Nachricht | Die RAF und die Justiz. Nachwirkungen des „Deutschen Herbstes"; München 2010

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Das Forum Justizgeschichte e.V. hat sich als Zusammenschluss kritischer AkteurInnen, die sich gegenüber und im konservativen Feld der Justiz positionieren, große Verdienste erworben. Das Forum widmet sich seit über zehn Jahren der Erforschung und Darstellung der deutschen Rechts- und Justizgeschichte des 20. Jahrhunderts. Im Herbst 2006 hat es sich auf einer Tagung mit der Entstehung und der Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) und den Wechselwirkungen zwischen RAF und Justiz beschäftigt. Der erst jetzt erschienene Sammelband enthält einige Beiträge, die getrost überblättert werden können, da zum Beispiel die zwei Artikel von Wolfgang Krausshar und Tobias Wunschik nur wiederholen, was von den beiden andernorts schon ausgiebig unter totalitarismustheoretischen und antikommunistischen Vorzeichen veröffentlicht wurde. Gisela Diewald-Kerkmann untersucht Erklärungsmuster, die in Justiz und Öffentlichkeit für die Teilnahme von Frauen am Terrorismus Verwendung fanden. Immerhin enthalten alle drei bis hierhin erwähnten Artikel einige statistische Daten zu den jeweils untersuchten Gegenständen. Andere wiederum, wie der Artikel von Andreas Funke zur Staats- und Verfassungsräson im Verhältnis zur Problematik der (versuchten) Freipressung von RAF-Gefangenen oder der Beitrag von Thomas Henne über das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichtes zur RAF argumentieren so juristisch, dass sie von NichtjuristInnen kaum zu verstehen sind. Spannend sind die Beiträge, die sich konkreter mit dem Selbstverständnis und dem Handeln der Justiz befassen. Ingo Müller, ehemaliger Professor an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Hamburg und Mitglied des Vorstandes des Forum Justizgeschichte, untersucht, wie das nach den ersten Prozessen gegen Naziverbrecher liberalisierte Strafprozessrecht wieder zurückgeschnitten und vor allem die Rechte der VerteidigerInnen im Laufe der 1970er Jahre nach und nach eingeschränkt wurden. Kurt Groenewold, der als Anwalt selbst an mehreren Strafprozessen gegen Angehörige der RAF beteiligt war, berichtet über die institutionellen Repressionen und die mediale Hetze, der die AnwältInnen seinerzeit ausgesetzt waren. Hellmut Pollähne schildert detailliert und mit vielen Hinweisen auf Quellen aus der grauen Literatur über das von etlichen Widersprüchen und Differenzen gekennzeichnete Verhältnis der politischen Gefangenhilfsorganisation Rote Hilfe e.V. zur RAF und umgekehrt. Dieser kenntnisreiche Beitrag stammt aus dem Arbeitszusammenhang um Hartmut Rübner und Markus Mohr, der demnächst eine umfangreiche Publikation zur Geschichte der (neuen) Roten Hilfe von 1968 bis 1980 vorlegen wird. Jacco Pekelder stellt schließlich die öffentlichen und juridischen Reaktionen auf die RAF in den Niederlanden dar. Diese fanden 1978 ihren Höhepunkt, als drei Mitglieder der RAF nach Schießereien in niederländische Haft kamen und im Anschluss an Deutschland ausgeliefert wurden. Die geschichtspolitische Folie, vor der sich dieser Konflikt abspielte, war die der deutschen Besetzung der Niederlande über 30 Jahre zuvor: Die niederländische Linke interessierte sich auch schon vor 1977 stark für die Vorgänge in ihrem Nachbarland und engagierte sich partiell gegen die Repressionsmaßnahmen des "Modell Deutschland". Zusammenfassend finden sich zwar einige interessante Artikel in vorliegendem Band, zu kritisieren bleibt jedoch, dass seine Vielfalt fast schon an Beliebigkeit grenzt, zumal die in ihm vertretenen, teilweise zueinander konträren Positionen nicht reflektiert oder gar diskutiert werden.

Volker Friedrich Drecktrah (Hg.): Die RAF und die Justiz. Nachwirkungen des „Deutschen Herbstes“; Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung: München 2010, 280 Seiten, 42,90 EUR

Diese Rezension wurde zuerst in der Ausgabe 4/2010 der Zeitschrift Sozial.Geschichte Online publiziert. Diese steht frei zur Verfügung. Hier können die Texte als pdf-Dokumente heruntergeladen werden: http://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DocumentServlet?id=23696