Nachricht | Wie wirken Sanktionen?

Ein Überblick über Ziele und Formen von Sanktionen als Alternative zu Waffenlieferungen und Militäreinsätzen

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Jan van Aken,

Zwei junge Frauen halten ein Schild hoch, auf dem "Gasembargo" zu sehen ist.
Am 24.9.2022, dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, versammelten sich in München einige hundert Menschen, um für schwere Waffenlieferungen an die Ukraine und schärfere Sanktionen gegen Russland zu demonstrieren.  Foto: IMAGO/aal.photo

Die einen feiern sie als die Fortsetzung von Politik mit friedlichen Mitteln, die anderen lehnen sie als Wirtschaftskrieg ab. An der Frage von Sanktionen scheiden sich die Geister, auch und gerade jetzt, angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Ein Blick in die vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass es sehr unterschiedliche Erfahrungen mit den diversen Sanktionsformen gibt. Erfolg und Misserfolg von Sanktionen lassen sich nur schwer messen und hängen von einer Reihe von Faktoren ab. Dieser Beitrag liefert einen kurzen Überblick über Ziele, Formen und Bewertung von Sanktionen als mögliche Alternativen zu Waffenlieferungen und Militäreinsätzen.

Allgemeine und «gezielte» Sanktionen

Eine Definition des Begriffes «Sanktionen» findet sich in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahre 2019.

Grob wird zwischen allgemeinen Wirtschaftssanktionen und gezielten Sanktionen («smart sanctions») unterschieden, wobei das nicht immer so klar zu unterscheiden ist. Als klassisches Beispiel für allgemeine Sanktionen gilt die Resolution 661 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahre 1990, der damit ein komplettes Handelsembargo gegen den Irak unter Saddam Hussein verhängte. Die Folgen für die Zivilbevölkerung waren horrend; Schätzungen zufolge starben in den 1990er Jahren mindestens eine halbe Million Iraker*innen aufgrund der Sanktionen.

Aufgrund dieser verheerenden Erfahrung wurden in der Folge Konzepte für gezieltere Sanktionen entwickelt. «Gezielt» kann dabei entweder bestimmte Wirtschaftsbereiche oder bestimmte Personen oder Unternehmen meinen, zum Beispiel:

  • Waffenembargos, die klassische Form einer gezielten Sanktion, die darauf abzielt, die Kriegsfähigkeit des Ziellandes einzuschränken;
  • Personenbezogene Sanktionen gegen einzelne namentlich genannte Mitglieder oder Unterstützer*innen des Regimes, z.B. Reiseverbote oder das Einfrieren von Auslandsvermögen. Sie trafen in der Vergangenheit meist vor allem Individuen, die zum engsten Machtzirkel des betreffenden Regimes gehörten, einschließlich der finanziellen Machtelite. In Einzelfällen waren aber auch Individuen von strategischer Bedeutung betroffen, z.B. Ingenieur*innen oder Wissenschaftler*innen in einem Waffenprogramm.
  • Sanktionen gegen einen abgegrenzten Wirtschaftsbereich, der gezielt auf die politische und/oder ökonomische Machtbasis des Regimes gerichtet ist; ein Beispiel dafür wären die russischen Sanktionen gegen die Türkei im Jahre 2015, als Russland (unter anderem) alle Charterflüge in die Türkei verbot und damit sehr spezifisch den Tourismussektor in der Türkei traf – und damit sehr erfolgreich war.

Der Begriff der «gezielten Sanktionen» kann also durchaus breit verstanden werden und ist nicht nur auf einzelne Individuen beschränkt. Im März 2022 schlug zum Beispiel der französische Ökonom Thomas Piketty ein elegantes Konzept von breit gestreuten gezielten Sanktionen für den Ukraine-Krieg vor. Demnach sollten die rund 20.000 Multimillionär*innen Russlands auf eine Sanktionsliste gesetzt werden, da sie als Kern der russischen Wirtschaftselite ein zentraler Stützpfeiler der Putin-Regierung sind – und am ehesten von Sanktionen so schwer getroffen werden könnten, dass sie dem Kreml die Unterstützung entziehen.

Jan van Aken, promovierter Biologe, arbeitete als Gentechnikexperte für Greenpeace und von 2004 bis 2006 als Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen. Zwischen 2009 und 2017 war er Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag, heute Referent für internationale Krisen und Konflikte in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Theoretisch können gezielte Sanktionen also – bei kluger Auswahl der Zielgruppen und der jeweiligen Maßnahmen – zum gewünschten Ziel führen, ohne breite Teile der Bevölkerung in Armut zu stürzen. In der Realität sind allerdings auch bei sehr gezielten Sanktionen indirekte und unerwünschte Effekte nicht auszuschließen. So haben die erwähnten russischen Türkei-Sanktionen zum Beispiel möglicherweise für die Beschäftigten in der Tourismusbranche Arbeitslosigkeit, Verdienstausfall und damit Armut bedeutet. Auf der anderen Seite haben die Sanktionen jedoch innerhalb kürzester Zeit zur gewünschten Verhaltensänderung auf türkischer Seite geführt. Insofern waren sie recht erfolgreich, bei einem überschaubaren Risiko für die Breite der Bevölkerung.

Multilateral oder unilateral?

Der UN-Sicherheitsrat ist ermächtigt, bei «Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen» Sanktionen zu beschließen. Solche multilateralen Sanktionen hat der UN-Sicherheitsrat bereits rund 30 Mal beschlossen. Artikel 41 der UN-Charta lautet wörtlich:

«Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen – unter Ausschluss von Waffengewalt – zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen.»

Dem gegenüber stehen unilaterale Sanktionen, die nicht vom Sicherheitsrat beschlossen wurden bzw. über diese hinausgehen. Die EU zum Beispiel hat eine Vielzahl von Sanktionsregimes beschlossen, die nicht auf einem UN-Sicherheitsratsbeschluss basieren. Auch andere Ländergruppen (wie zum Beispiel der Boykott der Arabischen Liga gegenüber Israel) oder auch einzelne Staaten haben in der Vergangenheit so genannte unilaterale[1] Sanktionen beschlossen.

In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass UN-Sanktionen in der Regel immer deutlich später beschlossen werden als unilaterale, weil die UN-Diplomatie die verschiedenen Interessenslagen der einzelnen Mitgliedsländer berücksichtigen muss und dadurch alle Prozesse stark verlangsamt sind. Andererseits leiden die meisten unilateralen Sanktionen unter dem Problem, dass sie nur von einem Teil der Staaten mitgetragen werden und somit Umgehungsgeschäfte deutlich einfacher sind.

Ziele von Sanktionen

Die wohl größte Leerstelle in der Debatte um Sanktionen ist die Frage nach ihren Zielen – und zwar in doppelter Hinsicht:

  1. In Sanktionsbeschlüssen sind die Ziele bisweilen nur vage bis gar nicht konkretisiert, d.h. es bleibt bereits beim Beschluss über Sanktionen offen, was genau denn erreicht werden soll.
  2. Eine Bewertung von Sanktionsregimen – sowohl in der Politik als auch in der öffentlichen Debatte – erfolgt oft ohne eine differenzierte Sicht auf die tatsächlich intendierten Ziele. Oft wird ausschließlich auf den großen allgemeinen Kontext geschaut («das Militär greift weiter a; «die Sanktionen führen nicht zu einer Abwendung der Bevölkerung vom Regime»), ohne die konkreten Maßnahmen in Beziehung zu einem konkreten Ziel zu setzen.

In der linken politischen Debatte um Sanktionen wird überraschend oft davon ausgegangen, das zentrale Ziel von Sanktionen liege darin, eine gravierende wirtschaftliche Notsituation in einem Land zu schaffen, um so die Bevölkerung gegen das Regime aufzubringen und damit einen Politik- oder gar Regimewechsel einzuleiten. Ähnlich sind viele Diskussionen von der Vorstellung geleitet, Sanktionen müssten direkt die Kriegsfähigkeit des Ziellandes treffen, also z.B. die Rüstungsindustrie oder die Finanzierung des Militärs. Beides sind sehr verkürzte Sichtweisen auf die je unterschiedlichen Zielstellungen von Sanktionen in konkreten politischen Kontexten. In der Literatur werden sehr viele unterschiedliche (mögliche) Ziele von Sanktionen genannt:

  • das Verhalten des sanktionieren Staates verändern;
  • den Zugang zu kritischen Materialien (z.B. für Atomprogramme oder Waffen) behindern;
  • die militärischen Fähigkeiten eines Landes beeinträchtigen;
  • das Zielland stigmatisieren und politisch ächten, damit es nach einer Völker- oder Menschenrechtsverletzung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und sich leicht international rehabilitieren kann;
  • andere Staaten von ähnlichen Handlungen abschrecken;
  • das Zielland einfach nur bestrafen;
  • durch ökonomische Not die Breite der Bevölkerung des Ziellandes gegen das Regime mobilisieren;
  • Regimewechsel;
  • in der eigenen Öffentlichkeit Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit demonstrieren; nicht eine tatsächliche Veränderung im Zielland steht dabei im Vordergrund, sondern ausschließlich innenpolitische Ziele (oder die Simulierung von Handlungsfähigkeit) des sanktionierenden Landes.

Hier geht es nicht um die Frage, ob diese möglichen Ziele überhaupt politisch sinnvoll sind (einige sind es ganz sicher nicht), sondern darum, dass sich die Wirksamkeit von Sanktionen nur dann messen lässt, wenn es sehr klar definierte politische Ziele gibt, die allen Beteiligten klar sind. Dazu gehört auch eine klare Festlegung (und Kommunikation), dass die Sanktionen wieder aufgehoben werden, wenn diese Ziele erreicht sind.

Erfolg oder Misserfolg?

Bis heute gibt es auch in der wissenschaftlichen Literatur kein klares Bild davon, ob und wie Sanktionen wirken. Während lange Zeit die Überzeugung vorherrschte, dass Sanktionen wirkungslos sind, beschäftigt sich die Wissenschaft seit zwei bis drei Jahrzehnten zunehmend mit der Frage, unter welchen Bedingungen bestimmte Arten von Sanktionen wirken können, und unter welchen nicht.

Als Standardwerk für diese Frage gilt eine umfangreiche Studie von Hufbauer, Schott und Elliot («Economic Sanctions Reconsidered»), die in einer aktualisierten Form zuletzt 2009 veröffentlicht wurde. Sie haben insgesamt rund 200 Sanktionsfälle auf ihre Wirkung untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass in rund einem Drittel der Fälle die Sanktionen (in Bezug auf die angestrebten politischen Ziele) erfolgreich waren – wobei es natürlich in der wissenschaftlichen Literatur auch Kritik an ihrer Methodik und den Schlussfolgerungen gibt. Eine gute Zusammenfassung und kritische Diskussion der Hufbauer-Studie findet sich in einem Papier der SWP zu Sanktionen aus dem Jahre 2006.

Die erste Frage ist zunächst, wie «Erfolg» überhaupt definiert wird, denn Sanktionen wirken ja in mindestens zwei Stufen: Zunächst geht es um das Erreichen der konkreten (wirtschaftlichen) Ziele und danach um die damit beabsichtigte politische Veränderung. Es gibt in der Geschichte einige Fälle von Sanktionen, die zwar auf der ersten, wirtschaftlichen Ebene «erfolgreich» waren in dem Sinne, dass eine entsprechende messbare Wirkung erzielt wurde, also z.B. ein Einbruch der Wirtschaftsleistung oder eine wirtschaftliche Rezession im Zielland – jedoch keine Veränderung auf politischer Ebene.

Da es bei Sanktionsregimes immer um politische Ziele geht, sollten sie auch der einzige relevante Messpunkt für eine Bewertung von Erfolg oder Misserfolg sein. Die wirtschaftlichen Ziele sind nur Mittel zum Zweck.

Als zweiter Aspekt sollte bei der Bewertung von Sanktionserfolgen bedacht werden, dass alle Sanktionsregimes bereits eine Negativauswahl sind, denn in den «einfachen» Fällen wirkt bereits die Androhung von Sanktionen. Erst wenn die Drohung nicht fruchtet, kommt es tatsächlich zu einer Umsetzung – und das sind dann in der Regel Situationen, bei denen das Zielland eben nicht ganz so einfach zu einer bestimmten Handlungsweise bewegt werden kann. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass in empirischen Studien die «Erfolgsquoten» immer zu niedrig berechnet werden, da die einfachsten (und bereits mit einer Drohung erfolgreich abgeschlossenen) Fälle gar nicht mit erfasst werden.

Die dritte Frage bei der Bewertung von Erfolg oder Misserfolg liegt in der Komplexität der internationalen Beziehungen: Ist ein zu beobachtender Erfolg tatsächlich allein oder vor allem auf die Sanktionen zurückzuführen oder waren andere Faktoren dafür ausschlaggebend? Wäre das Land vielleicht sowieso in eine Rezession gerutscht? Inwieweit spielen Kriegsverlauf, andere diplomatische Initiativen oder globale Preisschwankungen bei Rohstoffen eine Rolle? Die verschiedenen Einflüsse auf bestimmte Wirtschaftsdaten oder politische Veränderungen lassen sich analytisch kaum voneinander trennen, eine eindeutige Zuordnung bestimmter politischer «Erfolge» auf konkrete Sanktionen ist deshalb nur selten möglich.

