Für indigene Gemeinschaften ist Naturschutz Alltag – auch ohne Naturschutzgebiete und ihre koloniale Logik.
Indigene Gemeinschaften hüten den Großteil der Biodiversität auf unserer Welt, doch moderne Formen des Naturschutzes schaden eben diesen Communities oft. Wie können ihre Rechte geschützt, ihr Beitrag und ihre Pionierarbeit im Naturschutz gewürdigt werden? Im Vorfeld der Weltbiodiversitätskonferenz, die im Dezember im kanadischen Montréal stattfindet, spricht Carola Rackete mit Ameyali Ramos vom ICCA-Konsortium, einem Zusammenschluss mehrerer indigener und lokaler Communitys, die ihre Gebiete selbst verwalten, über Alternativen des Naturschutzes.
Nach mehreren Verschiebungen soll die 15. Vertragsstaatenkonferenz zum UN-Übereinkommen über biologische Vielfalt (im Folgenden: Weltbiodiversitätskonferenz) schließlich in Montréal, Kanada, stattfinden. Ein wichtiger Termin, bei dem ein Zehnjahresplan zum Schutz der Biodiversität für die Zeit nach 2020, oft auch «Post-2020-Framework» genannt, erarbeitet werden soll, der den Grundstein für zukünftige Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität legen wird. In den vergangenen Jahren sind einige der derzeitigen Formen der Schutzmaßnahmen in die Kritik geraten: Studien belegen die negativen Auswirkungen von Schutzprojekten wie Nationalparks auf lokale und indigene Communitys, die dort oder in der Nähe leben – obwohl nachgewiesen wurde, dass sich 80 Prozent der weltweiten Biodiversität auf dem Land indigener Communitys befinden. Aber es gibt auch andere Ansätze zur Erhaltung der Artenvielfalt, etwa in den Gebieten, die von den Communitys selbst verwaltet und geschützt werden. Carola Rackete, die selbst zu Formen gerechten Naturschutzes arbeitet, hat mit Ameyali Ramos vom ICCA-Konsortium über ihre Erfahrungen und ihre Erwartungen an die Konferenz im Dezember gesprochen.
Ameyali Ramos ist die Koordinatorin für Internationale Politik des ICCA-Konsortiums und nimmt in dieser Funktion an der Weltbiodiversitätskonferenz teil.
Carola: Ameyali, du hast schon in den vergangenen Jahren für das ICCA an den Weltbiodiversitätskonferenzen teilgenommen. Wie können sich indigene Gruppen bei einer Konferenz wie der kommenden in Montréal einbringen?
Ameyali: Indigene Communitys haben zahlreiche Möglichkeiten, sich an der Konferenz zu beteiligen. Auf internationaler Ebene können sich indigene Organisationen um einen Beobachtungsstatus bewerben. Oder sie können über eine der vier größten Interessensverbände teilnehmen: das Internationale Indigene Forum zur biologischen Vielfalt (International Indigenous Forum on Biodiversity, IIFB), die CBD Alliance, das Jugendnetzwerk Global Youth Biodiversity Network oder das CBD Women’s Network (Convention of Biological Diversity, CBD). Auf nationaler Ebene können sie direkt mit Regierungsvertreter*innen in Kontakt treten, Teil der Regierungsdelegationen sein und/oder an Planungstreffen teilnehmen. Zudem organisieren die vier größten Interessensverbände regionale Treffen, an denen sie sich beteiligen können. Wir, das ICCA-Konsortium und seine Mitglieder, haben Beobachtungsstatus und nehmen über die Interessensverbände teil. Außerdem haben wir ein sehr aktives Netzwerk an Mitgliedern, die in die Abläufe der Konferenz und damit zusammenhängende einzelstaatliche, rechtliche und politische Prozesse auf nationaler und subnationaler Ebene involviert sind. Als Teil des Teams für internationale Politik unterstütze ich unsere Mitglieder dabei und bleibe mit ihnen in Kontakt, damit ihre Forderungen Gehör finden.
