gesellschaft, dort auch eine Bibliografie.

Zum Weiterlesen

Heinrich Vogeler: Künstler - Träumer - Visionär(herausgegeben von Beate C. Arnold / Sabine Schlenker), München 2022 [das offizielle Buch der Worpsweder Museen in Neuauflage]

Heinrich Vogeler. Schriften (herausgegeben von Walter Fähnders/Helga Karrenbock), Bielefeld 2022

Siegfried Bresler: Auf den Spuren von Heinrich Vogeler, Bremen 2019

Heinrich Vogeler: Werden. Erinnerungen mit Lebenszeugnissen aus den Jahren 1923-1942 (herausgegeben von Manfred Bruhn), Fischerhude 2018 [Autobiographie]

Walter Fähnders: Ein Liebling der Bourgeoisie im Klassenkampf. Zum 140. Geburtstag und 70. Todestag des Avantgardisten Heinrich Vogeler; literaturkritik.de, Juli 2012 (Zugriff 12.6.2022)