Nachricht | Rosa-Luxemburg-Stiftung Aufbruch im zweiten Anlauf

Im November 1990 gründet sich der PDS-nahe Stiftungsverein in Berlin. Episode 1 von Jochen Weichold

Es ist ein trüber Herbsttag. Am 16. November treffen sich einige festlich gekleidete Damen und Herren im ehemaligen Kollegiumssaal der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in der Johannes-Dieckmann-Straße, der heutigen Taubenstraße, in Berlins Mitte.

Ihr Ziel ist nichts Geringeres als die Schaffung einer politischen Stiftung, die auf Augenhöhe mit der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD agieren sollte. Nur einer der Teilnehmer des Treffens hat Anderes im Sinn: Ihm schwebt eine große Kulturstiftung vor, deren Kapital aus den SED-Millionen sprudeln soll, auf die jedoch bereits die Treuhand ihre Hand gelegt hat.

Ein halbes Jahr zuvor ließen Teilnehmer der Runde noch nach DDR-Recht eine Vereinigung mit dem Namen «Gesellschaftsanalyse» unter der laufenden Nummer 906 ins Vereinigungsregister des Stadtbezirksgerichtes Berlin-Mitte eintragen. Mit der Gründung dieser Vereinigung verband sich ursprünglich die Absicht, ein Gremium zu bilden, welches die Arbeit einer der PDS nahestehenden Forschungseinrichtung ermöglichen sollte. Es galt, die Umbrüche und Transformationsprozesse in der DDR und in den anderen Ländern Osteuropas durch sozialwissenschaftliche Forschung zu begleiten, zu analysieren, Alternativen aufzuspüren und in politische Entscheidungen einzubringen.

Als man sich Ende Oktober zur ersten ordentlichen Mitgliederversammlung traf, hatten sich die Rahmenbedingungen aufgrund der deutschen Einheit wesentlich verändert. Einerseits war die PDS nicht mehr in der Lage, ihre Forschungseinrichtungen zu finanzieren. Andererseits ergab sich aus der neuen Rechtslage nach dem 3. Oktober die Möglichkeit, die eingetragene Vereinigung zum Ausgangspunkt zu machen für eine PDS-nahe politische Stiftung, deren Finanzierung dann – so die Hoffnung – etwa ab Mitte 1992 aus öffentlichen Mitteln erfolgen könnte. Um diese Chance zu ergreifen, war jedoch eine umfangreiche Satzungsänderung erforderlich: Zum einen mussten Charakter und Zweck der Vereinigung neu definiert und zum anderen die Aktivitäten der Vereinigung hinsichtlich der politischen Bildungsarbeit, der Begegnung und des Dialogs zwischen Menschen unterschiedlicher politischer Auffassungen und der Geschichtsaufarbeitung erweitert werden. Die anwesenden Mitglieder sprachen sich zwar für diesen Weg aus, doch eine Satzungsänderung scheiterte daran, dass die dafür erforderliche Anwesenheit von zwei Dritteln der Mitglieder nicht gegeben war.

Erst die Wiederholungsversammlung am 16. November macht den Weg frei. Sie beschließt die erforderlichen Satzungsänderungen und beauftragt den neu gewählten Vorstand, beim Parteivorstand der PDS den Antrag zu stellen, den nunmehr «Gesellschaftsanalyse und politische Bildung» genannten Verein als parteinahe Stiftung anzuerkennen. Das geschieht noch im selben Jahr, 1996 beschließt auch ein Parteitag die Anerkennung. Dass es rund ein Jahrzehnt dauern würde, bis der erste Zuwendungsbescheid über Globalmittel aus dem Bundesinnenministerium eingehen würde, ahnte wohl kaum einer der damaligen Protagonisten.

JOCHEN WEICHOLD IST LEITER DES BEREICHS ARCHIV UND BIBLIOTHEK DER ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG