Nachricht | Rosa-Luxemburg-Stiftung Umringte RednerInnen

Zur ersten Konferenz kommen 800 Leute - der Saal ist rappelvoll. Episode 3 von Dieter Schlönvoigt.

«Abschluss, Stimmungsbild, Dank, Aufräumen» – diese Notizen hält Geschäftsführerin Evelin Wittich auf dem Programmflyer der ersten Konferenz des Vereins «Gesellschaftsanalyse und politische Bildung» vom 3. bis 5. Oktober fest.

«Hinterm Horizont geht’s weiter» – die Textzeile von Udo Lindenberg als Leitthema ist trotzig und widerständig. In einer Zeit der Resignation und Zerstörung von Biografien soll ein Neuanfang gewagt werden. Beim Eröffnungsforum im Haus am Köllnischen Park diskutieren Carola Freundel, Jutta Ditfurth, Gregor Gysi, André Brie und Evelin Wittich zum Thema «Wer nicht weiß woher er kommt, kann nirgendwo hin». Es moderierte Michael Schmidt, heute Redakteur beim NDR. Der Saal 3 der Ex-Parteihochschule fasst normaler Weise 400 Leute. Gekommen sind doppelt so viele. Manche ZuhörerInnen finden nur Platz hinter dem Podium und bilden fast einen Kreis um die RednerInnen. Es gibt Werkstätten zu Geschichte und Zukunft und viel Kultur: Brechts Lehrstück «Die Ausnahme und die Regel» sowie einen Abend mit den Liedermachern Reinhold Andert und Wenzel/Mensching. Mit einer Diskussion über den Zusammenhang von Kultur, Kunst und politischer Bildung klingt die Konferenz aus.

Linker Politik und Bildung wollte der Stiftungsverein auf die Sprünge helfen, ihnen neues Leben einhauchen und den Menschen Mut machen – seinen Mitgliedern natürlich auch.Denn die Zeit ist nicht gerade mit ihnen. Ende August gab es das erste Seminar «Demokratie ohne Chance? – Die Weimarer Republik» mit 24 TeilnehmerInnen. Ein Gutachter der Bundeszentrale für politische Bildung prüfte persönlich die pädagogische und methodische Qualität. Die Hoffnung: Sein Gutachten werde den Weg in den erlauchten Förderkreis der Bundeszentrale bereiten. Der damalige Innenminister aber war anderer Ansicht. Selbst eine Klage beim Verwaltungsgericht in Köln half nicht. Als feststand, dass das Gericht für den Verein entscheiden würde, verzichteten alle anderen parteinahen Stiftungen auf den Fördertopf der Bundeszentrale. Die Klage war hinfällig.
Der Verein hatte beim Arbeitsamt zwei ABM-Maßnahmen beantragt: «Begegnungs-, Beratungs- und Informationszentrum für arbeitslose Geistes- und Sozialwissenschaftler» und das Projekt «Konsequenzen der Einwanderungsbewegung aus Osteuropa für Deutschland». Beide sollten am 1. September beginnen. Laufzeit: zwei Jahre. Nötig war allerdings der Nachweis von Arbeitsplätzen. Zwei Räume im Urania-Haus in der Littenstraße in Berlin-Mitte wurden gemietet.Zunächst fehlte dafür das Geld. Aus der misslichen Lage befreite André Brie den Verein: Er kaufte ihm eine Studie zur politischen Bildungsarbeit der parteinahen Stiftungen in der Bundesrepublik ab. Noch im August war Einzug in der Littenstraße. Erster Einrichtungsgegenstand in den zunächst tristen Räumen: Ein roter Teppich, den wir in einem Wartburg aus dem «Großen Haus» – dem ehemaligen Zentralkomitee der SED – in die Littenstraße transportierten. Der Verein war nun Arbeitgeber mit elf Angestellten.

Nach dem Einzug hieß es: Ein Knaller muss her, der die Aufmerksamkeit auf den Verein lenkt. Die Stimmung für politische Bildungsarbeit aber war schlecht. Auch in der Vorstandsetage der PDS wurde das Vereinskonzept keineswegs durchweg begrüßt. Wie auch? Die bundesdeutschen Traditionen auf diesem Gebiet und methodisch didaktische Entwicklungen kannten nur Wenige. Und: Die Auflagen des Arbeitsamtes für Buchhaltung, Finanzen, Evaluation, Abrechnung waren hart. Nur wenige Vereinsmitglieder hatten wirklich Ahnung davon. Lernen, lernen und nochmals lernen war die alltägliche Praxis der ersten Jahre.Rückblickend ist betriebswirtschaftliche Pionierarbeit zur Entwicklung einer linken politischen Stiftung im Osten geleistet worden.

DIETER SCHLÖNVOIGT IST STELLVERTRETENDER DIREKTOR DER AKADEMIE FÜR POLITISCHE BILDUNG DER ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG