Kommentar | Partizipation / Bürgerrechte - Globalisierung «Entwicklung geschieht um der Menschen willen»

Eva Wuchold auf der sechsten Sitzung des Expertenmechanismus für das Recht auf Entwicklung des UN-Menschenrechtsrates.

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Autorin

Eva Wuchold,

Plenarsitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf CC BY-NC-ND 2.0, Foto: United Nations Photo, via Flickr

Eva Wuchold von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach kürzlich auf der sechsten Sitzung des Expertenmechanismus für das Recht auf Entwicklung (EMRTD) des UN-Menschenrechtsrates am 1. November 2022 in Genf. Wir dokumentieren ihre Rede hier.

Guten Tag, liebe Delegierte und Kolleg*innen, und vielen Dank, Herr Vorsitzender, dass Sie diese Sitzung organisiert haben und mir die Möglichkeit geben, heute zu Ihnen zu sprechen. Ich bin hier als Vertreterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Deutschland und internationalen Büros in 27 Ländern in Afrika, Nord- und Südamerika, Asien und Europa, die mit Hunderten von Partnerorganisationen, Aktivist*innen, Parlamentarie*rinnen, staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren Projektaktivitäten in über 80 Ländern durchführt.

Eva Wuchold ist Programmleiterin für soziale Rechte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Genf.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist ein Forschungszentrum für progressive Gesellschaftsentwicklung. Wir bieten Raum für kritisches Denken und Diskussionen über alternative politische Konzepte und Ansätze zur gesellschaftlichen Transformation. Im Sinne einer solidarischen und gerechten Gesellschaft setzen wir uns weltweit für die Durchsetzung globaler sozialer Rechte, eine sozial-ökologische Transformation, internationale Solidarität, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und positiven Frieden ein.

Vor diesem Hintergrund und nach Rücksprache mit unseren Partnern möchte ich mich nun auf drei Themen konzentrieren: Solidarität, Rechenschaftspflicht und die Bedrohung des zivilen Raums.

Solidarität

Klimanotstand, Ausbeutung, Kriege: Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um die irreversiblen Schäden einzudämmen, die bereits jetzt dramatische sozio-ökologische Krisen verursachen, wie der UNEP-Bericht «The Closing Window» jüngst erneut gezeigt hat. Dennoch: Die Prognosen zum Klimawandel sind heute genauer als je zuvor, und das sollten wir uns zunutze machen. Unsere Aufgabe ist es heute, die Weichen so zu stellen, dass wir die sozial-ökologische Krise nicht nur überwinden, sondern auch mit einer gerechten Welt aus ihr hervorgehen.

Grundlegend dafür ist die wirtschaftliche Gerechtigkeit. Auch heute, fast 50 Jahre nach der Diskussion über eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung im Rahmen der UNCTAD und mehr als 35 Jahre nach der Erklärung über das Recht auf Entwicklung, ist die Weltwirtschaftsordnung immer noch von kolonialen Strukturen und von Formen der Herrschaft und Abhängigkeit geprägt.

Die bisherigen Reformen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen haben es nicht geschafft, die wirtschaftliche Benachteiligung des globalen Südens zu beseitigen und eine größere Teilhabe am globalen Wohlstand zu erreichen. Im Zuge der Pandemie Covid 19 hat sich die Ungleichheit des gesellschaftlichen Reichtums noch verstärkt, wie Oxfams Bericht «Der Ungleichheitsvirus aus dem Jahr 2021 zeigt.

Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung darf sich nicht nur auf eine faire und nachhaltige Handelspolitik, die Kontrolle transnationaler Konzerne und die Regulierung der Finanzmärkte konzentrieren. Sie muss auch die internationale Debatte über Klima und Entwicklung ernst nehmen. Im Zuge der COP 27 in Ägypten fordern Aktivist*innen aus dem Globalen Süden im Interesse der Klimagerechtigkeit einen staatlichen Entschuldungsmechanismus oder eine international verbindliche Finanztransaktionssteuer.

Auch der permanenten Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte durch transnationale Konzerne entlang globaler Liefer- und Produktionsketten muss durch eine Stärkung der internationalen Solidarität der Beschäftigten entlang dieser Wertschöpfungsketten und damit der Rolle von Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften begegnet werden.

Im Geiste der globalen Solidarität ermutigen wir daher den Expertenmechanismus für das Recht auf Entwicklung, die Schaffung eines rechtsverbindlichen Instruments zur Regulierung der Aktivitäten transnationaler Konzerne und anderer Wirtschaftsunternehmen zu unterstützen, den sogenannten UN-Vertrag über Wirtschaft und Menschenrechte. Ebenso empfehlen wir, die Umsetzung der WTO-Verzichtserklärung zum TRIPS-Abkommen und die WHO-Verhandlungen zum Pandemie-Abkommen genau zu verfolgen.

