Ein Treffen in Familie, einer assoziert eine unangenehme Pflichtveranstaltung mit Tante Erna und Co., der andere vielleicht ein gemütliches Beisammensein unter Menschen, die alle „aus dem selben Stall“ kommen.
Vom 1. bis 3. Oktober 2010 fand das Manometer – das antifaschistische Familientreffen in Kassel statt. Auch wenn der Begriff „Familie“ schon beim Tagungsauftakt in Kritik geriet, so hatte die Atmosphäre durchaus etwas familiäres und harmonisches, man war ein bißchen „unter sich“. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren „alte Häsinnen und Hasen“. Jahrzehntelange Erfahrung in der Antifaarbeit war also versammelt. Ziel des Treffens: Austausch und Vernetzung und die Suche nach Antworten auf den gegenwärtigen Backlash und den erhöhten Druck auf Projekte gegen Rechts.
Eines der zentralen Themen an diesem Wochenende war daher auch die Neuauflage der Bundesprogramme gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus und damit die Zunkunft der Mobilen Beratung, der Opferperspektive und der anderen Projekte, die über staatliche Mittel finanziert werden. Damals, als diese Programme ins Leben gerufen wurden, waren es überwiegend Menschen aus der Antifaszene, die das Know-How und die Erfahrung mit dem Themenfeld hatten, um solche Projekte aufzuziehen, zu leiten und mit Leben zu erfüllen. Daher oft der ironische Titel „Staatsantifa“. Und damit begann ein fortwährender Rollenkonflikt in der eigenen Arbeit, ein Spagat zwischen Systemkritik und dem Versuch auch Menschen von der rechten Seite der politischen Landschaft, wie z.B. CDU-Bürgermeister für die eigene Arbeit gewinnen zu wollen.
Mit der Neuausrichtung der Bundesprogramme unter Familienministerin Schröder und deren Ausweitung auf die Bereiche „Linksextremismus“ und „Islamismus“ findet nun eine Entwicklung statt, bei der es vor allem um die Implementierung einen bestimmten politischen Sichtweise geht, denn um die konkreten Probleme vor Ort. Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und Vernetzung finden in dieser Ausrichtung keinen Platz mehr. Als Schikane wird vor allem die Extremismus-Erklärung gesehen, die ab kommendem Jahr von allen Projektträgern unterschrieben werden soll. Darin sollen sich nicht nur die Projektträger selbst zur FDGO bekennen, sondern sie sollen auch „dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten (…).“ Damit werden alle Engagierten in diesem Bereich unter Generalverdacht gestellt, eine einzelne Erwähnung in einem Landesverfassungsschutzbericht kann ausreichen, aus der Liste der Geförderten gnadenlos gestrichen und aus Beratungsnetzwerken ausgeschlossen zu werden, wie das Beispiel von a.i.d.a. aus München zeigte. Es wird gefürchtet, dass dieser Druck aus dem Familienministerium zunehmend zu einer Entsolidarisierung der Projekte untereinander führen könnte, zusätzlich zum ohnehin schon vorhandenen Konkurrenzdruck, was wiederum auch die Entpolitisierung des ganzen Bereichs zur Folge haben könnte. Viele der Tagungsteilnehmer konnten aus eigener Betroffenheit und aus eigener Berufserfahrung über die Bundesprogramme berichten. Ein anderer Punkt, der an diesem Wochenende mehrmals im Raum stand, war die Frage, ob es inzwischen eine Diskrepanz zwischen „Professionellen“ - gemeint ware alle, die beruflich mit Antifaarbeit ihr Brot verdienen - und „Szene“ gibt.
Ein weiterer Themenbereich, in verschiedenen Workshops bearbeitet, waren die Begriffe, mit denen wir arbeiten und umgehen in unserer antifaschistischen Arbeit. Was ist eigentlich „Zivilgesellschaft“, was besagt „Demokratie“? Ein Workshop befasste sich mit dem Begriff Faschismus vor dem Hintergrund aktueller deutscher und europäischer Entwicklungen. Auch der „Extremismus“-Diskurs und die Auseinandersetzung um die Verwendung des Begriffs „Rechtsextremismus“ blieb nicht draußen vor der Tür.
Und natürlich geht es bei einem Antifaschistischen Treffen nicht nur um eigene Situationen und Befindlichkeiten und um intellektuelle Theoriediskurse, sondern auch immer ganz konkret um Rechte und (Neo)Nazis und was alles so dazu gehört. Die Entwicklungen in der Neuen Rechten wurden ebenso behandelt, wie die neuen Strategien der Autonomen Nationalisten. Die Probleme mit der immer stärker werdenen kommunalen Verankerung von Neonazis. Selbst im web2.0 und in soziale Netzen sind Neonazis immer stärker aktiv. Allein ein ganzer Workshop befasste sich mit diesem Feld. Ob der Fülle an Einträgen und Daten eine Sisyphusaufgabe, wollte man jeden einzelnen Eintrag bei den Betreibern solcher Seiten anziegen und den „Warnen“-Knopf drücken. Doch interessant sind diese sozialen Internetwelte als Forschungsfeld. Wie viele Neonazis aus einem bestimmten Landkreis geben sich offen als solche im Internet zu erkennen? Wie viele werden davon tatsächlich als Wähler oder gar als Demonstranten zu Kundgebungen erreicht? Mit welchen Mitteln und Methoden wird in sozialen Netzen rekrutiert? Ein riesiger Datenfundus mit Potential.
Eine weiteres Phänomen, dem auf der Tagung Rechnung getragen wurde, war das Thema Antisemitismus in Einwanderungsgesellschaften. Ein Thema das von linker Seite oft vernachlässigt wurde. Wie kann man sich dem adäquat und wissenschaftlich nähern.
Und natürlich wurden auf diesem Wochenende Methoden und Wege der antifaschistischen Arbeit beleuchtet, Medienprojekte besprochen und die Zukunft der Bildungsarbeit diskutiert. Was bleibt vom Familientreffen? Viele der aktuellen Entwicklungen frustrieren, können Angst machen oder entmutigen. Es gab auch Beispiele für Lichtblicke auf der Tagung. Die erfolgreiche Hope not Hate Kampagne aus Großbritannien zum Beispiel machte Mut. „Unter sich“ sich ordentlich ausquatschen können, zu schwierigen Themen Stellung nehmen, sich gegenseitiger Solidarität versichern, das baute wieder auf. Auch wenn viele Probleme ungeklärt und viele Diskussionen offen bleiben mussten, oder gerade deshalb, dürfen wir auf die Fortsetzung des Treffens im nächsten Jahr gespannt sein.
Julia Wiedemann arbeitet im Bereich Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE.