Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Südliches Afrika ANC in der Abwärtsspirale

Kurz vor ihrem Parteitag zerreißen interne Querelen und Fraktionskämpfe Südafrikas führende Partei.

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Rebone Tau,

ANC-Unterstützer versammeln sich in einer Stadt.
ANC-Anhänger*innen bei einer Siegeskundgebung in Johannesburg nach den Parlamentswahlen, 12. Mai 2019. Foto: IMAGO/Michele Spatari

Der ANC ist schon seit Jahren gespalten und steht nun vor seinem 55. Parteitag vom 16. bis zum 20. Dezember an einem Scheideweg. Bei den letzten Kommunalwahlen holte die Partei nur 45,59 Prozent der Stimmen, ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Ende der Apartheid und dem Übergang zur Demokratie. Anhänger*innen haben die Partei resigniert in Scharen verlassen, nicht unbedingt zugunsten anderer Parteien, sondern aus tiefer Enttäuschung über das Missmanagement des ANC in den letzten Jahren. Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei 37 Prozent, ständige geplante Stromausfälle führen dazu, dass Fabriken stillstehen, und ländliche Gemeinden müssen um ihr Überleben kämpfen, da die Landreform ins Stocken geraten ist.

Rebone Tau arbeitet im Regionalbüro Südafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Programmleiterin.

Die ANC-Führung ist von zahlreichen parteiinternen Querelen bestimmt. Im Mai 2020 hat die Parteiführung Generalsekretär Ace Magashule aufgefordert, sein Amt ruhen zu lassen, nachdem er im November 2020 in seiner Amtszeit als Premierminister seiner Heimatprovinz Free State wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit einem Agrargeschäft verhaftet worden war. Gemäß Bestimmung 25.70 der ANC-Verfassung werden führende Mitglieder vorübergehend suspendiert, wenn sie einer Straftat beschuldigt werden oder vor Gericht geladen sind. Diese sogenannte «Step-Aside»-Regel wurde eingeführt, um die Korruption zu bekämpfen und zumindest partei-intern zu bestrafen. Das triff nicht überall auf Zustimmung und einige führende ANC-Mitglieder aus den Provinzen haben bereits ihre Abschaffung gefordert.

Dabei wird die Regel nicht immer konsequent umgesetzt. Erst kürzlich wurden mehrere führende ANC-Mitglieder aus den Provinzen, die der Korruption angeklagt sind, und sogar ein unter Mordverdacht stehender ANC-Politiker in parteiinterne Ämter gewählt. Dies löste einen Aufschrei unter Südafrikaner*innen aus. Das National Executive Committee (NEC), das höchste Organ des ANC, sah sich gezwungen, seine Entscheidung zu revidieren.

Streit um die ANC-Führung und Korruptionsvorwürfe

In diesen Tagen konzentriert sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Untersuchungsausschuss gegen Präsident Cyril Ramaphosa. Der Ausschuss wurde ins Leben gerufen, nachdem der ehemalige Generaldirektor der Staatssicherheitsbehörde Arthur Fraser im Juni dieses Jahres ein Strafverfahren gegen Ramaphosa eingeleitet hatte. Fraser behauptete, dass auf Ramaphosas Wildfarm «Phala Phala» in Limpopo Millionen von Dollar gestohlen worden seien; anschließend habe man den Vorgang dort vertuscht. Die Oppositionsparteien, angeführt von der African Transformation Movement, brachten daraufhin einen Antrag auf Einleitung einer unabhängigen Untersuchung ein. Der Ausschuss übergab seinen Bericht am 30. November an den Parlamentspräsidenten. Darin kam er zu dem Schluss, dass Präsident Ramaphosa möglicherweise Straftaten begangen habe, die ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigten.

Dies veranlasste den amtierenden ANC-Generalsekretär, Paul Mashatile, für den 2. Dezember eine NEC-Sitzung einzuberufen, die jedoch nach nur 30 Minuten vertagt wurde. Ramaphosa war bei der Sitzung nicht anwesend, was für viele NEC-Mitglieder, darunter auch der ehemalige Präsident Thabo Mbeki, keinen Sinn ergab. Die Sitzung wurde schließlich am 5. Dezember wieder einberufen; sie beschloss, dass die ANC-Abgeordneten den Bericht des Untersuchungsausschusses, wenn er dem Parlament zur Prüfung vorgelegt wird, ablehnen sollen, weil Ramaphosa selbst eine Überprüfung des Berichts beantragt hat.

Am 13. Dezember 2022 stimmte das Parlament gegen die Annahme des Berichts, wobei vier ANC-Abgeordnete, darunter Ministerin Dr. Nkosazana Dlamini-Zuma, für die Annahme stimmten.

Erbitterte Fraktionskämpfe – auch in dem Bündnis

Je näher der Parteitag rückt, desto deutlicher zeigen sich die Risse in der südafrikanischen Regierungspartei. Eine der Fraktionen, die Radical Economic Transformation (RET), unterhält Verbindungen zum Ex-Präsidenten Jacob Zuma und dem suspendierten Generalsekretär Magashule. Eine andere ist als CR17 bekannt, kurz für «Cyril Ramaphosa 2017», und folgt der Linie des derzeitigen Präsidenten.

Diese Entwicklung ist nicht neu. Die gegenwärtigen Spaltungen innerhalb der Partei nahmen ihren Anfang in 2005, als der damalige Präsident Thabo Mbeki den stellvertretenden ANC-Präsidenten Jacob Zuma zum Rücktritt aus dem Amt des südafrikanischen Vize-Präsidenten zwang. Dies geschah im Vorfeld des ANC-Parteitags 2007 in Polokwane, aus dem Zuma als neuer Präsident des ANC hervorging. Etwa acht Monate später berief das jetzt von Zuma geführte NEC Mbeki von seinem Amt als Präsident Südafrikas ab. In der Folge hielt sich Mbeki der Partei während der Ära Zuma fern. Rückblickend könnte man sagen, dass sowohl Mbeki als auch Zuma für die Spaltungen verantwortlich sind.

Der ANC regiert Südafrika seit dem Ende der Apartheid 1994 in einem Dreierbündnis mit der South African Communist Party (SACP) und dem Congress of South African Trade Unions (COSATU). Beide Bündnispartner spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Verschärfung der Situation. Bei der Wahl des ANC-Vorsitzenden im Jahr 2007 unterstützten COSATU und SACP Zuma, während sie zehn Jahre später Ramaphosa unterstützten. Beide Kräfte ergreifen regelmäßig Partei in den Fraktionskämpfen des ANC, was das Bündnis als Ganzes schwächt und von seiner erklärten Aufgabe, für das Wohlergehen der Arbeiterklasse zu sorgen, abbringt. Einige gehen sogar so weit zu behaupten, dass sie ihre Basis aufgegeben haben und nicht mehr als wirksame Vertreter*innen der Interessen der Arbeiterklasse dienen.

Aber einheitlich ist die Meinung nicht immer: Arbeiter*innen, die dem Gewerkschaftsverband COSATU angehören, haben sich gegen einen Auftritt des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa auf der Maikundgebung der Gewerkschaften ausgesprochen. Außerdem wurde der nationale ANC-Vorsitzende Gwede Mantashe auf dem COSATU-Kongress im September beim Versuch, eine Grußbotschaft zu überbringen, mit Buhrufen überschüttet.

Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es mit dem Dreierbündnis nicht zum Besten steht. Wird COSATU die SACP unterstützen, wenn diese beschließt, bei den Wahlen 2024 allein anzutreten? Oder wird es auf dem bevorstehenden Parteitag gelingen, das zersplitterte Bündnis wieder zusammenzuführen? Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, es steht sehr viel auf dem Spiel.

Die Situation in den Unterorganisationen des ANC ist ebenso düster. Zum ersten Mal in der Geschichte der Partei haben weder die ANC Youth League (ANCYL) noch die ANC Women's League (ANCWL) eine gewählte Führung. Die Führung der ANCYL wurde 2019 aufgelöst und die ANCWL folgte ein Jahr später, nachdem beide Organisationen Zuma im Jahr 2017 unterstützt hatten. Beide Organisationen haben derzeit eine Interimsführung. Wann ihre nächste Konferenz stattfinden wird, ist unklar, aber sie wird sicherlich nicht vor dem Parteitag des ANC stattfinden. Diese Situation ist neu und ein weiterer Hinweis auf die wachsenden internen Spannungen, mit denen der ANC zu kämpfen hat.

Zumas Einfluss und der Kampf um die Nachfolge

Anzeichen für eine Spaltung ziehen sich durch alle Parteistrukturen des ANC. Parteifunktionär*innen aus derselben Struktur schließen sich oft bis zu drei verschiedenen Personen an der Parteispitze an, in der Hoffnung, sich hinter eine Person zu stellen, die das Präsidentenamt übernimmt und ihnen später zu einer wichtigeren Rolle verhilft.

