Wie bereits mehrere Tagungen 2009 und 2010, stand auch diese Tagung ganz im Zeichen der Internationalen Dorfkonferenz, die am 13. und 14. Mai 2011 in Berlin stattfindet, veranstaltet von der Vereinigung der Dorfbewegungen in Europa (ERCA) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am Beginn berichtete der Koordinator der AG Lebendige Dörfer des Vereins Brandenburg 21, Wolf-Christian Schäfer, über die Ergebnisse des 4. Tages der Dörfer, der am 25. September in Petkus /Fläming stattfand. Er wurde von dem „Brandenburgischen Netzwerk für Lebendige Dörfer“ in Kooperation mit lokalen und regionalen Kräften gestaltet. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen Erfahrungen, wie Dörfer dem demografischen Wandel aktiv begegnen können, sowie die Beratung von Möglichkeiten, das bürgerschaftliche Engagement in den Dörfern zu stärken. Das Brandenburgische Netzwerk für Lebendige Dörfer ist (erstes) regionales deutsches Mitglied von ERCA und beteiligt sich aktiv an der Vorbereitung der Internationalen Dorfkonferenz.
In Fortführung der Präsentation von Beispielen lehrreicher Dorfentwicklung stellte Dr. Heinz Koch, Vorsitzender des Lohmener Kulturvereins, sehr anschaulich Erfolgsfaktoren der Entwicklung des Dorfes Lohmen vor; es existiert als Ansiedlung vermutlich seit mehr als 3000 Jahren und ist urkundlich 1227 erstmalig erwähnt. Zwei Erfahrungen waren besonders interessant: Es gibt seit vielen Jahren eine
kontinuierliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aufwärtsentwicklung der Gemeinde Lohmen mit 6 Ortsteilen, deren Mittelpunkt das Dorf Lohmen darstellt. Die Erfolge und deren Kontinuität wurden / werden maßgeblich durch eine stabile Vernetzung aller entsprechenden Kräfte bestimmt, geprägt durch die ideenreiche Zusammenarbeit von Kulturverein und Bürgermeister. Eine Besonderheit der Wirtschafts- Sozial- und Infrastruktur sind u. a. eine erfolgreiche Reha-Klinik, 200 tägliche Einpendler (!), 220 Auspendler, 140 Vollarbeitskräfte im Dorf und eine sehr geringe Arbeitslosenrate. Kein Wunder, dass Lohmen seine Zukunft in der Entwicklung zu einem beispielhaften „Gesundheitsdorf“ sieht. (Material über Lohmen: siehe Links am Artikelende)
Als weiteres interessantes Beispiel präsentierten die Vorsitzende und ein Vorstandsmitglied des Vereins „Wir Zinzower“, Gabriele Würfel und Veit Vielhaber, ihr kleines Dorf Zinzow (133 Ew.) und den Findungsprozess ihres Dorfgemeinschaftsvereins. Die Zinzower hatten sich um ein beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geplantes Modellprojekt beworben. In
dessen Verlauf wurde ein Verein gegründet, der die Entwicklung des Dorfes als Ganzes und seiner Dorfgemeinschaft im Auge hat. Das ist auch insofern interessant, als es weitgehende Analogien zu den Anfangsphasen von europäischen Dorfbewegungen hat: diese Bewegungen entstanden, indem in immer mehr Dörfern - unterhalb der kommunalen Ebene - „Dorfaktionsgruppen“ entstanden mit dem Ziel, die Geschicke ihres Dorfes in die eigenen Hände zu nehmen; überwiegend sind daraus inzwischen Dorfvereine als Formen der „Selbstorganisation des Dorfes“ entstanden, in denen in der Regel alle Dorfakteure, also auch andere Vereine, zusammenwirken.
Die Zinzower haben begonnen, ein Programm „kleiner Schritte“ (einschl. „Mini-Events“) zu verwirklichen und zugleich weiterreichender Ziele formuliert; darunter regelmäßige Gemeinschaftsveranstaltungen, Einrichtung einer Dorfgemeinschaftsküche und eines Dorfladens, die Idee einer Vermarktungsgemeinschaft eines Produktpools aus Zinzow (evtl. in Form einer Dorfgenossenschaft) mit der Marke „Alles Gute aus Zinzow“ (Inhaber der Marke ist der Dorfgemeinschaftsverein „Wir Zinzower“). Den Zinzowern ist bewusst, dass solch ein Modellprojekt die eine Sache ist, aber wie es weiter geht, eine andere Sache. Insofern ist noch offen, was auf diesem Weg erreicht werden wird, und es ist ihnen bewusst, dass künftige Erfolge nun vor allem von der Dorfgemeinschaft selbst abhängen.
Material zu dieser Präsentation:
- Eine PowerPoint-Präsentation mit dem Titel „Wir Zinzower“: siehe unten;
- „Zukunft und Selbstbehauptung strukturschwacher Regionen – Wie lässt sich ein Dorf gemeinschaftlich aktivieren? Erfahrungen und Hinweise aus dem ́Modellprojekt Zinzow` - Ein Leitfaden“ (Kostenlos über Öffentlichkeitsarbeit des BMVBS; Anfragen über buergerinfo@BMVBS.bund.de)
Den Abschluss der Tagung spielte eine rege Debatte über die künftige EU-Politik für den ländlichen Raum (Reform der „2. Säule“ der Gemeinsamen Agrarpolitik /GAP). Dazu hatte Andreas Bergmann, Agrarreferent in der Bundestagsfraktion der LINKEN, interessante und konkrete Thesen für ein künftiges Positionspapier zur Diskussion gestellt. (Eine lebhafte Diskussion zur Reform der „1. Säule“ hatte bereits am 30. Juni 2010 im Gesprächskreis stattgefunden). Es wurden wichtige Vorschläge zur möglichen inhaltlichen Ausweitung der Aussagen, z. B. hinsichtlich der Dorfentwicklung, und zur Frage notwendiger Kompromisse gemacht sowie teils kontrovers diskutiert, wie solche Reformvorschläge an die EU einerseits sich dem dort üblichen Sprachgebrauch anpassen müssten oder andererseits eher sprachlich verständlicher für die Betroffenen dieser Politik formuliert werden könnten.