Die indigenen Communitys werden also stark in die Weltbiodiversitätskonferenz eingebunden; dennoch gibt es auch Hürden. Was ist notwendig, um die tatsächliche Beteiligung zu verbessern?
Viele Probleme und Herausforderungen, denen wir uns zurzeit stellen müssen, hängen mit der Hilfe zur Selbsthilfe und dem Verständnis des komplizierten Instruments zusammen, das die Weltbiodiversitätskonferenz darstellt. Ideal wäre, wenn wir in wirkungsvolle Programme zum gegenseitigen Lernen und Austausch investieren würden, die die junge Generation der indigenen und lokalen Communitys (Indigenous People and Local Communities, IPLC) in den Prozess integrieren. Die Vorbereitungen für die Konferenz kosten sehr viel Zeit, und das ist für die von uns vertretenen Gruppen eine große Herausforderung, da sie oft stark in die Arbeit auf ihrem Land und in ihren Gebieten eingebunden sind. Die Teilnahme an der sehr abstrakten internationalen Politik ist kompliziert und setzt Ressourcen, Zeit, Geld, Fachkompetenzen und technische Fähigkeiten voraus. Leider ist es für indigene und lokale Communitys oft nicht möglich, sich in einem ausreichenden Ausmaß an dem Prozess zu beteiligen.
In der Vergangenheit gab es oft Konflikte zwischen Naturschutzmaßnahmen und dem Landrecht der indigenen und lokalen Communitys. Wie kann die Weltbiodiversitätskonferenz in diesem Punkt zu einem positiven Ergebnis für die betroffenen Gruppen führen?
Eines der besten Ergebnisse des Post-2020-Frameworks wäre eine angemessene Anerkennung der überdurchschnittlichen Rolle, die indige und lokale Communitys im Naturschutz spielen. Bei den diesjährigen Verhandlungen in Genf zeichnete sich ein wachsendes Interesse an der wichtigen Rolle dieser Gruppen ab; sie wurden sichtbarer. Doch der Post-2020-Framework müsste auch klar und deutlich formulieren, wie die indigenen und lokalen Communitys konkret politisch, rechtlich, technisch und finanziell unterstützt werden sollen. Ein anderes sehr positives Ergebnis der Verhandlungen wäre die explizite Anerkennung der Menschenrechte und der damit verbundenen Rechte (Besitz, Zugang usw.), sowie der dafür notwendigen Schutzmaßnahmen und Rechenschaftsmechanismen. Auch in dieser Hinsicht gab es in Genf Fortschritte, aber noch steht ein Großteil der betreffenden Textstellen in Klammern – das bedeutet, dass es noch keine Einigung gab und einige Punkte weiter diskutiert werden müssen. Meiner Meinung nach ist es also auch eine wichtige Gelegenheit, um spezifische Formulierungen aufzunehmen, doch dafür braucht es auch viel Lobbyarbeit bei wohlgesinnten Vertragsparteien und anderen Interessenvertreter*innen.
Das ICCA-Konsortium (Indigenous Peoples’ and Community Conserved Areas and Territories, ICCA) ist eine gemeinnützige Vereinigung, die sich für die Stärkung der Selbstverwaltung der angestammten Territorien indigener und lokaler Communitys (ICCAs, die sogenannten «Territorien des Lebens») einsetzt. Das Netzwerk zählt fast 200 Mitglieder (indigene oder in lokalen Communitys verankerte Organisationen, Verbände und Bewegungen sowie die sie unterstützenden zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerke) und über 450 Ehrenmitglieder (engagierte Personen mit besonderer Sachkenntnis und Erfahrung) in über 90 Ländern. 2021 veröffentlichte das ICCA einen Bericht mit Fallstudien über gelungene Selbstverwaltung in 17 Gebieten in verschiedenen Teilen der Welt.
Die öffentliche Debatte konzentriert sich oft auf Ziel 3 des geplanten Post-2020-Frameworks, bis 2030 fast ein Drittel der Erdoberfläche unter Naturschutz zu stellen. Dieses Modell wird auch 30x30 (dreißig mal dreißig: 30 Prozent bis 2030) genannt. Es wurde vom WWF und Wissenschaftler*innen des globalen Nordens entwickelt. Wie steht das ICCA-Konsortium dazu?
Selbst unter unseren Mitgliedern gibt es unterschiedliche Meinungen zu Ziel 3. Als Konsortium betonen wir aber stets, dass das 30x30-Ziel nur eines von 21 Zielen des Frameworks ist und eine einzige Maßnahme wie Ziel 3 nicht ausreicht, um die globale Umweltkrise zu bewältigen. Wenn wir nicht die tatsächlichen Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt angehen, bleibt eine Maßnahme wie Ziel 3 völlig wirkungslos. Wir brauchen eine grundlegende Transformation des ganzen Systems. Dafür müssen wir auch die politischen und alle anderen Machtstrukturen verändern, die der globalen Krise und der Mainstream-Naturschutzindustrie zugrunde liegen. Wir sollten uns nicht auf ein solches Ziel fokussieren, sondern vielmehr darauf, alle Gebiete und Ressourcen zu 100 Prozent nachhaltig zu bewirtschaften. Nur 30 Prozent der Erdoberfläche durch Schutzgebiete zu bewahren, reicht allein nicht aus, um die ökologischen Herausforderungen zu meistern.
Einige Communitys befürchten, dass Ziel 3 zu einem umfassenden Landraub durch die Naturschutzindustrie führen könnte.
Innerhalb des Konsortiums sind wir der Meinung, dass Ziel 3 zu einer besseren Anerkennung und Unterstützung der kollektiven Rechte, Rollen und Verantwortlichkeiten der indigenen und lokalen Communitys führen könnte – aber es könnte auch Gefahren, Missstände und Ungerechtigkeiten verschärfen. Ob die Risiken vermieden und die Chancen genutzt werden, hängt davon ab, wer die Rechte, die Visionen und Verwaltungsmechanismen für die Ausweitung und Bestimmung des gebietsbezogenen Naturschutzes festlegt. Ungeachtet vom endgültigen Wortlaut des Frameworks sollte die Umsetzung von Ziel 3 auch die Rechte und die selbstbestimmten Ziele der indigenen und lokalen Gemeinschaften angemessen berücksichtigen und diese ebenfalls durch zusätzliche politische, rechtliche, technische und finanzielle Unterstützung stärken. Was auch wichtig ist: In seiner aktuellen Ausgestaltung sieht Ziel 3 sowohl Schutzgebiete als auch andere wirksame Erhaltungsmaßnahmen (Other Effective area-based Conservation Measure, OECM), die sich auf bestimmte Gebiete beziehen, vor. OECM ist ein relativ neuer Begriff, und es gibt erst wenige konkrete Pläne, wie diese Schutzform in den nationalen Gesetzgebungen implementiert werden soll. Nach der Definition 14/8 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt könnten sie eine Chance für die indigenen und lokalen Gemeinschaften sein. Doch zuerst muss die Naturschutz-Community anerkennen, dass der Naturschutz auf dem Land und in den Gebieten dieser Gemeinscahften funktioniert. Naturschutz ist hier Alltag – auch ohne Naturschutzgebiete oder OECMs und ihre koloniale Logik. In unserem jüngsten Bericht zu Territorien des Lebens zeigen wir ein paar außerordentliche Beispiele für gelungene Schutzmaßnahmen durch indigene und lokale Communitys. Statt nur neue Schutzgebiete zu planen, sollten wir ähnliche gelungene und nachhaltige Territorien des Lebens noch stärker fördern.
Inwiefern gleichen diese selbstverwalteten Projekte den OECMs, den anderen Formen des gebietsbezogenen Naturschutzes, von denen du eben gesprochen hast?
Schutzgebiete sind dem Schutz der biologischen Vielfalt gewidmete Gebiete. OECMs sind Gebiete, die das längerfristige Ziel des Erhalts der Artenvielfalt garantieren, ohne dass sie als Naturschutzgebiete ausgewiesen oder anerkannt werden müssen. In einer OECM muss der Naturschutz nicht zwangsläufig ein Hauptziel der Regionalverwaltung sein. 2018 definierte die Weltbiodiversitätskonferenz erstmals OECMs, aber erst letztes Jahr wurden Methoden zu ihrer Identifizierung entwickelt. Aktuell gibt es weltweit 833 OECMs, von denen sich über die Hälfte in Marokko befinden. Und nicht ein einziges dieser Gebiete wird von indigenen oder lokalen Communitys verwaltet. Also gibt es nur wenige Informationen dazu, ob die OECMs für indigene und lokale Communitysnützlich oder sinnvoll sind. Wir haben einige der möglichen Herausforderungen und Chancen in einem Paper für die Local Biodiversity Outlooks über indigene Gemeinschaften, lokale Communitys und gebietsbezogene Naturschutzmaßnahmen untersucht. Ein Großteil der nationalen Gesetze über OECMs wird in den kommenden Jahren verabschiedet werden – es ist wichtig, die indigenen Communitys an den Verhandlungen zu beteiligen.
Weil ihr befürchtet, dass sonst bestehende Maßnahmen fortgesetzt werden, die den indigenen und lokalen Communitys schaden?
Sowohl Schutzgebiete als auch OECMs sind stark kolonial geprägte Institutionen, die Wissenschaftler*innen und die Mainstream-Naturschutzindustrie entwickelt haben. Keine von beiden bezieht die vielfältigen Beiträge der indigenen und lokalen Communitys zum Erhalt der Natur mit ein. Doch in Ziel 3 gibt es zurzeit nur diese zwei Strukturen zum Naturschutz – Schutzgebiete und OECMs – und keine Möglichkeit, um andere Naturschutzmaßnahmen anzuerkennen. Dafür setzen wir uns ein: für die Anerkennung der Selbstbestimmung der Indigenen über ihr Land – unter ihren eigenen Bedingungen, mit ihren eigenen Rechten und mit ihren eigenen Worten.
Seid Ihr diesem Ziel bei den diesjährigen Verhandlungen nähergekommen?
Ein großer Sieg in Genf war für mich, dass in Ziel 3 nun von fairen Formen der Verwaltung die Rede ist: Meiner Meinung nach eine wichtige Garantie dafür, dass Ziel 3 nicht zu Missbrauch und Ungerechtigkeiten führen wird, wie es sie in der Vergangenheit gegeben hat. Dennoch gibt es noch keine eindeutigen Formulierungen zu den Rechten der Gemeinschaften, oder der freien, vorherigen und informierten Zustimmung der indigenen Communitys, oder zur Rolle der indigenen Territorien und Gebiete. Das sind Warnzeichen, die uns Sorgen machen.
Der Text ist jedoch nur ein Teil des Problems. Die Umsetzung ist der andere.
Aus den Aichi-Zielen von 2010 haben wir gelernt, dass Ziele zwar klar formuliert sein können, sich die Umsetzung aber völlig anders gestalten kann. Was wir im letzten Jahrzehnt gesehen haben und noch immer sehen, ist, dass die Naturschutzindustrie indigene und lokale Communitys noch nicht ausreichend strukturell unterstützt. Wir sehen eine große Anzahl von Menschenrechtsverletzungen und dass zahlreiche große internationale NGOs die führende Rolle im Naturschutz übernehmen – selbst wenn im Endeffekt die Communitys vor Ort die eigentliche Arbeit machen.
