Nachricht | Südliches Afrika - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit «Der Globale Norden muss jetzt seine Schulden bezahlen»

Interview mit Sunny Morgan, Mitbegründer der Kampagne «Debt for Climate»

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Sunny Morgan, Nadja Charaby,

Sunny Morgan auf einer Kundgebung von «Debt for Climate». Foto: Debt for Climate

Am 27. Februar 2023 jährt sich das Londoner Abkommen zum siebzigsten Mal. Zahlreiche Staaten hatten sich Anfang der 1950er Jahre in der britischen Hauptstadt darauf geeinigt, der BRD rund die Hälfte ihrer Auslandsschulden zu erlassen und die Konditionen für die restlichen Schulden neu zu verhandeln. In diesem Jahr fordern Aktivist*innen, dieses Vorgehen auch auf den Globalen Süden zu übertragen. Wie die Kampagne Debt for Climate (Schuldenerlass für das Klima) erklärt, geht es dabei auch um Klimaschutz – denn die hoch verschuldeten Länder des Globalen Südens sind weder in der Lage, den Umbau auf eine klimafreundlichere Wirtschaftsweise zu stemmen noch können sie sich vor den Folgen der Erderwärmung schützen.

Sunny Morgan ist Klimaaktivist aus Südafrika. Er ist Teil der dortigen Rise-Up-Bewegung und Mitbegründer von «Debt for Climate». Seinen Aktivismus begann er im Kampf gegen die Apartheid in den 1980er Jahren, inzwischen er ist seit fast 45 Jahren in sozialen Bewegungen aktiv. Er besitzt und betreibt ein Unternehmen für Solaranlagen.

Im Interview mit Nadja Charaby spricht der südafrikanische Aktivisten Sunny Morgan von «Debt for Climate» über die Forderungen der Aktivist*innen und die Zusammenhänge zwischen Klima, Schulden und Kolonialismus.

Sunny, du bist einer der Begründer von «Debt for Climate». Was bedeutet der Name der Kampagne, und was ist das Ziel der Aktionen?

Unser Ziel ist es, dass dem Globalen Süden alle Schulden bei der Weltbank und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) erlassen werden. Das ist direkter Klimaschutz, denn Schulden und Klima hängen zusammen: Der Globale Süden muss fossile Brennstoffe für den Export finden und fördern, um durch ihren Verkauf Deviseneinninnahmen zu erzielen. Diese Einnahmen fließen oft direkt in den Schuldendienst, meist für Zinszahlungen. Die massiven Schuldenrückzahlungen aber lähmen die Länder des Globalen Südens: Sie können den Angestellten des öffentlichen Dienstes keine angemessenen Löhne zahlen, ihren Bürger*innen keine medizinische Grundversorgung bieten und sich – wie während der Covid-Pandemie zu sehen war – nicht einmal Impfstoffe leisten. Die Zinsen der Weltbank dagegen werden weiter bedient. Der Schuldenschnitt wird es diesen Ländern ermöglichen, die Bedürfnisse ihrer Bürger*innen zu befriedigen, soweit möglich auf erneuerbare Energien umzusteigen und eine nachhaltige Infrastruktur aufzubauen. Ein solcher Erlass ist also dringend erforderlich und der Globale Norden muss sich hinter diese Forderung stellen.

Ihr bringt die Verschuldung nicht nur mit der Klimakrise in Verbindung, sondern auch mit dem Kolonialismus. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Kolonialismus, Klimawandel und der Schuldenkrise im Globalen Süden, besonders in Afrika?

Die Klimaschulden des Globalen Nordens hängen mit seiner Schuld für die Jahrhunderte der Sklaverei und des Kolonialismus zusammen. Die Ausbeutung von Ressourcen des Globalen Südens, beginnend mit der industriellen Revolution, hat die Klimakrise herbeigeführt. Der Wert dieser extrahierten Ressourcen, die bis heute aus dem Süden in den Norden fließen, stellt also eine noch immer nicht beglichene Schuld dar. Die Indigenen und ihr Land wurden ausgebeutet, ihre Kultur und Lebensgrundlagen zerstört. Der Globale Norden muss jetzt seine Schulden bezahlen, weil er für dieses Unrecht verantwortlich ist. Afrika dagegen ist für weniger als vier Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich, wird aber am stärksten unter den Folgen leiden. Das ist extrem ungerecht. Afrika verzeichnet bereits jetzt einen Temperaturanstieg von 1,2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau. In trockeneren Regionen nehmen Dürren zu, in feuchteren Gebieten kommt es zu Sturzregen und Überschwemmungen. Extreme Wetterereignisse wie Wirbelstürme werden häufiger. All das ist auf den Klimawandel zurückzuführen, das ist wissenschaftlich bestätigt. Die Klimakrise ist also keine Zukunftsmusik, sondern wirkt sich bereits jetzt auf die Region aus. Unsere Bevölkerung wird bald zehn- bis hundertmal so viele Extremereignisse erleben und das macht mir Angst.

Was fordert ihr von reichen Ländern wie Deutschland und von der EU? Welche Rolle können oder sollten die Vereinten Nationen spielen?

Deutschland soll die Forderung von Aktivist*innen und Indigenen nach einem Schuldenerlass unterstützen. Deutschland sollte anerkennen, wie sehr es selbst vom Schuldenerlass nach dem Zweiten Weltkrieg profitiert hat. Auch den hoch verschuldeten Ländern des Globalen Südens sollte auf diese Weise geholfen werden. Deutschland kann seinen Einfluss als stimmberechtigtes Mitglied der Weltbank und des IWF nutzen und dieser Forderung Nachdruck verleihen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat «Debt for Climate» im vergangenen Juni eben dies versprochen, sich aber nicht daran gehalten. Wir werden ihn jetzt zur Rechenschaft ziehen. Auf der nächsten Tagung von Weltbank und IWF im April soll er diese Forderungen endlich einbringen. Auch die EU muss die Forderung nach Schuldenerlass mit Blick auf ihre Mitgliedstaaten ernst nehmen. Schließlich waren die meisten von ihnen Kolonialstaaten und haben daher die Pflicht, ihren Beitrag zu leisten. Was die Vereinten Nationen betrifft, so ermutigen mich die Aussagen des Generalsekretärs António Guterrez. Er hat die Dringlichkeit der Klimakrise erkannt und die fossilen Energiekonzerne für ihre Doppelzüngigkeit kritisiert. Die UNO spielt eine wichtige Rolle: Sie sollte die Demokratisierung der Weltbank und des IWF fordern. Es ist empörend, dass im Jahr 2023 immer noch ein*e US-Amerikaner*in der Weltbank vorstehen muss und ein Mitglied der Europäischen Union das Präsidium des IWF übernimmt. Es ist höchste Zeit, diese Missstände zu beseitigen. Die nächsten Vorsitzenden dieser Institutionen müssen nach dem Rotationsprinzip aus dem Globalen Süden kommen. Das ist unsere absolute Minimalforderung. Wir verlangen also von den Vereinten Nationen, mutig eine Führungsrolle zu übernehmen und diese Forderungen im Namen des Globalen Südens vorzutragen, auch wenn die Organisation selbst sich mit der Forderung nach einer Umstrukturierung konfrontiert sieht.

Und welche spezifische historische Verantwortung haben die Großkonzerne, insbesondere die der fossilen und extraktiven Industrie?

Nicht nur Weltbank und IWF, sondern auch multinationale Konzerne sind für die hohe Verschuldung des Globalen Südens verantwortlich. Viele dieser Unternehmen haben mit korrupten Regierungspolitiker*innen und zwielichtigen Investor*innen zusammengearbeitet. Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent finanzieren Unternehmen wie BlackRock die Exploration und Förderung von Öl und Gas, was katastrophale Folgen für die Umwelt und die indigene Bevölkerung hat. Auch heute noch finanzieren Großbanken Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe, die mit dem 1,5-Grad-Klimaziel unvereinbar sind. Diese Großkonzerne und Finanzinstitutionen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, und die Zivilgesellschaft muss sie weiter für ihre Rolle bei der Zerstörung des Planeten anprangern. Wir müssen auf die Verabschiedung von Ökozidgesetzen drängen, die harte Strafen bis hin zu Gefängnisstrafen für Führungskräfte und Vertreter*innen dieser Unternehmen vorsehen, die uns alle in Gefahr bringen.

Ihr habt euch den 27. Februar, den 70. Jahrestag des Londoner Abkommens über deutsche Auslandsschulden, als internationalen Aktionstag ausgesucht. Warum dieses Datum, und welche Aktionen sind geplant?

Der 27. Februar 1953 ist der Tag des Londoner Abkommens: An diesem Tag kamen verschiedene Staaten zusammen, um der BRD rund 50 Prozent ihrer Schulden zu erlassen. Das war nur acht Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und für Deutschland war das ein Befreiungsschlag. Die verbleibenden Schulden wurden zu sehr günstigen Konditionen neu verhandelt – verglichen mit den Bedingungen, die heute im Globalen Süden üblich sind. Dort müssen die Länder heute ihre Schulden zu hohen Zinssätzen und in Fremdwährungen vor fast allen anderen Ausgaben begleichen. Die damaligen Vorteile für Deutschland haben sich in einer stabilen Wirtschaft niedergeschlagen. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft Europas und die viertgrößte der Welt. Wir sagen: Was 1953 für Deutschland gut war, sollte 2023 für den Globalen Süden nur recht und billig sein. Wir werden uns auf Deutschland konzentrieren, und Aktivist*innen werden vor deutschen Botschaften in aller Welt protestieren. Wir werden dem deutschen Finanzminister Christian Lindner einen Forderungskatalog übergeben. Deutschland soll seine Macht in der Weltbank und im IWF nutzen, um einen Schuldenerlass für den Globalen Süden zu fordern, insbesondere für die derzeit am höchsten verschuldeten Länder. Deutschland hat kürzlich eine neue Strategie für den Umgang mit dem Globalen Süden und Afrika angekündigt. Das Land bekennt sich zu seiner kolonialistischen Vergangenheit. Das wäre also der perfekte Zeitpunkt für Deutschland, seinen Worten Taten folgen zu lassen und die weltweite Forderung nach einem Schuldenerlass zu unterstützen.

Wie können Klimaaktivist*innen eure Kampagne hier in Deutschland unterstützen?

Damit diese Kampagne erfolgreich ist, benötigen wir die Unterstützung der ganzen Gesellschaft, vor allem der Arbeiter:innen und Angestellten und der Gewerkschaften. Sie haben die Macht, ihre Arbeit niederzulegen, und können so die Unternehmen an den Verhandlungstisch zwingen. Wir wollen auch, dass die Zivilgesellschaft und die Klimabewegungen erkennen, dass wir mit einem Schuldenschnitt für den Globalen Süden direkt etwas gegen den Klimawandel tun: Wenn die Schulden erlassen werden, kann der Globale Süden fossile Brennstoffe und andere Bodenschätze im Wert von Billionen US-Dollar im Boden lassen.