Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Westafrika Spannungen und Turbulenzen an den Wahlurnen

Vorwürfe von Wahlbetrug und Einschüchterung überschatten die nigerianischen Wahlen.

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Dung Pam Sha,

Anhänger der Peoples Democratic Party protestieren gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Abuja, Nigeria, 6. März 2023. Foto: IMAGO / NurPhoto

In Nigeria fanden am 25. Februar die Wahlen für die Präsidentschaft und die Nationalversammlung mit 18 Parteien und mindestens vier Kandidat*innen statt. Nach der vollständigen Stimmenauszählung wurde Bola Ahmed Adekunle Tinubu vom All Progressives Congress (APC) zum Sieger erklärt. Doch mit etwa einem Drittel der Stimmen war sein Sieg keineswegs überwältigend, und seine Gegner*innen wollen das Ergebnis anfechten.

Dung Pam Sha ist Professor für politische Ökonomie und Entwicklungsstudien an der Universität von Jos, Nigeria.

Das Präsidialamt und die Sitze in der Nationalversammlung sind hart umkämpft. Ihre Inhaber*innen kontrollieren die Verteilung des Wohlstands im Land, der aus dem Export von fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas stammt. Der*Die Präsident*in, die Minister*innen und die Nationalversammlung verteilen den Reichtum über verschiedene Etats, und oft werden Freund*innen und Kumpan*innen Staatsaufträge zugeschanzt. Davon werden einige an in- und ausländische Unternehmen im Rahmen der Projektförderung weitervergeben.

Eine weitere Quelle des Reichtums in der politischen Kaste Nigerias ist der Besitz von Ölquellen, der sich fest in der Hand von wenigen Personen befindet, die oft unter einer Decke stecken. Auf der Ebene des Staates wird eine Auseinandersetzung um die Verteilung des Reichtums ausgetragen – und zwar eine äußerst erbitterte.

Die Kontrolle über die staatlichen Institutionen, die für Wahlen zuständig sind, gehört zum politischen Kalkül der herrschenden Klasse dazu. Meist wird die Qualität der Wahlvorgänge durch diese Kämpfe beeinträchtigt. Da die endgültigen Ergebnisse angefochten werden und es im ganzen Land zu gewalttätigen Protesten kommt, scheint es auch bei dieser Wahl nicht anders gewesen zu sein.

Schlampige Auszählungen und befürchtete Wahlfälschung

Die nigerianische Wahlkommission INEC konnte Bürger*innen zur Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen mobilisieren. Sie hat ihr Versprechen eingehalten, die Wahlen nicht zu verschieben, obwohl Sicherheitsbedenken sowie wirtschaftliche und politische Gründe dafür gesprochen hätten. Sie setzte sich für die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes ein, trat zur politischen Bildung in einen Dialog mit der Zivilgesellschaft und entwickelte dezentrale Strategien, um die Bürger*innen zu ermutigen, ihre dauerhaften Wahlausweise (Permanent Voters Cards, PVC) abzuholen. Meine Prognose, dass die INEC durch menschliches Versagen oder vorsätzliche und politisch motivierte Sabotage seitens einiger Mitarbeiter*innen behindert würde, hat sich jedoch bewahrheitet, da Wahlunterlagen und -geräte manipuliert wurden.

Die Wahlorganisation insgesamt ließ zu wünschen übrig: Das kurzfristig angeheuerte INEC-Personal kannte sich in den Wahlverfahren nicht gut genug aus. An den meisten Orten öffneten die Wahllokale verspätet, während anderswo überhaupt keine Wahl möglich war. In mindestens einem Fall fehlten Parteisymbole auf den Stimmzetteln. In einigen Wahllokalen fehlte die Tinte zum Stempeln von Stimmzetteln und zur Aufnahme von Daumenabdrücken, während die Wahlkabinen an vielen Standorten die Kriterien für geheime Wahlen nicht erfüllten.

Weitere Probleme hingen mit dem bimodalen Wählerzulassungssystem BVAS zusammen, einem elektronischen Ausleseverfahren für Wahlausweise. Manche BVAS wurden manipuliert und konnten Wähler*innen nicht bestätigen, in einigen Gebieten kamen sie überhaupt nicht zum Einsatz. Andernorts konnten die kurzfristig angestellten Mitarbeiter*innen sie nicht bedienen. Die Ergebnisse konnten nicht an die INEC-Server übermittelt werden, weil manipulierte BVAS nicht funktionierten oder INEC-Mitarbeiter*innen den Upload verweigerten.

Erschwerend kam die politische Gewalt von Schlägertrupps im Vorfeld der Wahlen und am Wahltag selbst hinzu. Wenige Tage vor den Wahlen wurde der Senatskandidat der Labour Party im Bundesstaat Enugu mit fünf weiteren Genoss*innen ermordet. Am Vorabend der Wahlen kamen bei Zusammenstößen zwischen dem APC und der New Nigeria People’s Party (NNPP) im Bundesstaat Kano drei Menschen ums Leben.

In Gwoza im Bundesstaat Borno kam es zu tödlichen Angriffen von Aufständischen, bei denen eine Tankstelle in der Nähe des INEC-Büros angegriffen und einige Bürger*innen verletzt wurden. Auch in den Bundesstaaten Niger und Kebbi kam es am Wahltag zu Angriffen, durch die potenzielle Wähler*innen abgeschreckt werden sollten.

Stimmzettel und Wahlurnen wurden gestohlen, in manchen Staaten wie Delta, Katsina und Anambra auch BVAS. Wahlen wurden gewaltsam gestört, Wähler*innen von der Stimmabgabe abgehalten und Stimmen gekauft. Das alles beeinträchtigte den Wahlablauf enorm.

Internationale Beobachter*innen der ECOWAS, der Afrikanischen Union, des Commonwealth, der Europäischen Union, des National Democratic Institute und des National Republican Institute waren sich einig, dass tödliche Gewalt und Kriminalität die Durchführung der Wahlen in einigen Wahllokalen verhindert haben. Sie betonten auch die schlechte Wahlverwaltung insgesamt und die mangelhafte Kommunikation der INEC.

Inländische Beobachtergruppen wie YIAGA Africa, die Transition Monitoring Group (TMG), der nigerianische Civil Society Situation Room und der nigerianische Labour Congress bezeichneten die Wahlen als schäbig und begründeten sie mit weitverbreiteter Manipulation und Einschüchterung. Gewerkschaftsvertreter*innen sagten, dass der Wille des Volkes untergraben worden und die nächste Regierung daher nur schwach legitimiert sei – das werde auch Auswirkungen auf die Reformvorhaben des nächsten Präsidenten haben.

Geringe Wahlbeteiligung und regionale Konsolidierung

Die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen war überraschend gering. Von den 93,4 Millionen registrierten nigerianischen Wähler*innen nahmen laut INEC etwa 25 Millionen oder etwa 25,7 Prozent teil. Das lässt sich durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren erklären. Die Bürger*innen konnten ihr Wahlrecht nicht ausüben, weil das manipulierte BVAS nicht funktionierte. Viele andere Wähler*innen gaben angesichts der langen Warteschlangen vor den Wahllokalen frustriert auf und wählten nicht. Wo die Wahlen gewaltsam gestört oder anderweitig verhindert wurden, wurden die Stimmen nicht gezählt. Wo Gewalt angekündigt wurde, blieben die Bürger*innen zu Hause. Die lokalen politischen Eliten konnten so weitgehend sicherstellen, dass die Beteiligung ihrem Einfluss entsprach.

Diese Trends zeigten sich im Wahlergebnis. Der oben erwähnte APC siegte im westlichen Teil des Landes, was die Herkunft seines Kandidaten und Stellvertreters entsprach. Die Peoples Democratic Party (PDP) gewann in den Staaten im Osten Nigerias, wo ihr Kandidat herkam. Die Siege der Labour Party verteilten sich stärker auf das ganze Bundesgebiet. Die NNPP war nur im Bundesstaat Kano siegreich. Insgesamt haben die Bürger*innen aber wohl nach der Person, der ethnischen Zugehörigkeit und der Religion der einzelnen Kandidat*innen gewählt.

Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen haben die politische Landschaft des Landes leicht verändert. Der einheitliche Norden ist zersplittert, während der Westen allmählich monolithisch wird. Auch der Osten konsolidiert sich und bildet einen Block. Diese Entwicklung ist durch die Allianz zwischen Politiker*innen aus dem Nordwesten und Südwesten des Landes und denen aus dem Nordwesten und Südosten sowie durch das Wiedererstarken der Labour Party entstanden.

