Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Libanon / Syrien / Irak - Türkei Ein politisches Beben

Welche Konsequenzen entstehen aus der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien?

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Anita Starosta,

Anita Starosta, medico international

RLS: Du warst kurz vor dem Erdbeben in Syrien und in der Türkei direkt danach. Was waren deine ersten Eindrücke und was ist dir besonders aufgefallen, auch im Vergleich zu anderen Erdbebengebieten?

Starosta: Ich bin zusammen mit einer Kollegin ziemlich genau eine Woche nachdem sich das Erdbeben in der syrisch-türkischen Grenzregion ereignet hatte in die Südosttürkei gereist und habe dort die medico-Projektpartner besucht. Diese hatten relativ schnell damit angefangen, sich zu organisieren und Nothilfe zu leisten. Sie haben vor Ort Strukturen unterstützt oder aufgebaut, um die vom Erdbeben Betroffenen zu versorgen. Meine Kollegin und ich sind in Adana gelandet, was am Rande des Erdbebengebiets liegt. Dort wurden wir abgeholt und sind dann Richtung Epizentrum gefahren, also Richtung Kahramanmaraş, oder kurz Maraş. Wir waren dann zwei Tage in Pazarcık, einer Stadt in der Nähe von Maraş. In einem nahegelegenen Dorf, das glücklicherweise nicht zerstört wurde, hatten lokale zivilgesellschaftliche, kurdische Strukturen und HDP-Politiker*innen in einem Gemeindezentrum ein Hilfszentrum und einen Krisenstab eingerichtet. 

Als wir ankamen, waren schon eine Woche lang ungefähr 150 freiwillige Helfer*innen vor Ort. Diese waren aus der gesamten Türkei, also z.B. aus Istanbul, Diyarbakır, Şırnak und Ankara eingetroffen. Auch aus Europa kamen Menschen, die in der Region Verwandte und Angehörige und demnach einen Bezug zur Region haben. Die Helfer*innen haben Hilfsgüter gesammelt, Lager aufgebaut, Lebensmittel, Decken und Zelte organisiert und haben angefangen die Stadt Pazarcık, aber vor allem auch die umliegenden Dörfer, die stark vom Erdbeben zerstört wurden, zu versorgen.

Es war uns möglich, zwei Tage vor Ort zu sein und die Freiwilligen bei ihrer Arbeit zu begleiten. Wir konnten einen relativ guten Eindruck des Ausmaßes der Zerstörung bekommen, weil wir in Pazarcık und Maraş viel rumfragen konnten und auch Dörfer gesehen haben, in denen gesamte Stadteile zerstört wurden. Wir waren in Dörfern, in denen die Häuser komplett eingestürzt waren. Wir waren aber auch in Dörfern, in denen Häuser stehengeblieben sind und es war uns möglich, mit vielen Überlebenden und Betroffenen zu reden. Sie haben uns sehr eindrücklich geschildert, wie sie das Erdbeben erlebt haben. Da es 4:20 Uhr, also mitten in der Nacht, passiert ist, wurden die meisten Leute im Schlaf überrascht. Mit 90 Sekunden war es auch ein verhältnismäßig langes Erdbeben und alle haben uns geschildert, dass es sich auch wirklich sehr lang angefühlt habe. Nachdem die Leute vom Erdbeben aufgeweckt wurden und verstanden hatten, was passierte, haben sie versucht, sich aus den Häusern zu retten. Sie haben dann die Nacht draußen auf den Straßen verbracht.

Anita Starosta ist bei medico international in der Spender*innenkommunikation tätig. Außerdem ist die Historikerin in der Öffentlichkeitsarbeit für die Türkei, Nordsyrien und den Irak zuständig.

Das Interview führte Henning Obens von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

In den darauffolgenden Tagen begannen sie Angehörige in den Trümmern zu suchen und zu befreien. Uns wurde auch immer wieder gesagt, dass sich Leute zunächst selbst aus den Trümmern befreit haben. Fast alle mit denen wir gesprochen haben, haben uns gesagt, dass keine Helfer*innen vor Ort waren. Dass sowohl in den ersten Stunden als auch in den Tagen danach keine staatliche Hilfe, also zum Beispiel der Katastrophenschutz (AFAD), vor Ort war. Auch zwei, drei Tage später waren keine Rettungs- oder Bergungsteams eingetroffen. Zweimal haben uns Menschen erzählt, dass sie in den Trümmern noch Angehörige gehört haben, sie sie aber nicht retten konnten und die Stimmen irgendwann versiegten. Das waren sehr eindrückliche und schreckliche Geschichten, in denen Leute damit leben mussten, wie Menschen in den Trümmern gestorben sind.

Solche Gespräche konnten wir führen und wir konnten mit dabei sein, wie die freiwilligen Helfer*innen genau diese Leute versorgt haben. Sie haben versucht, ihnen Zelte zu bringen, wobei Zelte zu dem Zeitpunkt noch eine Mangelware waren. Aber auch mit Decken und Lebensmitteln wurden die Menschen versorgt, weil sie alles verloren haben. Sie haben keine Häuser mehr. Sie haben oft keinen Ort mehr, wo sie hinkönnen. Viele wollen aber auch nicht weg und wollen bei ihrem Besitz und ihren Häusern oder Wohnungen bleiben.

Das Hilfszentrum, vom dem ich sprach, haben wir als sehr solidarischen Ort erlebt. Dort sind viele Freiwillige zusammengekommen, die sich sehr um die Betroffenen gekümmert haben.

Ein Erdbeben ist zunächst eine Naturkatastrophe und gerade die Türkei ist aufgrund ihrer geografischen Lage häufig betroffen. Doch das Erdbeben wird häufig als ein politisches Beben beschrieben. Was ist das Politische an dem Erdbeben und ist, über die tragischen Folgen einer Naturkatastrophe, daran bedeutsam?

Da gibt es mehrere Punkte, die man sich ganz genau angucken kann und muss. Auch wir haben von Anfang an gesagt, dass es sich nicht um eine reine Naturkatastrophe handelt. Es gibt Gründe dafür, dass die Hilfe ausgeblieben ist und dass dieses Erdbeben ein solches Ausmaß erreicht hat. Offiziell wird davon ausgegangen, dass ungefähr 50.000 Menschen gestorben sind und über 200.000 Häuser zerstört wurden. Aber alle Leute, die wir getroffen haben, haben gesagt, dass mindestens 100.000 Menschen unter den Trümmern liegen würden. Sie haben den offiziellen Zahlen nicht geglaubt.

Es gibt verschiedene Ursachen dafür, dass die Anzahl der Toten in dem rund 100.000 qm großen Erdbebengebiet so groß ist. Mindestens drei Punkte sind entscheidend. Zum einen sind die kurdischen Regionen in der Türkei strukturell und historisch benachteiligt und Ziel von Diskriminierung. Unter Erdogan wurde der Katastrophenschutz zentralisiert. Diese zentralisierten Strukturen waren in den betroffenen Regionen nicht sofort in der Lage zu handeln. Aufgrund der staatlichen Lenkung hat es zu lange gedauert, die Rettungs- und Bergungsteams dorthin zu bekommen, wo sie hätten helfen müssen. Auch die Vorbereitungen auf dieses Erdbeben waren nicht ausreichend.

Nach dem großen Erdbeben am Marmarameer im Jahr 1999 wurde eine Erdbebensteuer eingeführt. Über diese Steuer wurden, glaube ich, mehr als 30 Milliarden Dollar eingenommen. Aber das Geld wurde nicht, so wurde uns berichtet, in die Erdbebenprävention gesteckt. Stattdessen wurden damit hauptsächlich Straßen und Brücken gebaut, was für die Zugänglichkeit bestimmter Regionen gut ist. Aber es hat an Orten wie zum Beispiel erdbebensicheren Gemeindezentren gefehlt, an denen sich Menschen in einer Erdbebensituation sammeln können. Die ganze Frage des erdebensicheren Baus ist in der Türkei ein großes Thema. Die Türkei ist bekannt für ihre neoliberale Baupolitik, die unter der AKP nochmal besonders befördert wurde. Das heißt, dass ganz viele Bauunternehmer regierungsnah sind. Sie bauen viel zu schnell und benutzen schlechte Materialen. Außerdem gibt es keine staatlichen Kontrollmechanismen, die diese Gebäude auf ihre Erdbebensicherheit prüfen.

