In Anwesenheit von 50 Teilnehmenden fand am 30. April der diesjährige Potsdamer Außenpolitische Dialog unter dem Titel „Zeitenwende? – Der Ukraine-Krieg und die deutsche Außenpolitik“ im AWO-Kulturhaus in Babelsberg statt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und WeltTrends hatten zu Vorträgen und Debatten rund um die außen-, geo- und sicherheitspolitischen Folgen des Krieges Russlands gegen die Ukraine eingeladen.
In seiner Eröffnung zeigte Raimund Krämer (Chefredakteur des außenpolitischen Journals WeltTrends) die Tragweite und verschiedenen Aspekte des Themas auf und verwies auf die Bedeutung von Diskussionsräumen, um die Meinungsbildung zu fördern und Orientierung zu schaffen.
Im ersten Panel ging es um die geopolitischen Ursachen und Auswirkungen des Krieges. Lutz Kleinwächter (Vorsitzender von WeltTrends e.V.) resümierte in seinem Vortrag die NATO-Russland-Beziehungen der letzten 20 Jahre. Mindestens dieser Zeitraum müsse für die Betrachtung herangezogen werden, um die jetzige Eskalation zu erklären. Da die Interessen der EU nicht mit denen der USA identisch seien, plädierte er für eine stärkere Unabhängigkeit der EU von Ost- und Westeinflüssen, um EU-spezifische Interessen vertreten zu können.
Ingar Solty (Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Friedens- und Sicherheitspolitik) ging zunächst auf die von Russland genannten Kriegsgründe ein, die sich für ihn in eine Reihe mit anderen fadenscheinigen Gründen für vergangene Angriffskriege einreihen. Er machte deutlich, dass Russland unter fadenscheinigen Gründen einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führe. Wenn es allerdings zuvor bereits eine Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands gegeben hätte, wäre es vermutlich zu diesem Krieg nicht gekommen. Er zeigte Szenarien einer drohenden Eskalation auf. Zu befürchten sei ein Erschöpfungskrieg mit einem Ermattungsende und unglaublich vielen Opfern, wenn nicht bald verhandelt würde.
Im zweiten Panel stand die Frage außenpolitischer Strategien und Alternativen im Mittelpunkt. Hubert Thielicke (Pressesprecher von WeltTrends) nahm die durch den Ukraine-Krieg erneut voranschreitende Aufrüstung und Militarisierung in den Blick. Deutschland habe inzwischen das Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro eingerichtet, die 2%-Vorgabe der NATO stehe nicht mehr in Frage, auch die atomare Bewaffnung in Form der Anschaffung von kernwaffentragfähigen Flugzeugen sei keine Diskussion mehr. Damit seien in Bezug auf viele vor kurzem noch strittige Vorhaben inzwischen Tatsachen geschaffen worden. Instrumente der Rüstungskontrolle seien derzeit rückläufig, wenn man z.B. an den Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag und dem INF-Abrüstungsvertrag erinnere. Ein Instrument könnte noch die Überprüfungskonferenz zum Kernwaffensperrvertrag sein, die alle fünf Jahre stattfindet und für dieses Jahr August geplant ist.
Alexander Neu (ehem. MdB und Obman der Fraktion DIE LINKE. im Verteidigungsausschuss) wies in seinem Vortrag darauf hin, dass das Völkerrecht als konsensuales Recht nur funktioniere, wenn sich alle daran hielten. Die Missachtung des Völkerrechts von verschiedenen Seiten (z.B. im Jugoslawienkrieg und auch beim Angriff Russlands auf die Ukraine) dürfe nicht dazu führen, dass das Völkerrecht durch eine „regelbasierte Ordnung“ ersetzt werde, in der der Westen allein die Regeln diktiere. Er kritisierte die historische Dekontextualisierung des Krieges und damit die fehlende Reflexion der Entwicklung bis zur aktuellen Eskalation. Der russische Angriffskrieg folge zwar nicht notwendig aus dieser Eskalation und sei eine imperial-motivierte Entscheidung Russlands gewesen, allerdings seien frühere Versuche der Verständigung mit Russland, um einer Eskalation entgegenzuwirken, dadurch nicht falsch gewesen. Er betonte eindringlich die Notwendigkeit einer linken Friedenspolitik.
Gerry Woop (Staatssekretär für Europa im Berliner Senat) verteidigte in seinem Beitrag eine gemäßigte Aufrüstung sowie die militärische Unterstützung der Ukraine: Die Aufrüstung der Bundeswehr sei in Maßen notwendig, um verteidigungsfähig zu bleiben. Die Ukraine habe um Unterstützung bei der Selbstverteidigung gebeten. Diese sei schwer zu verwehren. Sanktionen seien notwendig, um Russland für den Völkerrechtsbruch zu betrafen. Sanktionen und militärische Maßnahmen stünden in einem Verhältnis zueinander: Wenn man nicht noch stärker militärisch vorgehen wolle, seien härtete Sanktionen nötig. Mit dieser Position wurde eine kontroverse Debatte eröffnet.
Die Debatte war von kenntnisreichen Beiträgen der Teilnehmenden, Kontroversität und einem produktiven Meinungsaustausch geprägt. Es wurde deutlich, wie wichtig im Meinungsbildungsprozess eine gemeinsame Diskussion und Reflexion friedenspolitischer Grundsätze und Perspektiven sein kann, insbesondere in Zeiten des Krieges, in denen bekanntlich die Wahrheit zu erst stirbt.
Die Beiträge der Tagung sind als Broschüre erschienen.