Insofern wird es immer schwer sein, den Erfolg von und damit auch die Erfolgskriterien für Sanktionen eindeutig zu bestimmen. Deshalb überrascht es auch nicht, dass in der wissenschaftlichen Literatur ein bunter Reigen an Erfolgskriterien genannt wird. Keines davon kann empirisch als klar und sicher «bewiesen» gelten, trotzdem seien hier einige aufgelistet, die häufiger genannt werden:[2]

  • Die Ziele müssen sehr klar formuliert sein, und sie sollten realistisch sein – je höher die Ziele gesteckt sind, desto schwieriger wird es, sie zu erreichen.
  • Es sollten klare Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen genannt werden – wenn das Zielland nicht sicher sagen kann, ob und welche Sanktionen nach bestimmten Zugeständnissen aufgehoben werden, dann wird es wenig Bereitschaft zur Veränderung im Zielland geben. 
  • Wirtschaftssanktionen sind deutlich wirkungsvoller, wenn es eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit dem Zielland gibt.
  • Nur wenn das Zielland überhaupt wirtschaftlich verwundbar ist bzw. sich bereits in einer schwierigen Lage befindet, können Sanktionen eine Wirkung entfalten.
  • Eine langsame, schrittweise Verschärfung von Sanktionen (wie im Beispiel der EU-Sanktionen gegen Russland seit 2014) ist wenig erfolgreich, weil das Zielland sich in Ruhe darauf vorbereiten kann. Schnelle und harte Sanktionen sind deutlich erfolgversprechender.
  • Eine Kombination von Sanktionen mit Anreizsystemen und diplomatischen Begleitmaßnahmen ist sinnvoll. Anreize meint hier nicht einfach nur eine Aufhebung der Sanktionen, sondern weitergehende Angebote. Für Individuen auf Sanktionslisten könnte es zum Beispiel Anreize geben, damit sie sich als Whistleblower gegen das eigene Regime stellen.
  • Der Erfolg von Sanktionen muss sich auf jeden Fall an zwei Kriterien messen lassen:
    • Wieviel «kosten» sie im Vergleich zu anderen Maßnahmen, sprich zu einer militärischen Intervention?
    • Wieviel kosten sie das sanktionierende Land, gemessen sowohl in Geld als auch in Zustimmung in der eigenen Bevölkerung?
  • UN-Sanktionen scheinen deutlich erfolgversprechender zu sein, wenn Regionalorganisationen (wie EU oder Afrikanische Union z.B.) in Design und Umsetzung von Sanktionen eingebunden werden, die ein Land in ihrer Region betreffen.
  • Es gibt Beispiele dafür, dass EU-Sanktionen eher dann wirken konnten, wenn Hilfslieferungen in das Zielland an der sanktionierten Regierung vorbei organisiert wurden. Meist werden Hilfslieferungen über das Regime abgewickelt, das dadurch gestärkt wird (weil es Gelder abzweigen kann, vor allem aber weil es in der Öffentlichkeit als Spender und Verteiler auftreten und sich somit Unterstützung in der Breite der Bevölkerung sichern kann).

Ungewollte Nebenwirkungen

In der Literatur gibt es viele Beispiele über «unintended consequences», also ungewollte Nebenwirkungen von Sanktionen. Sie sind zum Teil einer schlechten Implementierung geschuldet, zum Teil einer gezielten menschenverachtenden Politik der jeweiligen Machthaber in den Zielländern, zum Teil sind sie aber auch kaum zu vermeiden. Hier einige Beispiele:

  • Sanktionen können im schlimmsten Fall, wie zum Beispiel in Irak in den 1990er Jahren, zu einer humanitären Katastrophe im Zielland führen.
  • Sanktionen stärken in der Regel den Einfluss (und Reichtum) staatsnaher Unternehmer*innen und stabilisieren damit eher ein Regime.
  • Wenn die breite Bevölkerung betroffen ist – durch verschärfte Armut, Lebensmittelknappheit oder Inflation – führt das oft eher zu einer Solidarisierung mit dem Regime («wir gemeinsam gegen die da draußen»).
  • Nachbarstaaten werden unverhältnismäßig stark mitbetroffen, z.B. weil sie einen wichtigen Handelspartner verlieren.
  • Korruption steigt durch den erhöhten Bedarf an Umgehungsgeschäften, Schmuggel und Schwarzmarktverkäufen.

Eine sehr detaillierte Studie der Harvard University gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology aus dem Jahre 2016 über internationale Sanktionen gegen Nordkorea liefert einige interessante Ergebnisse. Die Sanktionen sollten eigentlich verhindern, dass Nordkorea Material zum Bau von Atomwaffen im Ausland kaufen kann. Tatsächlich haben sie aber zum Teil sogar einen gegenteiligen Effekt gehabt. Weil Nordkorea angesichts der Sanktionen bereit war, einen höheren Preis zu zahlen, haben sich größere und professionellere Händler für Umgehungsgeschäfte gefunden. Trotz der bisherigen eher kritischen Bestandsaufnahme geht die Studie davon aus, dass mit einer Verbesserung des Sanktionsregimes gegen Nordkorea das erklärte Ziel – Verhinderung des Baus weiterer Atomwaffen – erreicht werden könnte.

Zusammenfassung

Ein Überblick über die (wissenschaftliche) Literatur zum Thema Sanktionen lässt drei Schlussfolgerungen zu:

  • Sanktionen können scheitern, sie können aber auch tatsächlich politisch erfolgreich sein. Für beides gibt es konkrete Beispiele in der Geschichte.
  • Es ist völlig klar, dass Sanktionen – vor allem allgemeine Wirtschaftssanktionen – massive ungewollte Nebenwirkungen haben können, bis hin zu humanitären Katastrophen mit hunderttausenden Toten. Auch bei so genannten gezielten Sanktionen müssen ungewollte Nebenwirkungen mitbedacht werden.
  • Es gibt keine klar empirisch belegten Kriterien für Erfolg und Misserfolg von Sanktionen – die Literatur bzw. die Geschichte liefert Hinweise und Indizien, aber aufgrund der Komplexität der internationalen Beziehungen und aufgrund der oft schlecht definierten Sanktionsziele lässt sich hier nichts «beweisen». Künftige Diskussionen über Sinn und Unsinn bestimmter Sanktionen müssen sich daher wahrscheinlich eher an logischen Überlegungen orientieren, weil eindeutige wissenschaftliche Fakten fehlen.

Aufgrund der katastrophalen Erfahrungen mit den Irak-Sanktionen der 1990er Jahre werden heute vorwiegend so genannte gezielte Sanktionen verhängt. Damit diese allerdings überhaupt eine Chance auf Wirkung haben, braucht es eine deutlich bessere Analyse von internationalen Finanzströmen. Nur wenn wir an Steueroasen und Briefkastenfirmen herankommen, können Umgehungen von Sanktionen aufgedeckt und die Zielpersonen wirklich finanziell getroffen werden.

Am Ende bleibt die Frage, welche Alternative zu Sanktionen es bei drastischen Verletzungen von Völker- und Menschenrecht gibt. In der UN-Charta stehen die Sanktionen zu Beginn des Kapitel VII: Wenn alle Bemühungen um die «Friedliche Beilegung von Streitigkeiten» (wie Kapitel VI überschrieben ist) gescheitert sind, folgen die Zwangsmaßnahmen des Kapitel VII. Am Beginn stehen dort wirtschaftliche Sanktionen, danach kommen militärische Maßnahmen. Sanktionen scheinen das einzige Mittel zu sein, wenn die Diplomatie gescheitert ist, wenn Anreizsysteme nicht mehr wirken und wir trotzdem – aus guten Gründen – eine militärische Intervention ablehnen. Umso wichtiger ist eine Debatte darüber, wie und unter welchen Bedingungen solche Sanktionen möglichst zielgerichtet und ohne ungewollte Nebenwirkungen eingesetzt werden können.


[1] «Unilateral» ist hier als «einseitig» zu verstehen. Gemeint ist damit nicht die Maßnahme eines einzelnen Landes, sondern der Gegensatz zu «multilateral». Auch Sanktionen von mehreren Staaten oder sogar von Ländergruppen wie der EU gelten in dieser Debatte als «unilateral», weil sie einseitig von einem kleinen Teil der Staatengemeinschaft und nicht von allen gemeinsam beschlossen wurden.