Im Gegenteil: 2017 hat Erdoğan das Wahlversprechen abgegeben, illegal gebaute Häuser zu legalisieren. Das ist dann auch in einem riesigen Ausmaß passiert damals. Wir haben uns in Diyarbakır mit der Architektenkammer getroffen. Dort hat man uns gesagt, dass es damals einen staatlichen Eingriff hätte geben müssen, um die Häuser wenigstens auf ihre Erdebensicherheit zu prüfen. Bei der Kammer haben sie uns außerdem einen Bericht der AFAD von 2020 gezeigt, in dem das Szenario, das jetzt eingetroffen ist, vorhergesagt wurde.  Darin wurde anhand von Karten das Epizentrum gezeigt, die betroffenen Gebiete und die Ausdehnung des Erdbebens. Es ist fatal, dass völlig klar war, dass das bald passieren würde. Dass klar war, dass das Erdbebenszenario eines ist, was sehr real ist und dass eigentlich keine Maßnahmen getroffen worden sind, um sich darauf vorzubereiten.

Eine der großen Fragen die ansteht, ist die des Wiederaufbaus. Du hast gesagt, dass das Immobilienbaukapital Erdoğan sehr nah sei. Nun gibt es die Sorge, dass die vielen Milliarden an Hilfsgeldern nach klientilistischem Prinzip verteilt werden. Dass also die Bagger in den Gebieten anrücken und aufräumen, die Erdoğan nahestehen und die kurdischen Gebiete eher nicht bedacht werden. Gibt es dafür Anzeichen, dass die Hilfsgelder nach politischen Kriterien verteilt werden?

Davon ist auszugehen. Erdoğan hält noch daran fest, dass die Wahlen Mitte Mai stattfinden sollen. Es war in den ersten Wochen des Erdbebens sehr unklar, ob es möglich sein wird, daran festzuhalten. Logistisch gesehen ist es immer noch eine Frage, ob die Wahlen stattfinden können. Dabei ist völlig klar, dass jetzt da Erdogan an dem Wahltermin festhält, die Frage der Hilfe, des Wiederaufbaus und der Versorgung der Leute eine absolut politische Frage wird. Das war sie vorher auch schon. Aber jetzt wird sie auch eine Frage des Wahlkampfs. Das bedeutet, dass man jetzt genau hinschauen muss, wo Hilfsgelder verteilt werden und wie der Wiederaufbau stattfindet. Die Leute, mit denen wir vor Ort gesprochen haben, haben uns schon damals davor gewarnt, dass Erdogan dieses Erdbeben dafür nutzen wird die Assimilierungspolitik und die Vertreibungspolitik gegenüber den Kurd*innen fortzusetzen. So haben Familien und Menschen, die aus den kurdischen Gebieten evakuiert wurden, Wohnung in der West-Türkei versprochen bekommen aber nicht in ihrer Heimatstadt.

Es gab Gespräche darüber, ob es Städtepartnerschaften geben solle zwischen zerstörten Städten und Städten in der West-Türkei, die die Menschen aufnehmen. Das ist natürlich erstmal gut und solidarisch, weil die Leute ein Dach über dem Kopf brauchen. Aber es ist Regierungspolitik, die Demografie in der Region zu verändern. Erdoğan hat schon am dritten Tag nach dem Erdbeben angekündigt, dass jede Betroffene oder jede obdachlos gewordene Familie innerhalb eines Jahres wieder ein Dach über dem Kopf haben soll. Dabei sagen alle Expert*innen, dass es ein ganz und gar unrealistisches Szenario sei, innerhalb eines Jahres alles, was zerstört wurde, wieder aufzubauen.

Die Leute, mit denen wir gesprochen haben und die sich damit auskennen, haben gesagt, dass es mindestens fünf Jahre, wenn nicht länger dauern wird, die gesamte Zerstörung wieder aufzuräumen und den Wiederaufbau erdbebengerecht zu gestalten. Es gibt gerade in den Gebieten des Epizentrums eine relativ hohe AKP-Wählerschaft. Dort gibt es auch Kurd*innen, die die AKP wählen. Es ist davon auszugehen, dass viele Hilfsgelder und auch international zugesagte Gelder zunächst in die Gebiete fließen werden, in denen Erdoğan eine große Wählerschaft hat. Dort wird der Wiederaufbau beginnen und dort werden die Versprechen, die er gemacht hat, zuerst wahrgemacht.

