Nachricht | Stadt / Kommune / Region - Wohnen «Urbane Transformation ist unser Leitthema»

Katrin Lompscher über progressive Ansätze der kooperativen Stadtentwicklung

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Berlin, 5.2.2023: Jahresempfang der Hermann-Henselmann-Stiftung mit Katrin Lompscher und Thomas Flierl
Berlin, 5.2.2023: Jahresempfang der Hermann-Henselmann-Stiftung mit Katrin Lompscher und Thomas Flierl Foto: Patricia Haas

Die gemeinnützige Hermann-Henselmann-Stiftung wurde 2005 von Rechtsanwalt Dr. Andreas Henselmann, Sohn des Architekten Hermann Henselmann (1905–1995) gegründet. Die Stiftung befördert die Auseinandersetzung mit Fragen von Architektur, Städtebau und sozialer Stadtentwicklung. Die rechtlich unselbstständige Stiftung wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung treuhänderisch betreut, wirkt aber im Rahmen ihrer Satzung inhaltlich selbständig.

Vorstandsvorsitzender war bis Ende 2022 der Kulturwissenschaftler, Bauhistoriker, Autor und ehemalige Kultursenator von Berlin (2002 bis 2006) Dr. Thomas Flierl. Im Januar 2023 übernahm Katrin Lompscher, u.a. von 2016 bis 2020 Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen des Landes Berlin und davor seit 2012 Mitglied des Vorstands, den Vorsitz der Stiftung. Im Vorstand wirken weiter mit: Florentine Anders, Journalistin und Vertreterin der Stifterfamilie und Stefan Thimmel, Referent für Wohnungs- und Stadtpolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das Interview mit Katrin Lompscher führte Stefan Thimmel, Referent für Wohnungs- und Stadtpolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Stefan Thimmel: Im offiziellen Eintrag der Bundesstiftung Baukultur ist über die Hermann-Henselmann-Stiftung zu lesen: «Die Stiftung befördert die Auseinandersetzung mit Fragen von Architektur, Städtebau und sozialer Stadtentwicklung. Sie will dabei nicht nur an das Werk Hermann Henselmanns erinnern, sondern auch und vor allem die sozialen und kulturellen Aspekte des Bauens der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart behandeln.» Anfang des Jahres hast du von Thomas Flierl, dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Hermann-Henselmann-Stiftung die Leitung der 2005 gegründeten Stiftung übernommen. Was ist für dich der Wert der Hermann-Henselmann-Stiftung? Worin liegt ihre Bedeutung?

Katrin Lompscher: Die Hermann-Henselmann-Stiftung schließt seit ihrer Gründung eine Lücke auf dem weiten Feld der Stadtentwicklung in Deutschland – nämlich die Auseinandersetzung mit dem städtebaulichen Erbe der Nachkriegszeit insbesondere in Berlin und Ostdeutschland. Diese städtebauliche Moderne in ihrer besonderen Ausprägung als sozialistische Architektur und Stadtplanung geriet nach den gesellschaftlichen Umbrüchen nicht nur ins Hintertreffen bei den Debatten um und bei den Planungen für die Zukunft der Stadt, sie wurde aktiv diskreditiert und ihre Qualitäten wurden negiert. Das war Teil der gesellschaftlichen Kontroverse um das Erbe der DDR insgesamt. Diese Auseinandersetzungen verliefen zeitlich parallel mit den Planungen für eine nachholende Modernisierung der ostdeutschen Städte nach kapitalistischen Spielregeln. Die Protagonist*innen der Hermann-Henselmann-Stiftung haben sich bereits seit den 1990er Jahren aktiv an den Debatten um die Berliner Stadtplanung beteiligt. Nach der Gründung der Stiftung ist dieses Engagement in eigenen Veranstaltungen, Stellungnahmen und Publikationen gebündelt worden.

Der Anspruch der Stiftung war und ist, zu aktuellen Problemen und Vorhaben der Berliner Stadtentwicklung Denkanstöße zu geben und Vorschläge zu machen. Und dies in inhaltlichen Allianzen mit einem fundierten fachlichen und gesellschaftspolitischen Anspruch. Die kritische Begleitung der Planungen für die Berliner Mitte, die Initiierung und Unterstützung des Antrages auf den Welterbestatus für die wichtigsten Ensembles der Nachkriegsmoderne in Berlin – die Karl-Marx-Allee, das Hansa-Viertel und das Corbusier-Haus – sind dafür die wichtigsten Beispiele.

Neben der Architekturgeschichte der DDR und der Nachkriegsmoderne bildet die Stadtgeschichte Berlins ein wichtiges Handlungsfeld der Hermann-Henselmann-Stiftung. 2012 erinnerte die Stiftung mit einer Fachveranstaltung an den 150. Jahrestag des Hobrecht-Plans für Berlin, der bis heute ein wichtiges Rückgrat der Stadtentwicklung bildet. 2015 hat sie ein mehrjähriges Programm unter dem Titel «100 Jahre Groß-Berlin» konzipiert, das 2022 mit der letzten Publikation einer fünfbändigen Reihe zu Fragen des Wohnens, des Verkehrs, der Grünentwicklung, der Planungskultur und der regionalen Perspektive abgeschlossen wurde.

Mit solchen Projekten ist es der Hermann-Henselmann-Stiftung gelungen, sich einen Namen zu machen und ein breites Publikum zu erreichen. Das wäre ohne das Engagement und die Expertise des langjährigen Vorsitzenden Dr. Thomas Flierl nicht möglich gewesen. Daran anzuknüpfen bleibt eine große Herausforderung.

Wer war für dich der Architekt Hermann Henselmann (* 3. Februar 1905 in Roßla; † 19. Januar 1995 in Berlin)? Welche Bedeutung hat er für dich? Als ausgebildete Baufacharbeiterin und Diplom-Ingenieurin für Städtebau hast du ihn ja selbst noch erlebt, oder?

Hermann Henselmann habe ich persönlich nicht erlebt. Sein Werk ist jedoch allgegenwärtig und war mir spätestens seit dem Studium an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar, wo er nach dem Krieg der erste Rektor war, ein Begriff. Er hat eine bedeutende Rolle für die Nachkriegsentwicklung der Städte, insbesondere der Stadtzentren in der DDR gespielt. Das gilt in besonderem Maße für Berlin. Das Hochhaus an der Weberwiese, Karl-Marx-Allee, Fernsehturm, Haus des Lehrers und Kongresshalle prägen bis heute die Berliner Mitte. Die gelungene Verbindung von sozialem und baukünstlerischem Anspruch ist bis heute beispielgebend. Werk und Leben dieses bedeutenden Gestalters und seiner Kolleg*innen wach zu halten und weiter zu erforschen, bleibt ein wichtiges Feld unserer Arbeit auch in Zukunft. Die Qualitäten der DDR-Architektur begreifbar zu machen, zu dokumentieren und zu verteidigen gegen revisionistische, teilweise gedankenlose, teilweise gezielte Angriffe und Abwertungsversuche – das zieht sich wie ein roter Faden durch das Wirken der Hermann-Henselmann-Stiftung.

Was sind deiner Meinung die besonderen Beiträge, die die HHS in Zukunft in Bezug auf die oben beschriebenen Auseinandersetzungen leisten kann? Was sind die Pläne und wichtigsten Projekte für die nächsten Jahre?

Die Hermann-Henselmann-Stiftung wird auch künftig mit Veranstaltungen, Publikationen und Fachtagungen die Fragen der Stadtentwicklung und des Umgangs mit dem gebauten Erbe thematisieren. Die Auseinandersetzungen um die Berliner Mitte fokussieren sich aktuell auf die Gestaltung des großen Freiraums unterm Fernsehturm zwischen Bahnhof Alexanderplatz und Spree und die Konzeption eines neuen Stadtquartiers am Molkenmarkt zwischen Roten Rathaus und Stadthaus. Hier wollen wir dazu beitragen, dass Zukunftsfähigkeit und Geschichtsbewusstsein Grundlagen der Entwicklung sind. Dass nicht rückwärtsgewandte Stadtideen wieder Oberhand gewinnen, was angesichts anhaltender Kontroversen und veränderter stadtpolitischer Rahmenbedingungen weiterhin umstritten ist. Wir wollen die progressiven Ansätze der kooperativen Stadtentwicklung stärken und darauf drängen, sie in laufende und neue Projekte zu integrieren.

Der Berliner Welteerbevorschlag für Ensembles der Nachkriegsmoderne findet weiterhin unsere Unterstützung. Ein besonderer Fokus wird auf der Errichtung von Pavillons an der Karl-Marx-Allee und auf der Mitwirkung an einer neuen Ausstellung liegen.

Die Fragen nach dem sozialen Zusammenhalt der Stadt, dem klimagerechten Umbau und der Stärkung ihrer Widerstandskraft gegen Folgen des Klimawandels gewinnen dabei immer mehr an Bedeutung und Dringlichkeit. Die Notwendigkeit der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft und unserer Lebensweise insgesamt bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die geplante und gebaute Lebenswelt. Dem wird sich die Stiftung stellen, indem sie «Urbane Transformationen» als neues Leitthema für ihre jährlichen Fachtagungen festlegt. Die 20er Jahre, in denen wir heute leben, sind der Zeitraum, in dem wichtige Weichen für eine gerechte Zukunft gestellt werden müssen. Blicken wir zurück auf diese Zeit im 20. Jahrhundert, stellen wir fest, dass diese geprägt waren von großen Reformideen und gesellschaftlichem Aufbruch. Und wir wissen um das Scheitern mit schrecklichen Folgen. Die Geschichte zu befragen, aus den Antworten Anregungen für die Zukunft zu gewinnen, und dies am Beispiel der wechselvollen Geschichte Berlins zu tun, das hat Tradition für die Hermann-Henselmann-Stiftung. Und das wird sie mit Blick auf den klimagerechten Umbau von Stadtregionen auch weiterhin tun.

Im Zusammenwirken mit fachlich versierten Partner*innen ist und bleibt die Stiftung Impulsgeberin und Diskussionspartnerin bei der Suche nach den besten Lösungen für die Zukunft der Stadt. Wir werden den Austausch unter Fachleuten weiter fördern, wir wollen mehr junge Leute erreichen und gemeinsam die soziale und ästhetische Qualität der gebauten Umwelt voranbringen.

Ein letztes Wort in eigener Sache: Die Hermann-Henselmann-Stiftung wird ehrenamtlich getragen und verfügt dank ihrer Treuhänderin über ein bescheidenes Budget. Die großen inhaltlichen Fragen gilt es mit begrenzten Ressourcen zu bearbeiten. Wir freuen uns daher über weitere Unterstützung und auch über Spenden. Besuchen Sie gerne unsere Website, dort können Sie sich vertiefend informieren und bei Interesse engagieren.