Rechenschaftspflicht

Im Rahmen unserer Arbeit in der ganzen Welt stellen wir fest, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft die staatlich orientierten nationalen und multilateralen Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, zunehmend kritisieren. Der Grund dafür ist nicht nur der mangelnde Erfolg bei der Lösung großer sozialer Probleme, sondern auch die fehlende Rechenschaftspflicht der Regierungen und Institutionen gegenüber den Bürger*innen.

Die Rechenschaftspflicht ist in der Erklärung über das Recht auf Entwicklung selbst verankert. Da die Umsetzung und Berichterstattung jedoch freiwillig und unverbindlich sind, fehlt es an einer echten Überwachung und Rechenschaftspflicht. Dies entbindet Regierungen weltweit von der Verpflichtung, das Recht auf Entwicklung durchzusetzen. Eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft könnte dazu beitragen, Governance-Strukturen zu schaffen, die einen klaren Rahmen für die Rechenschaftspflicht bieten und eine bessere Überwachung der Entwicklungsprogramme ermöglichen, damit ihre Umsetzung mit dem Recht auf Entwicklung in Einklang steht.

Bedrohung des zivilen Raums

Die Zivilgesellschaft ist die Trägerin der Demokratie. Aber: Der zivilgesellschaftliche Raum verändert sich zunehmend in Bezug darauf, wer sich beteiligt und wie. Während der Raum für progressive Menschenrechtsaktivist*innen schrumpft, wächst der Einfluss rechtsextremer und konservativer Gruppen. Konflikte um die Nutzung natürlicher Ressourcen und von Land, die für die Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung von grundlegender Bedeutung sind, gehören zu den Hauptgründen für das Schrumpfen des zivilgesellschaftlichen Raums. Dem Global Rights Index 2022 zufolge wurden in diesem Jahr in 13 Ländern Gewerkschafter*innen getötet. Nach Angaben von Global Witness wurden 2021 200 Land- und Umweltaktivist*innen getötet - fast vier Menschen pro Woche. Darunter sind auch Aktivist*innen, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten, und Vertreter*innen unserer Partnerorganisationen.

Die Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Raums hindert zivilgesellschaftliche Organisationen daran, sich an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen. Dadurch besteht die Gefahr, dass Stimmen ausgeschlossen, Ungleichheiten verstärkt und Entwicklungsprozesse behindert werden. Ein starker zivilgesellschaftlicher Raum ist daher keine Option, sondern ein Muss, wenn die Entwicklung langfristig und zum Wohle aller nachhaltig sein soll. Wir möchten daher den Expertenmechanismus für das Recht auf Entwicklung ermutigen, die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung des Rechts auf Entwicklung auszuweiten. Das Recht auf Entwicklung kann seinem Namen nur gerecht werden, wenn die Träger*innen sozialer Kämpfe, Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Gewerkschafter*innen, eine führende Rolle bei der Umsetzung des Rechts spielen.

Gestatten Sie mir ein paar abschließende Worte.

Als kritischer Think Tank und als internationale Organisation versuchen wir, Begriffe und Konzepte global zu entwickeln und zu diskutieren. Zentral ist für uns, den Dialog zwischen sozialen Bewegungen und Akteuren aus dem Süden und Norden und den Süd-Süd-Austausch als Ausgangspunkt für Veränderungsprozesse zu sehen.

Wir empfehlen daher, zivilgesellschaftliche Strukturen weltweit zu nutzen, um ein Verständnis des Rechts auf Entwicklung zu schaffen, dass dem Recht in seinem Wortlaut entspricht.

Dieses Verständnis sollte auch spezifizieren, welche Art von «Entwicklung» die Menschen in ihren jeweiligen Kontexten wollen. Es muss also um mehr gehen als um die Beteiligung der Zivilgesellschaft an staatlichen Entwicklungsprogrammen. Es muss darum gehen, Entwicklung aus der Perspektive der Menschen in ihren jeweiligen Kontexten zu denken. Wir stimmen daher mit dem überein, was der UN-Hochkommissar für Menschenrechte anlässlich des 30. Jahrestages der Erklärung über das Recht auf Entwicklung im Jahr 2016 sagte: Menschen sind nicht Werkzeuge der Entwicklung, sondern Entwicklung geschieht um der Menschen willen.