Viele Leute, die bis zum Erdbeben eigentlich immer hinter Erdoğan und der AKP standen, haben jetzt das erste Mal gesagt, dass der Staat nicht da gewesen sei und sie im Stich gelassen hätte. Das ist eine Zäsur. Die Wut in der Bevölkerung über das staatliche Versagen hat eine neue Dimension erreicht. Erdogan wird auch angesichts der aktuellen Umfragewerte umsteuern müssen und wird versuchen, seine Kernwählerschaft in Maraş und Hatay zu erreichen. Er steht auch unter Druck, weil deutlich geworden ist, dass die Opposition in diesen Gebieten schnell eigenständig Hilfe organisiert hat. Das haben die Leute mitgekriegt, dass sie Hilfe von der Opposition und nicht den staatlichen Strukturen bekommen haben. Die Frage des Wiederaufbaus ist also eine absolut politische Frage in den nächsten Wochen und Monaten.


Die Verstrickungen der Baubranche mit Erdoğan sind eng. Nicht selten gibt es personelle Überschneidungen in wichtigen Positionen. Wie können wir uns den Wiederaufbau unter diesen Bedingungen vorstellen? Wie zentralistisch wird er sein und ist Korruption zu erwarten? Wird der Wiederaufbau erdbebensicher sein?

Die Baubranche der Türkei ist bekannt dafür, dass sie der Regierung sehr nahesteht und Teil des klientilistischen Systems ist. Daher ist davon auszugehen, dass die Regierung die Aufträge des Wiederaufbaus an diese Unternehmen verteilen wird. Eigentlich bräuchte es jetzt unabhängige, wahrscheinlich sogar internationale Stellen, die darauf schauen, wie diese Aufträge verteilt werden und wie erdbebensicher aufgebaut wird. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Frage der Erdbebensicherheit angesichts der sehr kurzen Zeit, die Erdogan für den Wiederaufbau angekündigt hat, untergeht.

Du hattest schon angesprochen, dass am 14. Mai die Wahlen in der Türkei stattfinden werden und die AKP auch unter Erdoğans Kernwählerschaft im Zweifel steht. Wie genau beeinflusst das Erdbeben die kommenden Wahlen in der Türkei?

Ich glaube, dass das Erdbeben eine große Zäsur in der Frage um Erdoğans Wiederwahl ist. Noch bin ich vorsichtig zu sagen, dass er abgewählt wird. Denn ich weiß nicht, ob Erdogan wirklich abgewählt werden kann oder ob Wahlbetrug und Korruption ihn nicht doch an der Macht halten können. Aber die Unzufriedenheit und die Wut in der Bevölkerung über die bis heute ausgebliebene staatliche Hilfe und Unterstützung ist sehr groß. Sie beschränkt sich nicht mehr nur auf die betroffenen Gebiete. Die Missstände haben sich in der Türkei herumgesprochen. Auch in Deutschland gab es eine relativ kritische Berichterstattung über ausbleibende Hilfe, Korruptionsfälle und Skandale, in denen der türkische Halbmond zum Beispiel Zelte verkauft hat, anstatt sie auszuliefern.  Insgesamt gab es relativ viele Berichte über Vorfälle, die die Stimmung vor Ort gut nach außen gebracht haben. Genau das wird sonst immer versucht. Zeitgleich wurden aber auch viele Journalisten, die regierungskritisch berichtet haben, festgehalten. Auch das Internet wurde in den ersten Tagen kurz abgestellt. Allerdings sind diese Versuche, kritischen Berichten etwas entgegenzuhalten, letztendlich nicht gelungen. Die Unzufriedenheit trägt sich weiter und wird sich womöglich auch im Wahlergebnis niederschlagen.

In der Türkei werden Forderungen nach Strafverfolgung gegenüber denjenigen laut, die nicht erdbebensicher gebaut und damit gegen Auflagen verstoßen haben. Einige prominente Bauunternehmer wurden verhaftet. Wird die politische und juristische Verantwortung von den Verantwortlichen angenommen?