Ramaphosas Verbündete haben es schwer gehabt, die Kontrolle über KwaZulu-Natal (KZN), Zumas Heimatprovinz, zu übernehmen. Viele führende ANC-Mitglieder besuchen Zuma weiterhin privat, um sich von ihm politisch beraten zu lassen. Für viele in der Provinz scheint es eine Art politische Strategie zu sein, sich mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen. Diejenigen, die ihm im Vorfeld der Provinzkonferenz am nächsten standen, gewannen die meisten Positionen.

Seit dem Ende seiner zweiten Amtszeit als ANC-Präsident im Jahr 2017 und seiner Abberufung als Präsident der Republik im Jahr 2018 hat Jacob Zuma sich geweigert, die Ergebnisse des Parteitags von 2017 zu akzeptieren. Er macht weiterhin seinen Einfluss geltend und ruft zu einer Politik der «radikalen wirtschaftlichen Transformation» auf. Diesmal unterstützt er Dlamini-Zuma als ANC-Parteichefin. Dlamini-Zuma kandidierte bereits 2017 gegen Ramaphosa und verlor damals, und einige Parteimitglieder sind der Meinung, dass sie zu alt für eine erneute Kandidatur ist.

Zuma selbst kandidiert für das Amt des nationalen ANC-Vorsitzenden – ein höchst ungewöhnlicher Schritt, sind doch alle ehemaligen ANC-Präsidenten ohnehin dauerhaft zu allen Parteiversammlungen und -veranstaltungen geladen. Diese Entscheidung scheint einige seiner früheren Anhänger*innen verärgert zu haben. Tatsächlich hat Zuma derzeit nicht die Unterstützung seiner Heimatprovinz, da viele Dr. Zweli Mkhize als ANC-Präsidenten bevorzugen.

Der ANC hat es seit Jahren versäumt, die Frage der Nachfolge angemessen zu regeln. Die internen Spaltungen haben sich seit 2005, als Jacob Zuma als Vizepräsident Südafrikas abgesetzt wurde, immer weiter vertieft. Etwa zu dieser Zeit wurde deutlich, dass Mbeki daran interessiert war, ein drittes Mal für die Führung des ANC zu kandidieren, obwohl klar war, dass er nach den Wahlen 2009 nicht mehr Präsident Südafrikas sein würde. Viele befürchteten, dass diese Konstellation zur Entstehung zweier Machtzentren führen würde, und entschieden sich stattdessen dafür, Zuma als südafrikanischen Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen, da er bereits Vizepräsident des ANC war.

Eine gut geplante Nachfolge ist jedoch für das weitere Bestehen des ANC von entscheidender Bedeutung, da sie einer internen Spaltung und potenziell schädlichen Kampfkandidaturen entgegenwirkt. Im Vorfeld des kommenden Parteitags haben viele ehemalige Führungsmitglieder der ANCYL einen besseren Generationenmix innerhalb der ANC-Führung gefordert. Viele aus der ANCYL sind der Meinung, dass auf dem bevorstehenden Parteitag eine jüngere Person in die sogenannten «Top Six» gewählt werden sollte. Diese Ansicht scheint in der gesamten Organisation auf Zustimmung zu treffen.

Allerdings besteht wenig Einigkeit darüber, wer aus der jüngeren Generation nominiert werden sollte. Es wurden einige Namen für verschiedene Positionen in den «Top Six» vorgeschlagen. Zwei Namen wurden für das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden ins Gespräch gebracht: der derzeitige Justizminister und ehemalige stellvertretende Vorsitzende der ANCYL Ronald Lamola und die Tourismusministerin Nkhensani Kubayi, die als stellvertretende Provinzsekretärin des ANCYL in der Provinz Gauteng tätig war.

Es scheint, dass die meisten Kandidierenden für die Top Six Unterstützer*innen von Ramaphosa sind. Die Mitglieder aus den verschiedenen ANCYL-Generationen sind allerdings offenbar nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen. Tatsächlich haben sich die verschiedenen ANC-Generationen seit 1991 nicht ein einziges Mal auf gemeinsame Kandidierende einigen können. Das größte Problem scheint der ausgeprägte Führungswille aller Beteiligten zu sein, was einer gut organisierten Nachfolgeregelung umso mehr Gewicht verleiht.

Ungewisse Ergebnisse

Es ist davon auszugehen, dass der bevorstehende ANC-Parteitag einer der spannendsten, aber auch einer der chaotischsten wird. Ramaphosas zweite Amtszeit ist alles andere als garantiert, denn Mkhize hat deutlich mehr Nominierungen aus den Kommunen erhalten als erwartet, was auf eine starke Unterstützung durch die Basis schließen lässt.

