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In Finnland siegte die Rechte, dem Land steht eine neue Austeritätspolitik bevor

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Robert Stark,

Sanna Marin und Petteri Orpo bei einem Medienempfang im finnischen Parlament in Helsinki, 2. April 2023. Foto: IMAGO / Lehtikuva

Es war bereits erwartet worden, dass sich die Parlamentswahlen in Finnland mit einem hauchdünnen Vorsprung entscheiden werden und diese Erwartungen wurden erfüllt: Es hat die finnischen Medienhäuser letztlich einige Stunden gekostet, einen finalen Gewinner der Wahl 2023 zu finden, aber kurz vor Mitternacht war klar: Die Regierung unter Führung der Sozialdemokraten wurde abgewählt und der Vorsitzende der Nationalen Sammlungspartei Petteri Orpo wird der neue Ministerpräsident Finnlands.

Robert Stark ist ein Alumnus der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Mitglied des Linksbündnisses in Helsinki.

Bevor sich der Staub der Parlamentswahl gesetzt hatte, wurde in Brüssel am 4. April endgültig die finnische Fahne vor dem NATO-Hauptquartier gehisst, nur zwei Tage nach der Wahl. Dieses neue Parlament wird also das erste sein, während Finnland Nato-Mitgliedsstaat ist.

Von den 200 Sitzen im finnischen Parlament Eduskunta gewann Orpos Sammlungspartei 48 Sitze, die nationalistischen, rechtspopulistischen «Wahren Finnen» bekamen 46 und die Sozialdemokraten 43 Sitze. Die mittelgroßen Parteien, Grüne, Linksbündnis und die agrarische Zentrumspartei verloren teils kräftig. Die Linke verlor 5 ihrer 16 Parlamentssitze und die Grünen 7 von vormals 20 Sitzen.

Eine gespaltene Nation

Im finnischen Wahlsystem senden 13 Wahldistrikte ihre Abgeordneten entsprechend der jeweiligen Bevölkerungszahl ins Parlament nach Helsinki. Es ist deswegen immer sehr schwer, das genaue Ergebnis vorauszusagen, weil genau genommen 13 voneinander unabhängige Wahlen gleichzeitig stattfinden. Während das dünn besiedelte Lappland nur sechs Parlamentarier stellt, schickt die Region Uusimaa, welche die Hauptstadt Helsinki umgibt, 37 Abgeordnete. Diese Region – der ökonomische Motor Finnlands – war in dieser Wahl entscheidend und stark umkämpft. Zugleich ist sie eine Schwachstelle des Linksbündnisses, die hier nur einen einzigen Abgeordnetensitz erobern konnten.

Obwohl Finnland vor kurzem zum sechsten Mal in Folge zum «glücklichsten Land der Welt» gekürt wurde, hat es zahlreiche Herausforderungen vor sich: Die Überalterung der Bevölkerung schreitet massiv voran, das öffentliche Gesundheitssystem ist in permanenter Krise und die letzten Ergebnisse der PISA-Studie machen deutlich, dass das vormals beste Bildungssystem der Welt immer mehr darin versagt sein Versprechen einer gleichen, fairen Ausbildung für alle zu ermöglichen. Die Wählerschaft ist gespalten anhand von Generationen und Geschlechtern und es gibt einen wachsenden Gegensatz zwischen ländlichen und urbanen Räumen.

Die Zentren der großen Städte Helsinki, Tampere und Turku tendieren zu mehr grüner, linker und weiblich geführter Politik, welche die neuesten Entwicklungen in Europa und den USA verfolgt. Auf der anderen Seite sind ländliche und suburbane Räume mit einem geringeren Anteil von Universitätsabsolvent*innen, mehr Beschäftigten im Industriesektor und einem Männerüberschuss traditionell konservativer. Dort liegen die Kerngebiete der rechtspopulistischen Partei «Die Finnen». In der westlichen Region Satakunta zum Beispiel konnten «Die Finnen» mehr als 26,6 Prozent der Stimmen erzielen und wurden stärkste Kraft. 2019 konnte die Sozialdemokratie dort noch eine hauchdünne Mehrheit mit 25,2 Prozent erzielen.

Die dünn besiedelten Gebiete im Osten und Norden sind historisch vor allem mit der Zentrumspartei verbunden, die nach dem Zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte regierte und auch den letzten Ministerpräsidentenposten besetzte, vor dem Sieg der Sozialdemokraten im Jahr 2019. Seitdem ist die Unterstützung für die Partei immer mehr gefallen und erreichte jetzt ein historisches Tief von 11,3 Prozent der Wählerstimmen. Den «Finnen» gelang es viele ehemalige Zentrum-Wähler*innen zu gewinnen, besonders in den ländlichen Regionen im Norden.

Austerität droht

Die Zentrumspartei hatte bei mehreren Gelegenheiten Reformen in Marins fünf Parteienkoalition – aus Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Schwedischer Volkspartei – blockiert. Häufig wollte man sich so als vermeintlich einzige Stimme der Vernunft gegen den «linken Block» profilieren. Eigene Wähler*innen, die von Anfang an unzufrieden mit der Beteiligung an der Koalition waren, sollten so beruhigt werden.

Die Unzufriedenheit der Partei kam bereits im ersten Regierungsjahr zu Tage, als das Zentrum öffentlich dem ersten Ministerpräsidenten der Koalition, Antti Rinne, das Vertrauen entzog, nachdem dieser in einen Streik von Postmitarbeiter*innen interveniert hatte. Die Poststreikkontroverse zwang Rinne zum Rücktritt und halfen letztlich Sanna Marin an die Macht.

Das von der Zentrumspartei geführte Finanzministerium tat der Koalition einen letzten Bärendienst und veröffentlichte im Dezember letzten Jahres einen langen Bericht, in dem Maßnahmen zur «Verbesserung der staatlichen Finanzen um mindestens neun Milliarden Euro in den nächsten beiden Legislaturperioden» beschrieben wurden. Dieser Bericht und seine Implikation, dass es keine Alternative zur Austeritätspolitik geben könne, hat den Ton für die nächsten Monate der Wahlkampagnen gesetzt.

Die Rechte, besonders Petteri Orpos Sammlungspartei warf Marins Mitte-Links-Bündnis vor unverantwortlich Geld zu verplempern. Dies war der zentrale Aspekt der Kampagne der Sammlungspartei, obwohl während der COVID-19 Pandemie fast alle europäischen Staaten mehr Kredite aufnahmen, auch weil die Zinsraten niedrig waren.

Tatsächlich war das Versprechen der Sammlungspartei, die Austeritätspolitik durchzuführen und Ausgaben in den nächsten vier Jahren um ca. sechs Milliarden Euro zu kürzen, oft unkritisch in den Medien übernommen worden – so wurde diese «Es gibt keine Alternative»-Logik rationalisiert und Teil des öffentlichen Diskurses in Finnland.

Das Geschenk Sanna Marin und der regressive Rückschlag

Sanna Marin, die sozialdemokratische Noch-Ministerpräsidentin, war die global bekannteste Politikerin der Geschichte des nordischen Landes. Die junge, charismatische Marin ist in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen und brachte einen urbanen, lederjackentragenden Vibe in ihre Partei, die diesen dringend gebraucht hatte.

Dieser Aspekt und Marins klare Positionierung im linken Flügel der Partei war auch ein Grund für die Linkslastigkeit der sozialdemokratischen Kampagne. In diesen Wahlen hat die neoliberale Rechte ein weiteres Mal ihre Agenda der Austerität vorgebracht, aber anders als in der Vergangenheit war diese Sichtweise nicht ganz unwidersprochen. Die Kampagne der Sammlungspartei für Kürzungen wurden von Marin attackiert und die Sozialdemokraten sahen, im Gegensatz zu den letzten «Staatsschuldenwahlen» von 2015, davon ab Kürzungen im Sozialsektor vorab zu befürworten.

Zudem nannte Marin «Die Finnen» eine rassistische Partei und schloss eine Zusammenarbeit in einer zukünftigen Regierung aus. Auch dieser Schachzug wurde als Versuch gewertet Stimmen von Grünen oder Linken abzuwerben. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ist die Strategie gescheitert, was auch am finnischen Wahlsystem liegt. Während Grüne und Linksbündnis zusammen 12 Parlamentssitze verloren konnten die Sozialdemokraten nur drei Sitze hinzugewinnen. Insgesamt hat der grün-linke Block also verloren.

«Die Finnen» sind die Speerspitze im Angriff auf Finnland als offene Gesellschaft. Sie ist zunehmend die Partei von Arbeitern und Mittelschichtsmännern geworden, besonders in Vorstädten, kleinen oder mittelgroßen Städten. Unter der im letzten Jahr gewählten Vorsitzenden Riikka Purra konnte die Partei auch von der Pandemie profitieren, weil sie sich gegen Restriktionen einsetzte und so bei Impfgegnern und Verschwörungstheoretiker*innen punkten konnte.

Mittelalte Männer sind die demographische Kernwählerschaft der «Finnen», aber die Partei schaffte es auch einen wachsenden Anteil von jüngeren Wähler*innen zu gewinnen, weil sie eine der aktivsten Parteien in den sozialen Medien ist – insbesondere im Videoportal TikTok. Videos die mit dem Hashtag «perussuomalaiset», dem Namen der Partei in Finnisch, markiert sind, scheinen von den Algorithmen bevorzugt zu werden. Dieses Phänomen wurde bereits in der Vergangenheit bei rechten Tweets beobachtet.

Die Unterstützung für die Partei «Die Finnen» scheint dabei, ähnlich wie bei anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa spezifische politische Positionen zu transzendieren. Stattdessen bedeutet die Unterstützung der Partei ein generelles Nein zum Establishment. Zum Beispiel ist die Partei die einzige, welche die ambitionierten Klimaziele Finnlands ablehnt; Marins Regierung hatte sich zum Ziel gesetzt bis 2035 CO2-neutral zu werden.

Eine defensive Linke

In ihrer Kampagne versuchten «Die Finnen» das aktuelle Thema der schwedischen Bandenkriminalität als Beispiel für Finnlands drohende, düstere Zukunft zu zeichnen. Bisher hat dieser Versuch nicht viele Früchte getragen, die Debatte verlief im Sand. Aber die Partei konnte auch mit einer rassistischen Debatte auffahren, welche die Korrelationen zwischen Schulen mit schwachen Testergebnissen und einem großen Anteil von Kindern mit anderer Muttersprache als Finnisch oder Schwedisch hervorzuheben suchte. Die Debatte wurde auch befeuert, weil der öffentlich-rechtliche Sender YLE eine Online-Suchmaschine veröffentlicht hatte, in der Nutzer*innen Schulen nach dem Anteil fremdsprachiger Kindern sortieren konnten.

 «Die Finnen» waren zudem sehr erfolgreich darin einen eigenen, wiedererkennbaren Markenkern zu kreieren und immer wieder zu wiederholen. Dieser könnte ungefähr folgendermaßen wiedergegeben werden:

«Die linksgrüne, urbane feministische Klasse interessiert sich nicht mehr für die ‚normalen Leute‘. Energie, Benzin und Nahrungsmittel sind zu teuer, weil die Klimapolitik die Preise künstlich nach oben schnellen lassen hat und daher muss alle Klimapolitik gestoppt werden, bis die Lebenskosten wieder unter Kontrolle sind. Fremde bedrohen die Kinder in großen Städten und leben auf Kosten finnischer Steuerzahler! Die Grenzen müssen geschlossen werden!»

Die Slogans der Partei waren simpel und einfach wiederzuerkennen, wie «Rette Finnland!» oder «Du weißt schon, warum!». Es scheint, als ob diese Ansprachen normale Politik schon transzendieren, «Die Finnen» hatten z.B. nicht mal ein richtiges Wahlprogramm veröffentlicht – ihre Positionierung als Stimme des Anti-Establishments und das implizierte Versprechen Finnland ethnisch weiß zu halten, reichten aus, das gewünschte Narrativ zu bedienen.

Die grün-linken Parteien als Regierungspartner waren in einer schwierigeren Position, um eigene vielversprechende Narrative aufzubauen. Das Linksbündnis hatte versucht aufzuzeigen, wie weitreichend es eigene Wahlversprechen in vier Jahren Regierungsverantwortung umgesetzt hatte- es wurde in die frühkindliche Erziehung investiert, Gesetze zur Verbesserung der Lage von Transgender eingeführt oder die härtesten Kürzungen der vorherigen rechten Regierung rückgängig gemacht. Aber weil der öffentliche Diskurs sich vor allem um die Frage drehte, wer als nächstes Ministerpräsident*in werden würde, verlor das Linksbündnis auf Grund von taktischem Wahlverhalten an die Sozialdemokratie. Darüber hinaus fehlt es auch der finnischen Linken an einer langfristigen Strategie, die über die Verteidigung des Status quo hinausgeht, eine Problematik, die sie mit vielen europäischen Linksparteien teilt.

Im Osten nichts Neues

Es gibt jetzt zwei verschiedene Szenarien für eine Regierungsbildung, so unterschiedlich sie auch sind, liegt beiden zu Grunde, dass die Koalitionsbildung ein langer und komplexer Prozess werden wird.

Petteri Orpo und die Sammlungspartei könnten das bürgerlich-rechte Bündnis der letzten Regierung von 2015-2019 wiederbeleben, indem «Finnen» und die Zentrumspartei die nötigen Stimmen für eine Mehrheit beschaffen. Die Zentrumspartei allerdings, die schon in Marins Koalition fortlaufend für Reibereien und Krisen gesorgt hatte, wird sich nicht leicht wieder auf die Regierungsbank ziehen lassen.  Die Partei hatte in den letzten Jahren kontinuierlich an Unterstützung durch die Wähler*innen verloren und ist von einer der drei großen Parteien zu einer abgestiegen, die darum kämpft 12 Prozent der Stimmen zu bekommen. Der Partei wurde von den eigenen Anhänger*innen immer wieder vorgeworfen, zu stark bei Reformen in Marins Mitte-Links-Koalition nachgegeben zu haben. Sie wird nun unwillig sein, ein weiteres Mal Regierungsverantwortung zu tragen und sich womöglich «zu Tode zu regieren».

Petteri Orpo könnte auch Ministerpräsident einer sogenannten «Blau-Roten» Koalition aus Sammlungspartei und Sozialdemokraten werden. Das würde einen drastischen ökonomischen Politikwechsel der Sozialdemokratie verlangen und eventuell einen neuen, mehr zur «Mitte» orientierten Vorsitzenden. Das würde das Ende der sozialdemokratischen Vorsitzenden Marin bedeuten, obgleich nicht das Ende ihrer politischen Karriere, denn eine Position in Brüssel – in EU oder NATO – könnte sie schon erwarten.

Die nächsten vier Jahre werden wahrscheinlich ein grundlegend anderes Finnland hervorbringen. Mit dem Beitritt zur NATO am 4. April hat das Land endgültig seine Position als Mediator zwischen Russland und den USA verloren. Mit dem Beitritt wird es ein «westliches Land» und wie andere europäische Staaten werden, in dem angesichts der momentanen Krisen die demokratischen Fundamente zunehmend vom Rechtsextremismus oder dem radikalisierten Konservatismus herausgefordert werden.

Diese Herausforderungen lassen sich auch in der Zusammensetzung des neuen Parlaments sehen. Die nationalistische Rechte hat ein Rekordergebnis erzielt, während langjährige Friedensfreunde wie der linke Sozialdemokrat Erkki Tuomioja aus dem politischen Leben ausscheiden. Auf der anderen Seite werden mehr Politiker*innen mit militärischem Hintergrund, wie der Generalmajor a.D. Pekka Toveri (Sammlungspartei) eine prominente Rolle im neuen Parlament spielen.