Die Verhaftungen der Bauunternehmer fanden relativ früh statt. Das war das erste Zeichen der AKP-Regierung, dass man etwas tut. Man suchte Verantwortliche und präsentierte sie, auch indem man sie inhaftierte und juristisch vorführte. Aber gleichzeitig ist klar, dass das Bauernopfer sind, die von der politischen Verantwortung ablenken sollen. Die HDP hat schon in der ersten oder zweiten Woche eine unabhängige Untersuchungskommission im Parlament gefordert. Diese Forderung wurde natürlich abgelehnt. Ich glaube, dass es auf Druck der internationalen Gemeinschaft eine unabhängige Untersuchungskommission geben muss, die sich die unterlassene Hilfeleistung der AFAD anschaut und herausfindet, wo die Hilfsgelder hingeflossen sind und was mit der Erdbebensteuer und dem erdbebensicheren Bau passiert ist. Immerhin wurde dieses Szenario schon vor zwei Jahren vorhergesagt. Es gibt viele Punkte, die unabhängig untersucht werde müssten, die aber unter der AKP-Regierung insbesondere jetzt vor den Wahlen sicherlich nicht angegangen werden. Man kann nur hoffen, dass es nach den Wahlen passiert. Wobei davon nicht auszugehen ist.

Der größte Teil der Verwüstung traf die Türkei. Dort starben auch die meisten Menschen. Wie ist die Situation in Syrien? Wie ist die Lage dort?

Medico International hat auch in Nordsyrien Projektpartner. Die haben sowohl im Nordosten, also den Gebieten der autonomen Selbstverwaltung, aber auch in Idlib, sofort Nothilfe geleistet. Dabei ist der Nordwesten um Idlib und das besetzte Afrin wesentlich schwerer betroffen als die Gebiete der autonomen Selbstverwaltung. Dort ist auch in den ersten Tagen keinerlei Hilfe eingetroffen. Wir haben drei Tage nichts von unseren Partnern vor Ort gehört und wir wussten nicht, ob sie noch am Leben sind. Irgendwann haben wir dann Lebenszeichen bekommen. Aber es hat drei oder vier Tage gedauert, bis in Idlib die ersten Hilfskonvois eingetroffen sind. Die eingetroffenen LKW-Ladungen waren dann aber gar nicht für die Erdbebenhilfe, sondern für die sowieso vorhandenen Flüchtlingslager vorgesehen. In Idlib leben knapp drei Millionen Binnenflüchtlinge.

In Idlib, in Afrin und in Aleppo sind tausende Häuser zerstört worden. Inzwischen geht man von mindestens 8000 Toten und hunderttausenden Betroffenen aus. Die humanitäre Situation in Idlib war schon vor dem Erdbeben katastrophal und es ist jetzt nur schwer zu beschreiben, was das Erdbeben für die Region bedeutet. Die zivilgesellschaftlichen Strukturen, die versucht haben, in diesen von islamistischen Terrorgruppen kontrollierten Gebieten in irgendeiner Form Hilfe zu leisten, sind zwar immer noch da und leisten gerade Nothilfe. Aber die Bedingungen, unter denen gearbeitet werden kann, und die humanitäre Lage haben sich extrem verschlechtert. Es gibt nochmal mehr Obdachlose und Menschen, die in Zelten leben. Die WHO hat vor ein paar Tagen eine Impfkampagne gegen Cholera in der Region angekündigt. Cholera war zwar schon im letzten Herbst ein Problem. Die Lage hatte sich aber im Winter wieder etwas beruhigt. Nun ist es aufgrund der zerstörten Wasserleitungen und der schlechten hygienischen Bedingungen in den provisorischen Zeltstädten sehr wahrscheinlich, dass ein größerer Choleraausbruch bevorsteht. Die Situation der Menschen vor Ort ist perspektivlos.

Die politischen Folgen des Erdbebens in der Türkei

Details

Die Türkei-Expertin Anita Starosta reiste kurz nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023 in die betroffenen Gebiete in der Türkei.
Im Interview erzählt sie, welche politischen Folgen das Erdbeben hat und wie es die Präsidentschaftswahl im Mai beeinflussen könnte.