Das Rennen spitzt sich zu und die laufenden Verhandlungen um die Zusammenstellung der Teams beider Kandidierenden sind turbulent. Ramaphosa hat zwar die Unterstützung der Mehrheit der Exekutivkomitees der Provinzen (PECs) erhalten, doch sichert ihm das keineswegs eine zweite Amtszeit. Sollte Ramaphosa verlieren, wäre er der erste ANC-Präsident, der in der Zeit nach der Apartheid keine zweite Amtszeit mehr antreten kann.

Paul Mashatile, derzeit Schatzmeister des ANC, wird wahrscheinlich der nächste stellvertretende Präsident werden. Zu den Kandidierenden für die Nachfolge von Mashatile als Schatzmeister gehören der derzeitige ANC-Sprecher Pule Mabe, der ehemalige Schatzmeister der ANCYL, und der derzeitige Berater von Präsident Ramaphosa, Bejani Chauke.

Jemand, der möglicherweise sein Amt ablegen muss, ist der Minister für Mineralien und Energie, Gwede Mantashe, ein weiterer Verbündeter Ramaphosas, der aber hofft, seine Position als nationaler ANC-Vorsitzender zu behalten. Mantashe, der von 2007 bis 2017 Generalsekretär der Partei war, ist eine sehr umstrittene Figur, die in den letzten zehn Jahren stark in die Flügelkämpfe des ANC verwickelt war. Als Minister für Mineralien und Energie forderte er angesichts der massiven Stromausfälle im Land den Ausbau von Kohle- und Gaskraftwerken. Manche sehen in ihm ein Relikt aus Südafrikas fossil geprägter, kapitalistischer Vergangenheit, das einer klimaresistenten Wirtschaft im Weg steht. Da seine Popularität schwindet, scheint sein Wiedereinzug in die «Top Six» unwahrscheinlich.

Lässt sich der Niedergang des ANC umkehren?

Unabhängig davon, wer aus dem nächsten Parteitag als Sieger*in hervorgeht, scheint der Niedergang des ANC unausweichlich. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr rutschte der ANC erstmals unter 50 Prozent, und eine Erholung in der Wählergunst scheint bis 2024 unwahrscheinlich. Zudem werden die internen Spaltungen wohl über den Parteitag hinaus andauern und die Position der Partei weiter schwächen. Die nächste Führung wird also vor einer gewaltigen Aufgabe stehen.

Der ANC wird wahrscheinlich die strategisch äußerst wichtige Provinz Gauteng verlieren, in der sich die Hauptstadt Tshwane, mit Johannesburg das wirtschaftliche Zentrum des Landes und der Industriesektor befinden. Der ANC hat dort 2019 nur 50,19 Prozent der Stimmen erhalten und erleidet seit über einem Jahrzehnt Verluste in dieser Provinz. Die Wähler*innen wenden sich zunehmend von der Partei ab, weil sie zu sehr in parteiinternen Auseinandersetzungen verstrickt ist und viele den Eindruck haben, dass die Parteispitze mehr daran interessiert ist, sich die Taschen zu füllen als für den Wohlstand der Bürger*innen zu sorgen.

Diese heftigen Auseinandersetzungen liegen in der Struktur der südafrikanischen Wirtschaft begründet, die immer noch von einer kleinen Elite kontrolliert wird. Da die meisten Südafrikaner*innen nur knapp über der Armutsgrenze leben und der Sozialstaat nach wie vor leidlich unterentwickelt ist, sehen viele ein politisches Amt als einen der wenigen Wege aus der Armut, der Zugang zu Geschäftsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen verspricht. Solange der ANC diese tiefgreifende Ungleichheit weiterhin verfestigt, statt sie zu verringern, wird die Partei weiterhin von internen Streitigkeiten geplagt werden, da konkurrierende Gruppen sich zu bereichern versuchen.

Mit Blick auf die Wahlen im Jahr 2024 ist der ANC besonders durch ein Urteil des Verfassungsgerichts vom Juni 2020 bedroht, das ein Verbot unabhängiger Kandidaturen bei den Parlamentswahlen für verfassungswidrig erklärt hat. Da unabhängige Kandidaturen nun erstmals erlaubt sind, könnten sich auch ANC-Mitglieder, die mit den Ergebnissen des bevorstehenden Parteitags unzufrieden sind, dafür entscheiden, auf eigene Faust zu kandidieren, was die Parteibasis weiter zersplittern und der Abwärtsspirale Auftrieb verleihen würde.

Übersetzung von Conny Gritzner und Sebastian Landsberger für Gegensatz Translation Collective.