Kommentar | Partizipation / Bürgerrechte - Nordafrika - Sozialökologischer Umbau - COP27 COP27 in Ägypten: Ein Geschenk für Al-Sisis Folterregime

«Grüne» Investitionen in Ägypten sind meist kein Klimaschutz, stützen aber die Herrschaft eines reaktionären Militärregimes

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Der britische Schattenaußenminister der Labour-Partei David Lammy steht mit Mona (links) und Sanaa Seif, den Schwestern des Bloggers Alaa Abd el-Fattah, einem britisch-ägyptischen Menschrechtsaktivisten, der in Ägypten inhaftiert ist und sich im Hungerstreik befindet, bei einer Dauermahnwache vor dem Außenministerium in London, Dienstag, 18. Oktober 2022.
Der britische Schattenaußenminister der Labour-Partei David Lammy steht mit Mona (links) und Sanaa Seif, den Schwestern des Bloggers Alaa Abd el-Fattah, einem britisch-ägyptischen Menschrechtsaktivisten, der in Ägypten inhaftiert ist und sich im Hungerstreik befindet, bei einer Dauermahnwache vor dem Außenministerium in London, Dienstag, 18. Oktober 2022. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Victoria Jones

Ägyptens Präsident Al-Sisi instrumentalisiert die COP27, um die blutige Menschenrechtsbilanz seines Regimes zu verharmlosen und sich als vermeintlicher Pionier in Sachen Energiewende und Klimagerechtigkeit zu präsentieren. Doch Menschenrechtsgruppen und Aktivist*innen nutzen die internationale Aufmerksamkeit im Vorfeld der Konferenz, um Repressalien und Greenwashing der ägyptischen Regierung anzuprangern und die Klimabewegung zu einer klareren Haltung zur Menschenrechtslage im Land zu drängen. Mit dem Regime verbündete Regierungen stützen dessen wenig nachhaltige Politik aber unvermindert weiter und machen die COP27 damit zur Farce.

Machen wir uns nichts vor. Die Klimakonferenz COP27 und vorangegangene UN-Gipfel sind keine Events, in deren Rahmen Globaler Süden und Globaler Norden gemeinsam nach Lösungen für die Energiewende und Klimagerechtigkeit oder deren faire Finanzierung suchen. Die Agenda der Konferenz und die auf ihr gefassten nicht bindenden Beschlüsse werden bestimmt von mächtigen Regierungen und multinationalen Konzernen, die wenig Interesse an einem nachhaltigen Kurswechsel haben. Die Produktion von Elektroautos oder Verbote von Plastiktüten werden heute ganz allgemein als Meilensteine gefeiert, stellen die konsumorientierte Produktionsweise aber ebenso wenig in Frage wie der Ausbau von Solar- und Windkraft durch Energiemultis oder der in kolonialer Manier vorangetriebene Import von grünem Wasserstoff aus Ländern wie Ägypten.

Sofian Philip Naceur ist Projektmanager im Nordafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitet als freier Journalist.

Eine dezentral ausgerichtete und globale Energiewende böte dabei gar die Chance, «die kolonialen Grenzen des Nationalstaates zu sprengen und Initiativen auf Gemeindeebene zu stärken», so Omar Robert Hamilton in einem bemerkenswerten Essay für das ägyptische Onlinemedium Mada Masr. Doch dieses «egalitäre Potential» werde auf der COP27 nicht ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Im Gegenteil: «Hier wird die Energiewende zu einer Gelegenheit für Greenwashing und Profitmacherei, da Länder und Unternehmen Schlange stehen, um Deals zur Energieinstallation mit einer Diktatur zu unterzeichnen, die einen Überschuss an Strom und politischen Gefangenen hat», schreibt Hamilton.

Dennoch ist die COP in den letzten Jahren zu einem alljährlichen Großereignis mutiert, dass zusätzlich massive Aufmerksamkeit für die Auswirkungen von Erderwärmung und Klimawandel geschaffen hat. Und diese Aufmerksamkeit hat nun das Potential, Brücken zu schlagen. Denn die in der hermetisch abgeschotteten Tourismushochburg Sharm El-Scheikh an der Südspitze der Sinai-Halbinsel stattfindende COP27 hat zum Unmut des Militärregimes von Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi einer Annäherung zwischen Klima- und Menschenrechtsbewegung den Weg geebnet. Der Pfad dorthin war langwierig, konfliktbeladen und steinig und die Auseinandersetzungen waren weder harmonisch noch sind sie vorbei. Aber noch nie wurde ein die COP ausrichtender Staat derart vehement für seine Menschenrechtsverbrechen an den Pranger gestellt wie Ägypten heute.

Eine überfällige Auseinandersetzung

«Da alle Augen auf Ägypten gerichtet sind, ist die COP27 eine Gelegenheit, die Missachtung der Menschenrechte durch die ägyptische Regierung und die zunehmenden Einschränkungen für die Zivilgesellschaft zu thematisieren», so Yasmin Omar von der NGO Committee for Justice (CFJ) in einer Erklärung der ägyptischen COP27-Menschenrechtskoalition (dem das CFJ angehört), deren erklärtes Ziel auch der Aufbau einer «bewegungsübergreifenden Solidarität zwischen internationaler Menschenrechts- und Umweltbewegung» sei.

Eine solche auch öffentlich vorgetragene Solidarität ließ in der vor allem von ägyptischen Menschenrechtsgruppen und Aktivist*innen eingeforderten Konsequenz aber lange auf sich warten – nicht nur, da erhebliche Teile der Klimabewegung betont unpolitisch agieren und am Tropf von Regierungsgeldern hängen oder sich gar bereitwillig vor den PR-Karren multinationaler Konzerne spannen lassen, sondern auch aus Sicherheitsgründen. Denn in Ägypten operierende NGOs aus dem Umweltbereich wissen genau, dass sie nach allzu freimütigen Erklärungen zu menschenrechtlichen Themen einpacken können.

Teile der Klimabewegung haben aber auf die massive Kritik an ihrer zögerlichen Haltung reagiert und positionieren sich inzwischen deutlicher zu den Menschenrechtsverbrechen von Ägyptens Militärregime. Sowohl das Climate Action Network, ein Bündnis hunderter zivilgesellschaftlicher Gruppen aus 130 Ländern, als auch Klimaaktivistin Greta Thunberg und unzählige andere erklärten sich nun entweder erstmalig oder erneut öffentlich solidarisch mit politischen Gefangenen in Ägypten, forderten die Freilassung aller willkürlich Inhaftierter im Land und unterzeichneten eine Petition der COP27-Menschenrechtskoalition, die auf die erheblichen Einschränkungen von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit rund um die Klimakonferenz aufmerksam macht und ein Ende der Repressalien gegen Ägyptens Zivilgesellschaft fordert.

«Greenwashing eines Polizeistaates»

Die COP27 in Ägyptens Polizeistaat abzuhalten, habe eine «moralische Krise» für die Klimabewegung geschaffen, schrieb die Journalistin Naomi Klein noch Anfang Oktober in einem aufsehenerregenden Kommentar. Kurz zuvor hatte Sanaa Seif, die Schwester des seit mehr als 200 Tagen hungerstreikenden und seit 2019 in Ägypten inhaftierten Aktivisten Alaa Abdel Fattah, der Klimabewegung Heuchelei vorgeworfen. «Die Eindämmung des Klimawandels und der Kampf für die Menschenrechte sind eng miteinander verknüpft und sollten nicht voneinander getrennt werden», so die derzeit vor dem britischen Außenministerium in London campende und damit für die Freilassung ihres Bruders kämpfende Seif auf Twitter, pointiert darauf verweisend, dass Al-Sisis Regime auch von Öl- und Gasmultis wie BP und ENI gestützt wird.

Der Fall des seit 2014 fast durchgängig auf Grundlage fadenscheiniger politisch motivierter Vorwürfe hinter Gittern sitzenden Abdel Fattah steht dabei inzwischen symptomatisch für die Repressalien der Al-Sisi-Diktatur gegen Oppositionelle. Die seit Beginn seines Hungerstreiks im April erregte Aufmerksamkeit für seine Haft ist für das Regime aber zum Bumerang geworden, entlarven seine desaströsen Haftbedingungen doch die grotesken Versuche des Regimes, die Menschenrechtslage im Land zu beschönigen und PR-Stunts als «Reformen» zu verkaufen. Der Klimagipfel gehe «weit über das Greenwashing eines umweltverschmutzenden Staates hinaus; er ist Greenwashing eines Polizeistaates», so Naomi Klein.

Sowohl der im April lancierte «Nationale Dialog», ein informelles Gesprächsforum zwischen Regime und Teilen der Opposition, als auch die Freilassung politischer Häftlinge sollen den Anschein von Kompromissbereitschaft vermitteln. Doch Al-Sisi betrachtet die Ergebnisse des bereits im Sande verlaufenden Dialogs als nicht bindend während die Anzahl der in den letzten Monaten aus politischen Gründen verhafteten Menschen jene deutlich übersteigt, die seit Beginn der Entlassungsinitiative auf freien Fuß gesetzt wurden. Zwar waren zuletzt auch prominente Aktivist*innen, Journalist*innen und Oppositionelle freigelassen worden, doch angesichts von Schätzungen zufolge mehr als 65.000 politischen Gefangenen im Land ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Ägyptens Kerkersystem wird derweil weiter munter «reformiert». Alte Gefängnisse werden dicht gemacht und Insassen in angeblich fortschrittliche «Rehabilitierungszentren» verlegt. Der Fortschritt in Al-Sisis neumodischen Kerkern: Neben der Anwendung bereits hinlänglich bekannter Folter- und Einschüchterungstaktiken werden Internierte heute einer Dauerüberwachung durch Videokameras in teils pausenlos beleuchteten Zellen ausgesetzt. Im kürzlich eröffneten Badr-Gefängnis nahe Kairo sterben Insassen weiter aufgrund medizinischer Vernachlässigung, während Inhaftierte mit Hungerstreiks gegen Haftbedingungen oder Besuchsverbote protestieren. Die ausufernde Polizeigewalt, Folter oder willkürliche Verhaftungen gehen unterdessen landesweit und ungebremst weiter.

Keine Spur der Öffnung vor der COP

Eine Stellungnahme des UN-Menschenrechtsrats spricht daher folgerichtig von einem «Klima der Angst für ägyptische zivilgesellschaftliche Organisationen, sich sichtbar auf der COP27 zu engagieren» und konterkariert damit Behauptungen von Spitzenpolitikern wie Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry, die Behörden würden freie Meinungsäußerung in einem designierten Areal in Sharm El-Sheikh zulassen. Der Menschenrechtsgruppe Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS) zufolge seien die jüngsten «oberflächlichen Maßnahmen» der Behörden aber nicht mehr als Lippenbekenntnisse. Nach Ende der COP wird mit einer neuen Welle an Repressalien gerechnet, warnt das CIHRS mit Verweis auf gegenüber freigelassenen Häftlingen geäußerten Drohungen, nach der Konferenz erneut verhaftet zu werden.

Auch die NGO Reporter Ohne Grenzen (RSF) macht sich keine Illusionen über die PR-Stunts des Regimes. «Hier und da wird wieder eine Journalistin, ein Journalist aus dem Gefängnis entlassen – aber dass sich an den enormen staatlichen Repressionen gegenüber Medien grundlegend etwas ändern wird, halten wir für extrem unwahrscheinlich», so der Pressereferent von RSF Deutschland, Christopher Resch, gegenüber der Rosa-Luxemburg-Stiftung und fordert den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock unmissverständlich dazu auf, während ihres Besuchs in Sharm El-Sheikh zu der «erschreckenden Menschenrechtsbilanz des Al-Sisi-Regimes nicht zu schweigen.» Ägypten sei eine Art offenes Gefängnis für Medienschaffende, derzeit säßen 21 Journalist*innen im Land in Haft, so Resch.

Das Regime agiert derweil gewohnt nervös auf jeden Hauch von öffentlich vorgetragener Opposition. Ägyptens Staatssicherheitsdienst, die berüchtigte politische Polizei des Regimes, hatte schon im September einen 51jährigen Mann verhaften und für zwei Wochen verschwinden lassen, nachdem er angeblich einer Facebook-Gruppe beigetreten war, die rund um die COP27 zu Protesten aufrief.

Die massiven Sicherheitsvorkehrungen auf dem Sinai selbst sollen dabei jedwede unerwünschte Aktion ägyptischer Aktivist*innen im Keim ersticken und eine lückenlose Kontrolle des Events und der anreisenden Teilnehmenden gewährleisten. Das fast nur aus Hotels und Ferienwohnsiedlungen bestehende Sharm El-Sheikh ist eine abgeschottete und mit einer Betonmauer umzäunte Festung für ausländische Tourist*innen und Vermögende aus Ägypten. Anlässlich der COP27 wurden Personenkontrollen an den beiden Zufahrtsstraße in die Stadt massiv ausgeweitet und Geschäfte selbst in nahe gelegenen Kleinstädten dicht gemacht. Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in Sharm El-Sheikh umfassen Berichten zufolge sogar verwanzte Taxis.

Grüner Hype als Cash Cow

Spätestens mit der Vergabe der COP27 an Ägypten hat das Regime zudem die Vorteile einer grünen Etikettierung von Industrie, Wirtschaft, Nahverkehr oder Städtebauprojekten entdeckt und flutet seither TV-Bildschirme und soziale Medien mit Propagandaposts und -videos, in denen Ägypten als innovativer Vorreiter einer grünen Politik und Fürsprecher einer gerechten Energiewende porträtiert wird. Mit Krediten oder Bürgschaften europäischer Staaten abgesicherte Nahverkehrsprojekte wie die Kairoer Monorail oder das derzeit vom deutschen Siemens-Konzern errichtete Hochgeschwindigkeitszugnetz werden als Meilensteine angepriesen, dürften angesichts der hohen Ticketpreise aber Wohlfühlprojekte für Ägyptens zahlungskräftige Eliten werden und keineswegs den Personen- und Frachttransport effektiv auf die Schiene verlagern. Ankündigungen der Regierung, 100 Millionen Bäume pflanzen zu wollen, sind ebenfalls Makulatur, werden doch schon seit Jahren in ägyptischen Städten zehntausende Bäume gefällt, um Platz für die Erweiterung von Straßen zu machen oder den öffentlichen Raum mit Kameras besser überwachen zu können.

Auch der beispiellose Wohnungs-, Städte- und Infrastrukturbau im Land wird seitens Regierung und privater Immobilienfirmen immer wieder mit einem grünem Label versehen, völlig abgekoppelt von den Umwelt- und Sozialschäden, die diese Projekte tatsächlich verursachen. Während die von militäreigenen Unternehmen kontrollierte Zementindustrie zu den größten Umweltverschmutzern des Landes gehört, aber die Grundlage für den Bauwahn schafft, wird das praktisch nur per Flugzeug erreichbare Sharm El-Sheikh ebenso als «grüne Stadt» tituliert wie die mitten in der Wüste errichteten Gated Communities Mostakbal nahe Kairo und New Alamein am Mittelmeer. Letzteres hat bereits sichtbar die Küstenerosion in der Region verstärkt und verschärft damit durch den Meeresspiegelanstieg verursachten Umweltschäden noch zusätzlich.

Die ägyptische COP-Präsidentschaft stellte derweil den von Greenpeace als weltweit größten Plastikverschmutzer gebrandmarkten Konzern Coca Cola als Hauptsponsor der COP27 vor und heuerte völlig ironiefrei eine PR-Agentur für das Management der Öffentlichkeitsarbeit der COP27 an, die dem Onlineportal Open Democracy zufolge eine «beschämende Erfolgsbilanz bei der Verbreitung von Desinformationen» habe und gar beschuldigt wird, an Greenwashing-Kampagnen für illustre Energiemultis wie ExxonMobil, Shell oder Saudi Aramco gearbeitet zu haben.

Ägypten hält unterdessen weiter an seinen ambitionierten Zielen fest, bis 2035 42 Prozent seiner Stromproduktion aus erneuerbarer Energie zu beziehen. Die Zielmarke von 20 Prozent für dieses Jahr wurde jedoch um Längen verfehlt, heiß es in einem Bericht der Egyptian Initiative for Personal Rights. Stattdessen baut das Regime das Land mit massiver Unterstützung europäischer Staaten zu einem neuen Großexporteur fossiler Brennstoffe aus. Seit der Erschließung des gigantischen Zohr-Gasfeldes im Mittelmeer durch ENI und BP ist Ägypten zum Energieexporteur aufgestiegen, eine durch Russlands Invasion der Ukraine noch zusätzlich befeuerte Entwicklung.

Wie all dies deutlich zeigt, bemüht sich Ägypten sichtlich darum, rund um die COP27 ein grünes Image seiner Politik zu vermitteln. Dabei geht es Al-Sisi und seinem Regime aber nicht nur um das prestigeträchtige Großereignis selbst und die politischen Folgeeffekte der Ausrichtung einer solchen Konferenz, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen. Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben Ägyptens Volkswirtschaft in eine tiefe Währungs- und Zahlungsbilanzkrise gestürzt und die Kapitalflucht aus dem Land angeheizt. Um dieser entgegenzuwirken braucht das Regime dringend Investitionen, Kredite und Einlagen aus dem Ausland. Ein Mittel, diese möglichst schnell ins Land zu locken, ist angesichts der Klimakrise die Selbstdarstellung als grüner Pionier in Sachen Energiewende und Klimagerechtigkeit, aus der sich als exportwilliger Akteur derzeit leicht Kapital schlagen lässt.

Doch unabhängig von den Gründen für die Greenwashing-Kampagne der ägyptischen Regierung machen ihre katastrophale Menschenrechtsbilanz und ihre oberflächlichen Versuche, ihre Wirtschaftspolitik als "grün" zu bezeichnen, die COP27 zu einer regelrechten Verhöhnung von Klimagerechtigkeit und Menschenrechten.