Es bleibt abzuwarten, ob sich das Muster bei den Wahlen zur Nationalversammlung sowie für die am 11. März stattfindenden Wahlen für die Gouverneursämter und die Parlamente der Bundesstaaten wiederholen wird. Die Ergebnisse der Wahlen zur Nationalversammlung werden wahrscheinlich die gleiche politische Landschaft hervorbringen. Die endgültigen Ergebnisse wird die INEC allerdings erst noch bekannt geben.

Fortschritt und Protest

Nach den offiziellen Ergebnissen gewann der designierte Präsident Bola Ahmed Adekunle Tinubu 8.794.726 Stimmen, Atiku Abubakar von der PDP 6.984.520, Peter Obi von der Labour Party 6.101.533 und Rabiu Kwankwaso von der NNPP 1.496.687. Die APC, PDP und Labour eroberten jeweils zwölf Staaten, während die NNPP einen Staat gewann.

Die nigerianische Verfassung sieht vor, dass ein Kandidat, um Präsident zu werden, sowohl eine Mehrheit der landesweit abgegebenen Stimmen als auch mindestens 25 Prozent in allen 36 Bundesstaaten und dem Hauptstadtterritorium, dem Federal Capital Territory (FCT), gewinnen muss. Tinubus Status als designierter Präsident wird in diesem Punkt wahrscheinlich infrage gestellt werden, da seine Partei in der FTC nur 20,14 Prozent gewonnen hat. Benachteiligte Kandidat*innen werden sich auf gerichtlichem Wege gegen vermeintliche Wahlunregelmäßigkeiten und -ungerechtigkeiten wehren.

Die Bekanntgabe der Ergebnisse führte zu zahlreichen Protesten in der Bevölkerung. Die von der PDP angeführten zwölf Oppositionsparteien verließen demonstrativ das National Result Collation Centre in Abuja mit der Begründung, dass die INEC gegen die Wahlrichtlinien verstoßen habe, wonach für die Zulassung und die Übermittlung der Ergebnisse an das INEC-Ergebnisportal (IReV) das BVAS zu verwenden sei. Manuelles Wählen und eine manuelle Übermittlung der Ergebnisse durch die politischen Parteien sei nicht erlaubt und öffne der Wahlfälschung Tür und Tor.

Dieser Protest führte zu einer Legitimitätskrise und verstärkte das Misstrauen gegenüber den Wahlbehörden in der Bevölkerung. Derzeit bereiten sich PDP und Labour darauf vor, den Sieg des APC anzufechten. Sie haben die Untersuchung von Wahlunterlagen und -geräten beantragt. So wollen sie nachweisen, dass die INEC gegen das Wahlgesetz verstoßen hat, als sie versucht hatte, die Präsidentschaftswahlen abzusagen. Auch die Missachtung der verfassungsrechtlichen Voraussetzung der 25 Prozent im FCT, die der APC nicht erreicht hat, werden sie bemängeln. Der APC hat das Handeln und Nichthandeln der INEC im Kontext der Wahlen verteidigt und ihre Gegner aufgefordert, vor Gericht zu gehen.

Seit der Verkündung der Wahlergebnisse gibt es Proteste von verschiedenen Gruppen junger Menschen und der Zivilgesellschaft des Landes. Teilweise kam es zu Ausschreitungen. Dabei wurden etwa folgende Slogans gerufen: «Die INEC ist parteiisch», «Die INEC ist korrupt», «Die Nigerianer*innen haben es satt, dass Wahlen kaputt gemacht werden», «Die Nigerianer*innen haben das Vertrauen in die INEC verloren», «Sagen Sie die Parlamentswahlen 2023 ab», «Wir stehen für Gerechtigkeit – wir kämpfen für ein neues Nigeria». Daran zeigt sich, wie frustriert die Wähler*innen und die meisten Bürger*innen sind. Sie fühlen sich betrogen und ihre Hoffnungen enttäuscht. Landesweite Appelle richteten sich an die Demonstrierenden und die Jugend, Ruhe zu bewahren und Beschwerden über die Wahlen angemessen zu äußern.

Ein harter Vorschlag

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Nigeria könnte sich auf die für den 11. März angesetzten Regionalwahlen auswirken. Entweder kommt es zu einem allgemeinen Verdruss und die Wahlbeteiligung wird gedrückt. Oder aber die Wähler*innen gehen gerade deswegen in die Wahllokale, um sicherzustellen, dass die alten Parteien nicht wieder an die Macht kommen.