Welche Ursachen gibt es dafür?
Oft werden die Menschen vor Ort nicht darin bestärkt, Führungspositionen einzunehmen und Entscheidungen entlang ihrer eigenen Interessen, unter eigener Verwaltung und gemäß ihren Bedürfnissen zu treffen. Um indigenen Communitys wirklich ausreichende Mittel hierfür an die Hand zu geben, müssen wir ihnen die nötigen Rechte gewähren, um für ihre eigenen Prioritäten einzutreten, und sie mit angemessenen technischen und finanziellen Ressourcen ausstatten, um diese Arbeit zu leisten. Außerdem interpretiert jedes Land die Möglichkeiten der Umsetzung der Ziele anders, sodass oft der Beitrag der indigenen Communitys komplett übergangen wird. Das Problem der Umsetzung geht über die endgültige Fassung des Frameworks hinaus. Es geht dabei auch um einen Systemwandel in der Naturschutzindustrie.
Wie könnten wir die Machtverhältnisse zwischen indigenen Communitys und den großen internationalen NGOs, die den Bereich des Naturschutzes dominieren, verändern?
Ich glaube, dass es innerhalb der großen internationalen NGOs, der sogenannten BINGOs (Big International NGOs), bereits ein wachsendes Bewusstsein dafür gibt, dass sie ihre Arbeitsweise verändern müssen. Gleichzeitig ist es unerlässlich, dass die Zivilgesellschaft an diese NGOs die gleichen Transparenz- und Rechenschaftsmaßstäbe anlegt wie an multinationale Konzerne. Wenn ein Unternehmen wie Shell oder irgendein anderer Konzern Naturschutzmaßnahmen umsetzen wollen würde, gäbe es Umweltschutzrichtlinien und eine klare Liste mit Rechenschafts- und Transparenzmechanismen, mit denen sie zur Verantwortung gezogen werden könnten. Dasselbe sollte es für NGOs geben. Dazu braucht es nicht viel. Wir wissen bereits, wie wir große Unternehmen in die Pflicht nehmen und sollten dasselbe Modell auf NGOs anwenden. Leider dominieren diese großen NGOs die Naturschutzindustrie noch heute und bilden auf dem Gebiet ein Monopol, dabei sollten sie keineswegs zwischen der Unterstützung von außen und den Territorien vermitteln, auf denen indigene und lokalen Communitys leben. Im Post-2020-Framework und auch an anderen Stellen sollte es Priorität haben, dass auf lokaler Ebene eine Vielfalt an Institutionen und Initiativen unterstützt wird.
Viele Geldgeber*innen wollen keine Menschenrechtsverletzungen oder Landraub bei der Einrichtung von Schutzgebieten unterstützen. Wie könnten sie herausfinden, welche Projekte sie unterstützen können?
Wir brauchen eine grundlegende Veränderung in der Wahrnehmung der Beziehung zwischen Geldgeber*innen und lokalen und indigenen Gemeinschaften. Eine wachsende Community, insbesondere im Bereich der Finanzierung, die sich sozialer Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, pocht auf die Notwendigkeit von vertrauensbasierten Finanzbeziehungen. Aber zwischen denen, die tatsächlich Naturschutz vor Ort umsetzen, und denen, die das Geld haben, stehen zahllose Vermittlungsinstitutionen. Und diese Institutionen haben oft keine ausreichend engen Beziehungen zu den Menschen vor Ort, um sie zu unterstützen. Zugleich beanspruchen sie einen großen Anteil der finanziellen Ressourcen für sich, sodass nur ein kleiner Anteil der Finanzierung dort ankommt, wo Naturschutz betrieben wird. Das sind die strukturellen Probleme, die zeigen, dass es nicht ausreicht, sich aufgrund bestimmter Indikatoren oder Eigenschaften für ein Projekt zu entscheiden, das unterstützt werden könnte. Wir müssen die Geldflüsse und die Machtbeziehungen zwischen den Geldgeber*innen und den Naturschützer*innen verändern. Wir sollten uns auch von der Fokussierung auf Projekte entfernen. In dieser Arbeit sollte es vielmehr darum gehen, Communitys längerfristig zu begleiten und zu unterstützen – und sich auch gegenseitig zu unterstützen –, und darum, die Communitys vor Ort in ihrem selbststärkenden Prozess und bei der Erreichung ihrer selbstbestimmten Zielen und Pläne zu unterstützen. Zudem wäre es spannend, beim Umwelt- und Naturschutz stärker auf soziale Gerechtigkeit zu achten. Diese Beziehung ist noch immer sehr schwach, da sie noch ganz neu ist. Edge Funders, ein Zusammenschluss von Geldgeber*innen und Berater*innen, leistet in dem Bereich – der Neuplanung der Finanzierung unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit – spannende proaktive Arbeit. Und ich bin überzeugt, dass einige der Förder*innen von Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen viel von ihnen darüber lernen könnten, wie Projekte finanziert werden.
Und private Spenden?
Gegenwärtig werden private und wohltätige Spenden leider über große Zwischeninstanzen wie WWF, TNC oder Conservation International abgefangen. Sie erhalten all diese kleinen Spenden und finanzieren damit Projekte. Ich bin der Meinung, dass es eine bedeutende Veränderung für indigene und lokale Communitys bedeuten würde, wenn sie eine eigene Spendenplattform schaffen könnten. Allerdings würde das eine große Investition und eine gute Koordination zwischen den indigenen Gruppen erfordern. Die kurzfristige Alternative ist, Zwischeninstanzen zu finanzieren, die anders arbeiten. In Afrika gibt es eine Reihe Organisationen wie z. B. Maliasili, die interessante Naturschutzmaßnahmen umsetzen und direkt mit den Communitys zusammenarbeiten, auf der erwähnten Vertrauensbasis. Im Konsortium versuchen wir und unsere Mitglieder, Zwischeninstanzen ausfindig zu machen, die ähnliche, auf Vertrauen basierende Beziehungen zu unseren Mitgliedern vor Ort pflegen, und die längerfristige Investitionen tätigen wollen, damit Förder*innen statt NGOs diese Institutionen unterstützen können.
Abgesehen von der gegenwärtigen Diskussion über den Schutz von 30 Prozent der Erdfläche durch Ziel 3: Was muss in den restlichen 70 Prozent geschehen, damit sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Lebensformen wieder aufleben können?
Wir brauchen eine komplett neue Vorstellung von Naturschutz. Denn wir kommen an einen Punkt, in dem jede*r Einzelne von uns als indigene*r Bewohner*in dieses Planeten eine wirklich aktive Rolle beim Schutz, Fürsorge und Erhalt der Umwelt einnehmen muss. Wir müssen perverse Zuschüsse und Subventionen stoppen, die Ursachen des Verlusts der Biodiversität beseitigen – wie die Agrarindustrie oder den Bergbau – und die Finanzierung von umweltschädlichen Aktivitäten beenden. Wir müssen marktorientierte Initiativen beenden, bei denen Umweltverschmutzung gegen Entgelt akzeptiert wird. Die gesamte Kommodifizierung der Natur muss sich grundlegend verändern – und mit ihr die kapitalistische Wirtschaftsweise. Wir müssen überlegen, was wir als Einzelne tun können. Viele Menschen sagen, dass eine Einzelperson nichts bewirken kann. Das glaube ich nicht, denn viele der großen Bewegungen der letzten 50 Jahren wurden von Individuen in Gang gesetzt. Ich glaube, dass jede*r etwas zur globalen Dynamik der Veränderung beitragen kann. Wir haben alle die Macht dazu, wir müssen nur klarmachen, was jetzt zu tun ist.