Die Ergebnisse der nigerianischen Präsidentschaftswahlen bestärken die Vorstellung, dass bürgerliche Staaten, die ihre Volkswirtschaften, ihre Politik und ihr soziales Leben um eine einzige Ressource wie Öl organisieren, einen gefährlich kompetitiven Wettbewerb um den Zugang zu Wohlstand erfahren. Das hat weiterreichende negative Auswirkungen auf die staatlichen Institutionen und auf die Qualität der Verwaltung. Darüber hinaus verschlimmern Klassenunterschiede, die in ethnischer Zugehörigkeit und Religion wurzeln, die Spaltung des Landes. Die mangelnde Unabhängigkeit der Wahlbehörden schwächt das Vertrauen der Bürger*innen in die Institutionen und die Personen an ihrer Spitze.

Die politischen Aktionen der Bevölkerung haben jedoch das Potenzial, die politische Landschaft in Nigeria zu verändern. Das wachsende Interesse junger Menschen an Politik kann in einem Land mit einem hohen Jugendanteil die Dynamik und Qualität der Politik insgesamt beeinflussen. Der neue Präsident und die Parteien sollten dies bei der Ausarbeitung von Strategien und Programmen berücksichtigen.

Der designierte Präsident Tinubu ist 71 Jahre alt. Er ist gelernter Buchhalter und war von 1999 bis 2007 Gouverneur des Bundesstaates Lagos und nigerianischer Senator für Lagos West in der Dritten Republik. Er ist ein konservativer, marktwirtschaftlich orientierter Reformer, der die Privatisierung von Staatsunternehmen, die Abschaffung von Subventionen, insbesondere für Erdölprodukte, und die Disziplinierung von Arbeiter*innen und Gewerkschaften gefordert hat.

Wenn das Wahlgericht seine Wahl bestätigt, steht er vor mehreren Schwierigkeiten. Zunächst muss er ein Kabinett mit einer ausgewogenen Mischung bilden, und zwar mit einer Partei, die nicht für Inklusivität bekannt ist. Der APC muss die richtige Anzahl von Politiker*innen und Technokrat*innen auswählen und gleichzeitig die ethnische und politische Vielfalt berücksichtigen. Er muss ein Führungsmodell mit einer neuen patriotisch-nationalistischen Ausrichtung etablieren.

Zudem müssen sich der Präsident und seine Partei der Realität stellen, dass sie es mit einer gespaltenen Nation zu tun haben. Sie sollten konkrete Maßnahmen in die Wege leiten, um die Wunden, die durch die Wahlen entstanden sind, zu heilen, etwa durch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Dies wird der neuen Regierung auch helfen, sich mit den vielen Fragen im Zusammenhang mit der Legitimität der Wahl zu befassen.

Die vielleicht wichtigste Aufgabe des neuen Präsidenten wird aber wohl darin bestehen, einen Umgang mit der Wirtschaftsflaute zu finden, ohne seine Unterstützer*innen darunter leiden zu lassen. Die Partei wird eine Strategie entwickeln müssen, wie sie mit der Arbeitslosenquote von 33,3 Prozent, einer Inflationsrate von 21,34 Prozent, einer Staatsverschuldung von etwa 101,91 Milliarden USD, einem BIP-Wachstum von nur 3 Prozent und einer multidimensionalen Armut von 63 Prozent der Nigerianer*innen umgehen kann. Er wird sich auch der weitverbreiteten Korruption und den anhaltenden Schwierigkeiten bei der Erbringung öffentlicher Leistungen stellen müssen.

Bei all diesen Aufgaben werden der Präsident und seine Partei in einer Atmosphäre, in der viele Bürger*innen seine Legitimität weiterhin infrage stellen, ein Gleichgewicht zwischen harten politischen Entscheidungen und populistischen Maßnahmen finden müssen. Diese Situation wird es schwierig machen, mit ernsthaften Reformen fortzufahren, was wiederum das Ansehen der Regierung in den Augen der internationalen Gemeinschaft beeinträchtigen wird. Tinubu mag zwar die Wahlen gewonnen haben, aber jetzt muss er noch das restliche Nigeria und dessen internationale Partner*innen für sich gewinnen.

Übersetzung von André Hansen & Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective.